Aris Fioretos

Die Seelensucherin

Roman
Cover: Die Seelensucherin
DuMont Verlag, Köln 2000
ISBN 9783770153527
Gebunden, 357 Seiten, 21,47 EUR

Klappentext

Aus dem Schwedischen übersetzt von Paul Berf. An einem Dezembertag im Jahr 1925 beschließt Vera Grund, den Zug von Berlin in Richtung Norden zu nehmen. Vera Grund, die in einer Anzeigenexpedition arbeitet, ist auf Entdeckungsreise in ihre Vergangenheit. Sie will ihren unbekannten Vater aufsuchen. In der schwedischen Hauptstadt wird sie kurz vor Weihnachten drei Tage verbringen. In einem alten Privatpalais, um das sich zahlreiche Gerüchte ranken, blättert zur gleichen Zeit Professor Schaumberg in seinen Akten. Er ist ein in Verruf geratener Anatom und "Seelenbiologe", ein fanatischer Wissenschaftler, der endgültige Antwort auf die Frage finden will, wo die menschliche Seele ihren Ort hat. Früher einmal war Schaumberg das gefeierte Mitglied in den Akademien seines Landes und Gründer des mythenumwobenen "Clubs der Gehirne". Die Schicksale von Vera Grund und Professor Schaumberg sind enger miteinander verwoben, als beide wissen können. Aris Fioretos erster Roman beruht auf historischen Ereignissen und erzählt von einem Wissenschaftsdenken, das nur wenige Jahre später in er nationalsozialistischen Rassenbiologie zu grausamer Wirklichkeit wurde.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 17.03.2001

Etwas zwiespältig fällt das Urteil aus, das Christine Holliger über Aris Fioretis Debütroman fällt. Fioretis beschreibt in dem Buch die Suche einer Tochter nach ihrem Vater, der in die Fänge eines skrupellosen Biologen geraten ist. Das Ganze spielt im Stockholm der 1920er Jahre. Das Buch steht stark unter dem Schatten dessen, was kommen wird - nämlich die Rassenlehre der Nazis. Der Forscher zum Beispiel basiert nach Meinung der Rezensentin auf dem schwedischen Gehirnforscher Gustaf Retzius, einem finsteren Rassenkundler. Zwar findet Holliger, das sich durchaus interessante Elemente in der Erzählung finden - etwa wie der Autor ein düsteres Stück schwedischer Medizingeschichte verarbeitet - und sein Erzählstil gefällt ihr auch. Sie nennt ihn "beweglich und ironisch". Trotzdem findet sie das Gesamtwerk etwas verworren und mühevoll konstruiert, sie vermisst öfter mal den roten Faden, "zu disparat ist die Anlage des Buches". Diesen Anfängerbonus gesteht Holliger dem Autoren aber zu, sie ist gespannt auf sein nächstes Buch.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 14.12.2000

Aris Fioretos Debütroman löst alles andere als Begeisterung beim Rezensenten Andreas Nentwich aus, obwohl er grundsätzlich sowohl dessen intellektuelle als schriftstellerische Qualitäten schätzt. Es geht um eine Frau in den 20er Jahren, Vera Grund, die auf der Suche nach ihrem Vater ist. Dieser leidet an einer seltenen Krankheit und ist Forschungsobjekt eines Neurobiologen geworden. Nentwich befürchtet, dass außer den Rezensenten, die das Buch lesen müssen, nur "Masochisten" und "ästhetische Dickhäuter" so lange am Ball bleiben, bis das Buch an Struktur gewinnt und die Geschichte in die Gänge kommt - was erst passiert, nachdem der eigenartige Wissenschaftler in der Geschichte aufgetaucht ist. Nentwich rät dem Autor, seinem eigentlichen "Talent für die Geheimnisse der stofflichen Welt - mitnichten aber für den Gesang der Seele" zu folgen. Auch die Übersetzung von Paul Berf und das Lektorat kritisiert er.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 18.10.2000

Helmut Böttiger schreibt mit einer Mischung aus Faszination und leisem Zweifel über diesen Roman, der zum Teil im Berlin und zum Teil im Stockholm der zwanziger Jahre spielt. Als sehr ansprechend charakterisiert er all jene Szenen, die die Atmosphäre jener Zeit schildern. Hier scheint Fioretos zu so großer und detailstimmiger Form aufzulaufen, dass Böttiger sich diese Szenen unwillkürlich im körnigen Schwarzweiß der Stummfilme ausmalte. Die komplizierte Konstruktion des Romans hat dem Rezensenten schon größere Schwierigkeiten gemacht. Dennoch schildert er die Figuren der Vera, die in Stockholm ihren Vater sucht, und des satirisch geschilderten Professors Schaumberg, der ihren Vater einst behandelte und als äußerst zwielichtiger Wissenschaftler gelten muss, mit großer Genauigkeit und Eingenommenheit. Und am Ende hat wohl auch die Konstruktion des Romans ihren Sinn: "Fioretos` Romanmodell geht weit über bloße satirische Züge hinaus, es ist ein faszinierendes Spiel mit Fragen und Möglichkeiten der Erkenntnis." Den Schluss lässt Böttiger offen - scheint spannend zu sein.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 18.10.2000

An dem `verblasenen` deutschen Titel des Buches darf man sich nicht stören. Der klingt erstmal auf `ungute Art poetisch` und nach `metaphyselnder Innerlichkeit`, meint Alex Rühle. Das ist ärgerlich. Dem Dumont Verlag war der schwedische Originaltitel `Stockholm Noir` nicht metaphysisch genug, dabei ist Fioretos` Romandebut eher eine `merkwürdige Pastiche aus Kriminalroman, Liebesgeschichte und schwarzer Groteske`. Dem Literaturwissenschaftler und Essayisten Fioreto ist es gelungen, die Traktate des größenwahnsinnigen Professors Schaumburg so kunstvoll mit nationalsozialistisch gefärbten medizinischen Diskursen zu verbinden, dass der Verdacht aufkommt, Schaumburg habe es wirklich gegeben, lobt Rühle. Allerdings bemängelt er deutliche Anleihen des Autors bei Oliver Sacks. Auch wenn es sich hier nur um ein intertextuelles Spiel handeln sollte - Fioretos Ausführungen über Neurologie und Erkenntnistheorie verkommen zu `verquastem Raunen`. Wesentlich besser hingegen gefallen dem Rezensenten die Passagen des Romans, in denen Vera Grund auf der Suche nach ihrem Vater durch das winterliche Stockholm irrt. Fioreto stelle unheimliche Parallelen zwischen der Struktur des Gehirns und der Stadt her. Und Veras Ahnungen und `epiphanische Erinnerungen` während ihrer Spurensuche bringen dem Leser die Geheimnisse der Seele wesentlich näher als die Abhandlungen des Professors, meint Rühle.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.10.2000

"Roman vom Mann, der seinen Körper verlor" nennt Rezensent Harald Hartung Fioretos Erstling, in Anlehnung an Oliver Sacks "Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte". Es gibt noch mehr, was der Autor bei Oliver Sacks aufgegriffen hat, zum Beispiel taucht auch bei Fiorito ein Hirnforscher namens Schaumberg auf. Der Rezensent nimmt an diesem Verfahren keinen Anstoß, kommt es doch auf die Qualität der literarischen Verwertung von vorgefundenem Material an, wie er schreibt. Die literarische Qualität dieses Romans um eine Frau, die in Stockholm nach ihrem verschwundenen Vater forscht, der bei eben jenem Neurologen vorgesprochen hat, überzeugt Hartung nicht völlig, für ihn fällt der Roman eher in die Kategorie: gedanklich interessant. Fioritos Schreibweise bezeichnet er mit Heißenbüttel als "synthetische Authentizität": die Fiktionalisierung von vorgefundenem Material. Darüberhinaus lässt uns Hartung wissen, dass der Autor griechisch-österreichischer Herkunft ist, aber in Göteborg lebt und auf schwedisch schreibt.
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