Anna Kim

Geschichte eines Kindes

Roman
Cover: Geschichte eines Kindes
Suhrkamp Verlag, Berlin 2022
ISBN 9783518430569
Gebunden, 220 Seiten, 23,00 EUR

Klappentext

In einer Kleinstadt im US-Bundesstaat Wisconsin bringt im Juli 1953 die zwanzigjährige Telefonistin Carol Truttmann ein Kind zur Welt. Noch in derselben Nacht gibt sie den Jungen zur Adoption frei. Daniel, so sein Name, bleibt in der Obhut eines Sozialdienstes. Bald sehen sich die betreuenden Kinderschwestern mit einem aus ihrer Sicht schwerwiegenden Verdacht konfrontiert: Das Baby scheint, anders als von der Mutter angegeben, nicht "weiß" zu sein, sondern, wie es in der Behördensprache der damaligen Zeit heißt, "indianisch", "polnisch" oder "negrid" - ein Skandal in einer homogen weißen, den rigorosen Gesetzen der Rassentrennung unterworfenen Gesellschaft. Eine Sozialarbeiterin soll die wahre ethnische Herkunft des Kindes ermitteln. Dazu muss sie allerdings den Vater des Kindes ausfindig machen, dessen Identität die leibliche Mutter nicht preisgeben will …

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 27.10.2022

Wenn Anna Kim die Geschichte eines Pflegekindes erzählt, das durch rassistische Kategorisierungen ausgegrenzt wird, dann ist das Rezensent Eberhard Rathgeb doch zu vorsichtig, zu behutsam. Den Rezensenten stört die allzu große Distanz der Autorin zu einer Geschichte, die in den 1950er Jahren in Wisconsin spielt, sie hätte ihm zufolge von mehr Kraft, mehr Dynamik, mehr Entschlossenheit profitiert. Rathgeb ist das Buch zu berichtend, zu wenig emotional involvierend, ihn kann Anna Kim nicht überzeugen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.09.2022

Rezensentin Katharina Teutsch liest Anna Kims auf Tatsachen basierenden dritten Roman mit Interesse. Den identitätspolitischen Debatten kann Kim mit ihrer Geschichte eines von einem schwarzen Vater abstammenden Adoptivkindes im mittleren Westen der USA in den 1950ern einiges an historischer Tiefe hinzufügen, meint sie. Den amerikanischen Rassismus der 50er dokumentiert Kim unter anderem mit sozialdienstlichen Aktenauszügen auf beeindruckende Weise, findet die Rezensentin, und macht deutlich, wie viel sich seitdem doch verändert hat. Teutsch ist gespannt, ob es Kim mit ihrem "intelligent komponierten" Buch auf die Shortlist für den Deutschen Buchpreis schafft.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 27.08.2022

Rassismus und Zugehörigkeit sind die Themen von Anna Kims "Geschichte eines Kindes", das Rezensentin Anke Dörsam sehr aktuell findet. Die 1977 in Südkorea geborene und in Deutschland und Österreich aufgewachsenen Autorin erzählt in zwei Strängen: In Form von sprachlich rassistischen Aktenberichten, in denen von einem zur Adoption freigegebenen Kind die Rede ist, dessen "Rasse" nicht zugeordnet werden kann. Und im anderen Teil von einer österreichischen Autorin mit koreanischen Wurzeln namens Franziska, die zur Untermiete bei der Ehefrau des mittlerweile älteren, im Krankenhaus liegenden Daniel lebt, dem Kind aus den Aktenberichten, erklärt Dörsam. Ein metaphernreicher Roman, der Privates und Politisches miteinander verknüpft, lobt sie.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 25.08.2022

Rezensent Martin Oehlen beschäftigt die auf einem wahren Fall beruhende Geschichte über eine Adoption, über Identität und Rassismus in der amerikanischen Provinz, die Anna Kim in ihrem Buch mit ruhigem Ton und unter Zuhilfenahme von Originaldokumenten erzählt, über die Lektüre hinaus. Sprache und Tonfall der Erzählung und wie Kim in ihrem fünften Roman die verschiedenen Motivstränge kombiniert, findet Oehlen bemerkenswert. Ein komplexes Buch, das die notwendige Diskussion über die behandelten Themen weiter in Gang hält, hofft er.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 16.08.2022

Rezensent Carsten Hueck findet Anna Kims "Geschichte eines Kindes" durchaus scharfsinnig, aber nicht gänzlich geglückt. Die 1977 in Südkorea geborene, in Deutschland und Österreich aufgewachsene Autorin behandelt in ihrem Roman die amerikanische Praxis des "Racial Profilings", indem sie zwei Erzählstränge miteinander verbindet. Da gibt es zum einen die österreichische Autorin Franziska, die mit einem Stipendium in den USA bei einer älteren Dame lebt, dessen Ehemann Daniel, Sohn eines afroamerikanischen Vaters und einer weißen Mutter, im Pflegeheim ist, erklärt Hueck, der allerdings nicht mit Kims Entscheidung einverstanden ist, Franziska ihre eigene Geschichte aus der Ich-Perspektive erzählen zu lassen, aber nicht Daniel, der von anderen beschrieben wird. (Ein Dilemma, denkt man, denn anderersrum wäre es vielleicht noch verwerflicher.) Hueck ist berührt von diesem Roman, die Lücken in den Biografien und die Schwäche der Konstruktion übersieht er jedoch nicht.