Didier Eribon

Betrachtungen zur Schwulenfrage

Cover: Betrachtungen zur Schwulenfrage
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019
ISBN 9783518587409
Gebunden, 600 Seiten, 38,00 EUR

Klappentext

Als Didier Eribons Betrachtungen zur Schwulenfrage 1999 in Frankreich erschienen, wurde das als Ereignis gefeiert. Schnell etabliert sich das Buch als Klassiker und Gründungsdokument der Queer Studies. Eribon legt darin eine neue Analyse der Bildung von Minderheitenidentitäten vor, an deren Anfang die Beleidigung steht. Es geht um die Macht der Sprache und der Stigmatisierung, um die Gewalt verletzender Worte im Rahmen einer allgemeinen Theorie der Gesellschaft und der Mechanismen ihrer Reproduktion. Nun liegt das Werk erstmals in deutscher Übersetzung vor .Eribons Analyse setzt ein mit einer  "Sozialanthropologie" der gelebten Erfahrung, in der zentrale Etappen der Konstitution einer homosexuellen Identität nachgezeichnet werden. Auf sie folgt eine historische Rekonstruktion der literarischen und intellektuellen Dissidenz sowie der "homosexuellen" Rede - von den Oxforder Hellenisten in der Mitte des 19. Jahrhunderts über Oscar Wilde und Marcel Proust bis zu André Gide im 20. Jahrhundert. Die Untersuchung mündet in einer Neuinterpretation von Michel Foucaults philosophischem Denken über Sexualität, Macht und Widerstand.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.02.2020

Auch zwanzig Jahre nach seinem Erscheinen im französischen Original sind Didier Eribons "Betrachtungen zur Schwulenfrage" noch lesenswert, versichert Rezensent Peter-Philipp Schmitt. In dem in drei Teile eingeteilten Werk liest er zunächst von Schamgefühlen, Beleidungen und Diskriminierung von Homosexuellen, aber auch von Subkulturen und neuem Selbstbewusstsein. Interessiert folgt er auch Eribons Ausführungen zu den "Geburtsorten der modernen homosexuellen Identität", die Eribon im frühen neunzehnten Jahrhundert bei Autoren wie Karl Otfried Müller, Walt Whitman oder John Addington Symonds ausmacht: Jene sprachen noch von der "dorischen Liebe", erfährt Schmitt. Wie Oscars Wildes Verurteilung wegen Unzucht mit männlichen Prostituierten das Ende der Liberalität einleitete, liest der Kritiker hier ebenfalls.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 11.02.2020

Im französischen Original sind Didier Eribons "Betrachtungen zur Schwulenfrage" bereits 1999 erschienen, erinnert Rezensent Jens Bisky, versichert aber: Das Buch hat kaum an Aktualität eingebüßt. Diskriminierungen und Beleidigungen gegenüber Homosexuellen mögen in einigen Ländern durch die Erfolge der Schwulenbewegung nachgelassen haben, aus der Welt sind sie beileibe nicht, betont Bisky, der bei Eribon nachliest, wie bereits "verbale Aggressionen" Identitäten prägen. Auch Eribons "Phänomenologie der schwulen Existenz" - Vorliebe für Großstädte, Berufswahl, Coming Out etc. - folgt der Kritiker mit Interesse. Die genannten schwulen role models, etwa Gide, Wilde oder Proust mögen indes historisch geworden sein, wendet Bisky ein und verweist auf die Vielzahl schwuler Serien- und Filmfiguren. Eribons Auseinandersetzungen mit den Schriften Foucaults findet der Kritiker ebenfalls erhellend. Als lesenswerten Beitrag zur aktuellen Identitätsdebatte und als Ergänzung zur "Rückkehr nach Reims" kann Bisky das Werk unbedingt empfehlen.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 23.12.2019

Didier Eribons im französischen Original bereits 1999 erschienenes Plädoyer für Exhibitionismus als Umkehr der Scham vor dem Schwulsein liest Andrea Roedig mit Gewinn. Wie eine heteronormierte Gesellschaft das Leben des Homosexuellen prägt, wie die dauernde Bedrohung durch die Injurie den Schwulen ins Abseits treibt, erläutert der Autor laut Roedig in Absetzung zu Foucaults These vom historischen Konstrukt der Homosexualität und unter Darlegung der Entwicklung eines literarischen Sprechens über schwules Begehren bei Gide und Proust.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 21.12.2019

Tilman Krause erkennt drei Teile in Didier Eribons Phänomenologie der Homosexualität mit dem verunglückten Titel: einen lebensgeschichtlichen (laut Krause der schwächste im Buch, da der Autor sich als Opfer inszeniert), einen laut Krause recht spezialisierten, weitschweifigen über Michel Foucault und einen literaturgeschichtlichen, der dem Rezensenten am besten gefällt. Gar nicht genug danken kann er Eribon für seine auch stilistisch gelungenen Ausführungen über André Gide und die schwule Diskursgeschichte Frankreichs. Dass der Autor dabei Proust endlich auf die Ränge verweist, hält Krause für späte Gerechtigkeit.