Ulrike Draesner

Die Verwandelten

Roman
Cover: Die Verwandelten
Penguin Verlag, München 2023
ISBN 9783328601722
Gebunden, 608 Seiten, 26,00 EUR

Klappentext

"Wir hielten uns an den Händen, für die Kraft. Jede brauchte einen Menschen."Eine nationalsozialistische Vorzeigemutter, die anderen beibringt, wie Kinder zu erziehen sind, doch über das Wichtigste, was sie verloren hat, niemals spricht. Eine Köchin, die lieber Frauen geliebt hätte als den Dienstherrn, unterwegs durch das zerstörte Deutschland im Sommer 1945. Ein Mädchen in München Solln, geboren in einem Lebensbornheim der SS. Eine alleinerziehende Anwältin von heute, die nach dem Tod ihrer Mutter unverhofft eine Wohnung in Wrocław erbt - und einen polnischen Zweig der Familie entdeckt. Alle Figuren verbindet ein Jahrhundert von Krieg und Nachkrieg, Flucht und Vertreibung, von Gewalt. Was bedeutet es, in einem Staat zu leben, der Menschenzucht betreibt? Und wie darüber schreiben, was den Frauen im Krieg geschieht? Was ihnen die Sprache nimmt. Was sie für immer verwandelt. Und wie über die unsichtbare Kraft, die verhindert, dass sie daran zerbrechen?Ulrike Draesner gibt den Verwandelten ihre Stimmen zurück. Sie erfinden sich neu, wechseln Sprache und Land, überraschen sich selbst mit ihrem Mut, ihrem Humor, ihrer Kraft. Die Bedeutung von Familie verändert sich, Freiräume entstehen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.04.2023

Einen "Roman gegen die Sprachlosigkeit" liest Rezensent Fridtjof Küchemann mit Ulrike Draesners neuem Buch. Die Autorin erzählt über drei Generationen die Geschichten von deutschen und polnischen Frauen, die, auch lange nach seinem Ende, mit den traumatischen Folgen des Krieges zu kämpfen haben. Kinga, eine der Haupfiguren im Roman, ist eines der sogenannten "Nebelkinder", informiert uns der Rezensent, Teil der ersten Nachkriegsgeneration, deren Eltern sich über die Vergangenheit in Schweigen hüllten. So muss Kinga erst einmal herausfinden, welche zerstörerische Rolle der Krieg in ihrer Familie spielte, verrät Küchemann. Allerdings, betont er, belässt es Draesner nicht bei der Suche nach "fehlenden Puzzleteilen" einer Familiengeschichte, ihr Roman ist komplex konstruiert und erzählt aus mehreren Perspektiven. Das ist so eindringlich, realistisch und gut recherchiert, findet der Kritiker, dass man die Figurenbiografien für wahr halten könnte.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 25.04.2023

Rezensent Thomas Hummitzsch bewundert, mit welcher Sensibilität und Kunstfertigkeit Ulrike Draesner in ihrem Roman die Gewalterfahrungen von Frauen in Sprache verwandelt und ihnen so eine Stimme verleiht. Draesner erzählt die unterschiedlichsten Geschichten von Frauen in Deutschland und Polen über Generationen hinweg, die alle auf die ein oder andere Weise mit den traumatischen Folgen von Krieg und Gewalt zu kämpfen haben, so der Kritiker. Den Horror, den die Frauen erlebten, kann Draesner vor Augen führen, ohne auf explizite Gewaltdarstellungen zurückgreifen zu müssen, schreibt der Kritiker. Sie erobert so für die Protagonistinnen einen Bereich zurück, der oft mit Sprachlosigkeit und Schweigen verbunden ist. Mal im epischen Erzählfluss, mal mit poetischer Verspieltheit, gelingt Draesner eine virtuose Erzählung, die "lichtbringend und geradezu heilend" ist, so der Kritiker. Das ist "große Kunst", schließt Hummitzsch beeindruckt.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 22.04.2023

Rezensent Burkhard Müller schätzt Ulrike Draesner als Lyrikerin, mit ihrem neuen Roman wird er aber nicht ganz glücklich. Die Autorin tritt an, das Schweigen von Frauen hörbar zu machen, erklärt uns der Kritiker - dafür lässt sie hier gleich sieben Frauen aus drei Ländern und drei Generationen, die alle irgendwie miteinander verbandelt sind, auftreten. Nur leider unterscheiden sich die Stimmen der Heldinnen nicht, bemerkt Müller. Sowohl das Dienstmädchen aus Breslau als auch die Nazi-Gattin aus Bayern oder die Anwältin Kinga - sie alle klingen nach Draesner, seufzt der Rezensent. Das funktioniert dann gut, wenn die Autorin Flucht und Massenvergewaltigungen schildert: Hier gelingt es der Autorin brillant, den verstummten Frauen wieder eine Sprache zu geben, erkennt Müller an. Mit Abzug einiger Ärgernisse ist es ein "interessantes" Buch geworden, schließt der Kritiker.
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Rezensionsnotiz zu Die Welt, 22.04.2023

Wirklich sicher ist sich Rezensentin Marianna Lieder nicht bei Ulrike Draesners Roman über deutsch-polnisches weibliches Leben von 1900 bis heute. Zwar werde die Gewalt, die sich vor allem in Form von Vergewaltigungen äußert, überzeugend unvoyeuristisch und wie von der Autorin gewohnt hochlyrisch beschrieben, aber Lieder weiß nicht so recht, ob es eine gute Idee ist, die Kategorien Frau und Opfer so programmatisch zusammenzudenken. Für sie haben die Geschichten etwa um eine fast bizarr nationalsozialistische Adoptivmutter etwas plakativ nach Empathie für die "weibliche Perspektive" haschendes, von dem sie nicht weiß, ob das so gewollt ist oder nicht. Die Beurteilung der Frage überlässt die Rezensentin lieber den LeserInnen.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 23.03.2023

Einen "großartigen Frauenroman" sieht Rezensent Eberhard Rathgeb in dem neuen Buch von Ulrike Draesner. Erzählt werden über Generationen hinweg unterschiedlichste Frauenschicksale aus dem 20. Jahrhundert, die alle verbunden sind durch ihre Erfahrungen der Kriegs- und Nachkriegszeit in Deutschland und Polen. Entschieden ergreift die Autorin Partei für die Frauen in deren gemeinsamer Klage gegen männliche Unterdrückung, schreibt Rathgeb. Die Ich-Erzählungen entfalten dabei "lyrische Kraft und Beherztheit" in ihrer Schilderung von Beklemmung und Schrecken. Der Rezensent ist außerdem mitgerissen von der Dichte und dem dynamischen Fließen der Erzählung, der bei allem Leid doch auch immer ein Funken Hoffnung innewohne.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 20.02.2023

Eine sehr ausführliche Rezension widmet Angela Gutzeit dem dritten Roman Ulrike Draesners um das Thema Flucht und Vertreibung im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus und dem Zweiten Weltkrieg. Die Geister der Vergangenheit, Zwangsadoption, unklare Familiengeschichten, Vergewaltigung, hinterlassen ihre Spuren auch in den nachfolgenden Generationen, wie die Kritikerin anhand vieler Zitate klarmacht. Der Stimmenreichtum verschiedener miteinander verwobener Frauenleben neigt zwar dazu, Verwirrung zu stiften, macht für sie aber auch den Reiz und die Faszination dieser 600 Seiten aus. Nicht nur der bewegende Inhalt, auch die abwägende, behutsame und immer poetisch-reflektive Sprache bewegen Gutzeit zu einer deutlichen Empfehlung.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 07.02.2023

Rezensentin Cornelia Geißler nennt Ulrike Draesners Texte einen Segen für die deutschsprachige Literatur. Wenn die Autorin in ihrem neuen Roman wiederum deutsch-polnischen Geschichten von Krieg, Flucht und Vertreibung nachspürt und wie diese Erfahrungen sich über Generationen erstrecken, findet Geißler die gewählte Form der miteinander verflochtenen Einzelgeschichten ebenso passend wie die sprachlich gekonnt gestaltete Vielstimmigkeit, die polnische und schlesische Wendungen aufnimmt. Am Ende ergeben sich ein Familienstammbaum und allerhand "nie nur aufgesetzte politische Fragen", so Geißler.