Birgit Birnbacher

Wovon wir leben

Roman
Cover: Wovon wir leben
Zsolnay Verlag, Wien 2023
ISBN 9783552073357
Gebunden, 192 Seiten, 24,00 EUR

Klappentext

Ein einziger Fehler katapultiert Julia aus ihrem Job als Krankenschwester zurück in ihr altes Leben im Dorf. Dort scheint alles noch schlimmer: Die Fabrik, in der das halbe Dorf gearbeitet hat, existiert nicht mehr. Der Vater ist in einem bedenklichen Zustand, die Mutter hat ihn und den kranken Bruder nach Jahren des Aufopferns zurückgelassen und einen Neuanfang gewagt. Als Julia Oskar kennenlernt, der sich im Dorf von einem Herzinfarkt erholt, ist sie zunächst neidisch. Oskar hat eine Art Grundeinkommen für ein Jahr gewonnen und schmiedet Pläne. Doch was darf sich Julia für ihre Zukunft denken?

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 15.04.2023

Von kleinen Fehlern, die sich bisweilen zu ganz großen ausweiten, ist Birgit Birnbacher plastisch-aufregender Roman über die Zwänge von Dorf und Familie durchzogen, stellt Rezensentin Judith von Sternburg beeindruckt fest. In der Geschichte von Krankenschwester Julia, die beinahe eine Patientin getötet und deswegen erstmal zurück in ihr Herkunftsdorf geflüchtet ist, liest sie einen "Witz der Verzweiflung", der darin besteht, dass der Vater verantwortlich ist für die Behinderung seines Sohnes und nicht darüber spricht, darin, dass sich die rigiden Denkweisen der Dorfbewohner, ihr latenter Alkoholismus nie ändern werden, darin, dass die Arbeitswelt sich für die Protagonistin anfühlt wie ein schlechter Scherz. Für Sternburg ein spannendes Geflecht aus verschiedenen Lebensentwürfen und Was-Wäre-Wenns, das sie nachdrücklich-nachdenklich zurücklässt.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 18.03.2023

Rezensentin Sophia Zessnik schätzt die feinfühlige Art, mit der Birgit Birnbacher sich in ihrem Roman der Dynamik einer abgehängten Dorfgemeinschaft annimmt. Es geht um die Krankenschwester Julia, die gerade ihren Job verloren hat und in ihr Heimatdorf im Innergebirge zurückkehrt, wo allerdings zwischen antriebs- und arbeitslosen Männern wie ihrem Vater nur noch mehr Care-Arbeit auf sie wartet. Wie Birnbacher dabei mit gewohnt soziologischem Blick von diesen Geschlechterdynamiken und von den psychischen Folgen von Arbeitslosigkeit erzähle, nicht "horrifizierend" wie etwa Wolf Haas in vergleichbaren Romanen, sondern nüchtern und trotzdem leise poetisch, gefällt der Kritikerin. Besonders lobenswert findet sie außerdem, dass Birnbacher die Frustration der Dorfmänner "ungeschönt" darstelle - Frauen sind hier schnell "Huren", Weggegangene schnell "Verräter" -, aber andererseits der Protagonistin Einhalt gebiete, wenn sie sich zu sehr über diese Sphäre erhebt.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 09.03.2023

Knapp, aber begeistert bespricht Carsten Hueck den neuen Roman von Birgit Birnbacher. Erzählt wird von Krankenschwester Julia, die nach einem von ihr verursachten medizinischen Fehler in die Enge ihres Heimatdorfes ins Haus ihres Vaters zurückkehrt und dort auf Alkohol, Arbeitslosigkeit und ihren pflegebedürftigen Bruder trifft. Für den Kritiker ist der Roman eine gelungene Mischung aus "Groteske, Sozialreportage und Heimatroman", der vor allem durch Birnbachers genauen Blick, aber auch ihren Humor und den Verzicht auf Pathos besticht.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 08.03.2023

Rezensentin Hanna Engelmeier beobachtet in Brigitte Birnbachers Roman mit klarem Blick, wie die Autorin anhand ihrer Protagonistin verschiedene Formen der Arbeit behandelt: Julia ist eigentlich Krankenschwester, kehrt aber aus gesundheitlichen Gründen zurück zu ihren Eltern aufs Dorf. Dort hat sie, im Gegensatz zur Krankenhauswelt, genügend Zeit, sich der Pflege eines einzelnen Patienten hingebungsvoll zuzuwenden, ihrem behinderten Bruder, was laut Engelmeier eindringlich und zart beschrieben werde. An diesen Unterschieden zwischen Lohn- und Sorgearbeit mache die Autorin auch Theorien der Sozialforschung deutlich und zeige die Probleme, die entstehen, wenn die Arbeit als Sinngeber für das eigene Leben wegfalle. Manchmal ist der Rezensentin das zu typologisch und kommt ihr vor wie "aufbereitet für den Gemeinschaftskundeunterricht." Dennoch kann sie den von ihr vernommenen Appell Birnbauers unterschreiben, mehr über die Bedeutung der Arbeit für unser Leben nachzudenken.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 07.03.2023

Rezensent Paul Jandl bewegt sich mit Birgit Birnbacher am Rand des Schweigens. Wie bei Bernhard, meint Jandl, wird hier lakonisch ein österreichischer Wirtshauskosmos vermessen, der nicht gerade beschwingt. Von der Ökonomie des Glück angesichts von Prekariat, Krankheit und Verlust berichtet der Text laut Jandl in flexibler Sprache und mit soziologischem Verstand. Die Fallhöhen sind beträchtlich, die Pointen auch, so der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 23.02.2023

Über den Zusammenhang von Arbeit(slosigkeit), Familie und der Suche nach dem Lebenssinn erfährt Kritiker Jan Drees einiges in Brigitte Birnbachers "Wovon wir leben." Krankenschwester Julia wurde nach einem Fehler mit Folgen offenbar von ihrem Job suspendiert und ist vorübergehend zu ihrem früh pensionierten Vater in ihr Heimatdorf gezogen, wo sie sich mit den spezifischen sozialen Kodifizierungen?? in ihrem Dorf herumschlagen muss. Er scheint nicht der einzige zu sein und Julia hilft den Männern offenbar, die Leere ihrer Tage irgendwie zu füllen. Interessant daran ist für Drees, dass im Text politische Theorie immer stärker wird, aber auf eine erzählerische Art, der Leser erhält gewissermaßen eine "poetische Rendite" bei der Lektüre. Leicht irritiert fragt man sich, ob Drees das wirklich so positiv meint, wie es am Anfang schien?

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.02.2023

Von kaum aufzubrechenden patriarchalen Strukturen, Selbstzweifeln und der Frage, was will ich eigentlich im Leben, schreibt Birgit Birnbacher in "Wovon wir leben", wie Rezensentin Katharina Teutsch berichtet. Die Protagonistin ist nach einem beinahe fatalen Fehler bei ihrer Arbeit als Krankenschwester selbst krank geworden und kehrt in ihr Herkunftsdorf zurück, das alles andere als ein idyllischer Rückzugsort ist, lesen wir. Der Vater dieser Julia Noch ist für Teutsch das Abbild eines sturen Patriarchen, Ablenkung könnte ein städtischer Gast im Dorf bieten. Das Buch ist trotz der klaren Sprache, die die Probleme dieser spießig-patriarchalen Welt  deutlich benennt, nicht anklagend, lobt die Kritikerin, sondern ein aufmerksames, empfehlenswertes Protokoll, das sogar Hoffnung zulässt.
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