Juri Andruchowytsch

Radio Nacht

Roman
Cover: Radio Nacht
Suhrkamp Verlag, Berlin 2022
ISBN 9783518430729
Gebunden, 472 Seiten, 26,00 EUR

Klappentext

Aus dem Ukrainischen von Sabine Stöhr. Als "Barrikadenpianist" hat er die Revolution zu Hause unterstützt. In der Emigration verdient er sein Geld als Salonmusiker - Josip Rotsky, ein Mann unklarer Identität, dessen Name sich auf Trotzki, Brodsky und Joseph Roth reimt. In einem Schweizer Hotel muss er für den Diktator seines Landes spielen - und wird zum Attentäter. Nach der Haft zieht Rotsky sich in die heimatlichen Karpaten zurück. Geheimdienstler und andere Finsterlinge trachten ihm nach dem Leben. Mit seiner Geliebten Animé und dem Raben Edgar flieht er nach Griechenland. Erst auf der Gefängnisinsel am Null-Meridian ist Schluss. Dort sendet sein "Radio Nacht" rund um die Uhr Musik, Poesie und Geschichten in die sich verfinsternde Welt.Radio Nacht, in der Ukraine 2020 erschienen, ist nicht nur ein sprachliches Feuerwerk, sondern ein Gegenwartsroman von eminenter Aktualität. Klimaproteste, Pandemie, die Bedrohung durch Russland - er handelt von einer Zeit, in der die Hoffnungen auf radikale Veränderungen begraben werden.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 22.11.2022

Wer in "Radio Nacht" von Juri Andruchowytsch den üblichen Zeitsprung in fantastische Vergangenheitswelten erwartet, wird überrascht sein, warnt Rezensent Jörg Plath vor. Geschrieben vor dem russischen Angriff auf die Ukraine, hat die Geschichte des rebellischen Radiomoderators Josip Rotsky, seherische Qualitäten, findet Plath. Rotskys umtriebiges Leben ist ein Roadtrip durch die "vorletzte Diktatur Europas", erzählt als "raubeiniges Märchen, als Abenteuer- und Exilerzählung, als Fluchtgeschichte, Liebesgeschichte und noch einiges mehr", schreibt Plath, und gespickt mit amüsanten Anspielungen aller Art. Allerdings sollte niemand versuchen nach einer unterhaltsamen Lektürestunde noch einer konsistenten Geschichte folgen zu wollen - die gebe es nämlich nicht. Falls das zuweilen gedrosselte Tempo des Romans ein kleines Zeitfenster öffnet, empfiehlt Plath den Lesern die Playlist zum Roman bei Youtube, die deutlich mache, wie traurig Andruchowytsch über die Gegenwart sei. 

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 02.11.2022

Realistisches Erzählen hat in diesem Roman keine Chance, warnt Rezensent Lothar Müller und macht doch zugleich auf den neuen Roman dieses "Virtuosen des karnevalistischen Schreibens" sehr neugierig. Allein schon der geniale Name des Protagonisten, Josip Rotsky, zusammengesetzt aus "Trotzki", "Brodski" und Joseph Roth! Der Roman ist zugleich eine Hommage aufs gute alte Radio, denn dieser Rotsky ist ein Radio-DJ und wehmütig klingt herüber, was Westradio in den Seelen der 1960 jenseits des Eisernen Vorhangs Geborenen noch auslöste. Aber modern ist der Roman auch, freut sich Müller: Rotskys Playlist wird als QR-Code in den Roman gedruckt und ist somit per Handy abzurufen. Der Roman ist vor Corona, vor den Unruhen in Belarus und vor dem Krieg geschrieben, so Müller: Und dennoch, so meint man zu spüren, dämmert all das darin herauf. Dabei lobt Müller den Autor wie gesagt als einen Virtuosen, der verschiedene Stilmittel und Erzähltechniken zusammen mischt. Manchmal geht seine Virtuosität mit ihm durch, so Müller, aber der Relevanz des Buchs kann das keinen Abbruch tun.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.10.2022

Ein faustisches Spiel ist "Radio Nacht" des Ukrainers Andruchowytsch für Rezensentin Christiane Pöhlmann, aber leider eines, das in ihren Augen nicht so recht aufgehen mag. Der Protagonist Josip Rotsky schildert in seiner Radioshow sein bewegtes Leben, auch an der Seite Meph(isto)s in einem nicht näher bezeichneten Land, das klar als die Ukraine zu erkennen ist, und übt Kritik am Regime und den politischen Umständen. Das sei zwar an sich kurzweilig, aber bietet der Rezensentin doch zu wenig Einblicke und Erkenntnisse, um wirklich überzeugen zu können.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 05.10.2022

Juri Andruchowytschs "Radio Nacht" ist weit mehr als ein Musikroman, versichert Rezensent Jens Uthoff in seiner hymnischen Besprechung - auch wenn jedes der fünfzehn Kapitel mit einem Song daherkommt - und der großartige Soundtrack mit Titeln von Tom Waits oder Klaus Nomi als Playlist nachzuhören ist. Erzählt wird die Geschichte des Radiomoderators Josip Rotsky, der in einem nicht näher benannten osteuropäischen Land bei Aufständen die Finger gebrochen bekommt und nach der gescheiterten Revolution als Dissident ins Exil geht. Wie der ukrainische Autor die verschiedenen Erzählebenen verwischt und mit einer Fülle von Verweisen, vom Euromaidan bis zu Edgar Allen Poe, anreichert, findet der Kritiker grandios. Darüber hinaus staunt er, wie es Andruchowytsch gelingt, in dem von "Wut und Trauer" über die Situation vieler postsowjetischer Länder getragenen Roman immer auch Witz aufleuchten zu lassen. Allein auf die Schlenker zu Themen wie Pandemie, Klimakrise oder MeToo hätte der Autor verzichten können, meint Uthoff.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 26.09.2022

Rezensent Helmut Böttiger hält Juri Andruchowytschs Roman von 2020 für brandaktuell. Mit seiner überbordenden, abschweifenden Fantastik und seinen vielfältigen literarischen Bezügen zu Joseph Roth und Joseph Brodsky scheint ihm der Text zudem ukrainisch-russische Realitäten weit besser zu erfassen als jeder Realismus. Wie der Autor die Lebensgeschichte seines Helden, eines Radiomoderators, dazu nutzt, die politische Entwicklung in der Ukraine während der letzten Dekaden zu erzählen, scheint Böttiger so verspielt wie zeitgeschichtlich relevant. Eine Rhythmik und Musikalität prägen den Text, die Böttiger außerdem bemerkenswert findet.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 10.09.2022

Ein einziger "Karneval" von Roman liegt dem Rezensenten Christian Thomas mit Juli Andruchowytschs neuem Buch vor. Es geht um den Radiomoderator und Pianisten Josip Rotsky (Joseph Brodsky, Joseph Roth und Leo Trotzki findet der Kritiker in diesem Namen), der der Mithilfe am Anschlag auf den "Vorletzten Diktator" beschuldigt wird und deshalb in den Karpaten auf der Flucht ist. Wie der ukrainische Autor in der Schilderung dessen "voll aufdreht" in einer absurden Mischung aus Parodien auf "pseudointellektuelle" Ausdrucksweisen, aus Binnen-Theaterstücken, Referenzen auf Edgar Allen Poe, sexuellen Eskapaden und Trash, findet der Kritiker anscheinend schwindelerregend, aber faszinierend. Dass das Wort "Ukraine" kein einziges Mal im Roman fällt, aber implizit dennoch allgegenwärtig ist, beeindruckt Thomas, ebenso wie die an "Volltreffern" reiche Übersetzung von Sabine Stöhr. Eine "gewaltige Persiflage", die nicht zuletzt die Sprache selbst aufs Korn nimmt, schließt der Kritiker.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 03.09.2022

Rezensent Richard Kämmerlings entdeckt unter der Schicht aus Action, Schelmenroman und Märchen einen dunklen Kern in Juri Andruchowytschs Roman von 2021. Wenn der Autor seinen Helden, einen von den Stones geprägten Ex-Revolutionär und Radio-DJ mit Folterbiografie aus seinem bewegten Leben erzählen lässt, schimmert für Kämmerlings immer das Historische durch, die blutigen Revolten in der Ukraine, der Heimat des Autors, und ihre Folgen, die Andruchowytsch ins Exemplarische wendet, wie Kämmerlings vermerkt. Stilistisch bleibt der Autor laut Rezensent dem Karnevalesken treu, indem er Obszönes, Absurdes und Abschweifendes ohne große Beachtung der erzählerischen Logik, dafür zur Freude des Lesers unterhaltsam kombiniert.