Don DeLillo

Körperzeit

Roman
Cover: Körperzeit
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2001
ISBN 9783462029734
Gebunden, 134 Seiten, 15,29 EUR

Klappentext

Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert. Ein Mann und eine Frau, der Filmregisseur Rey und die Konzeptkünstlerin Lauren, sitzen sich beim Frühstück in einem Haus gegenüber. Jede alltägliche Bemerkung, jede kleine Bewegung wird registriert. Es ist der Terror eines normalen Tages, der Wahnsinn der Routine. An diese Routine, aber auch an die Nähe und die Entfremdung erinnert sich Lauren, nachdem ihr Mann sich umgebracht hat. Immer wieder hört sie ihre gemeinsamen, auf Band aufgenommenen Gespräche ab, die Protokolle dieser verstörenden Liebe. Ihre Einsamkeit teilt sie nun mit dem geheimnisvollen Mr. Tuttle, einem irren kleinen Mann, den sie schon vor Reys Tod durch das Haus hat geistern hören. Er wird zum Spiegel und zum Echo ihrer Gespräche und ihres Lebens mit Rey. Mit erbarmungsloser Selbstdisziplin entwickelt Lauren die Choreografie eines Stücks, in das ihre Erinnerungen und die Gespräche mit den beiden Männern, ihre tiefe Einsamkeit eingehen.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 10.05.2001

Was stand zu erwarten nach "Underworld"? Dass DeLillo seinen Lesern keine "aus Resten der gewaltigen Materialfülle des Vorgängerwerks angerichtete kalte Platte" servieren würde, hatte Angela Schader schon erwartet. Wie sich mit diesem "kammerspielhaften Roman" allerdings eine "bisher weitgehend bedeckt gehaltene Seite" des Autors offenbart, überrascht sie dann doch. DeLillos bekannte Stärken - "eine lichtstarke, in jedem Klang und Takt ausgehorchte Prosa", eine "hintergründige literarische Intelligenz" - sieht sie hier einmal nicht in eine kritische Durchleuchtung der Zeitgeschichte investiert, sondern "in den Dienst eines intimen Seelendramas gestellt." Welcherart die zu beobachtende (und von Schader gelobte) Deckungsgleichheit von Gehalt und Gestalt in diesem Buch ist, macht Schader deutlich, indem sie seine "eindringliche Meditation über Verlust und Zeit" auf beiden Ebenen skizziert. Eine Herausforderung sei das, selbst für den versierten Übersetzer, meint sie, und für den Leser natürlich, und empfiehlt vorsorglich die mehrmalige Lektüre des Buches.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 10.04.2001

"Mutmaßungen über den Tod" beschreibt Harald Fricke die sieben Kapitel in Körperzeit. Nach dem Selbstmord ihres Mannes plant Lauren eine Perfomance, macht "Atemübungen" und trainiert ihren Körper. Der Rezensent sieht in diesen "Exerzitien" den Versuch, die Erinnerung "physisch" auf die Gegenwart auszuweiten. Als Beispiel beschreibt er, wie Lauren nachts vor dem PC sitzt und "dem Verkehr auf einer finnischen Landstraße bei Tage" zuschaut. Laurens "Lethargie", so Fricke, verwandle DeLillo jedoch "mit unglaublicher Präzision" in "Lebenskunst". Denn Selbstaufgabe sei ebenso wie die Überwindung von Schmerz ein Weg zur Wahrheit. Fricke bewundert den Versuch DeLillos, dabei "bis an die Grenze zum Ist-Zustand von Sprache" zu gehen - wenn es nicht gelingt, gebe es "allzu viel 'vielleicht', 'irgendwie'", doch wenn es gelingt, schreibe DeLillo "Sätze von einer Vollständigkeit", wie es nur Gertrude Stein konnte, schreibt Fricke.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 29.03.2001

Damit wir es uns merken, sagt es der Rezensent gleich zweimal: Don DeLillo hat sich überboten. Von Rezensent Martin Lüdke indessen möchte man das nicht unbedingt behaupten. Zwar gelingt es ihm, uns den Brennglaseffekt der allenthalben zitierten und gelobten Frühstücksszene des Romans zu demonstrieren. Auf welche Weise genau es dem Autor jedoch gelingt, "den ungeheuerlichsten aller ästhetischen Ansprüche" - die Überwindung des Todes durch die Aufhebung der Zeit, dies das Thema des Buches - zu transportieren, vermag uns Lüdke auch mit Unterstützung durch das herbeizitierte Dreamteam Horkheimer/Adorno kaum zu vermitteln. Die folgenden auf den Roman bezogenen Zeilen der Besprechung gelten deshalb auch für sie selbst: Die Leser, heißt es da, sind nicht einmal klüger geworden. Aber mächtig irritiert.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 21.03.2001

Enttäuschend kurz befand nach Peter Körte die amerikanische Kritik zunächst DeLillos jüngsten Roman, im Original "The Body Artist". Der Rezensent aber ist gar nicht enttäuscht. Er ist ein Liebhaber der überaus präzisen und "perforierenden Sprache" des Autors, der in diesem kurzen Roman an der Ordnung der Zeit zweifeln lässt. DeLillo geht dabei für Körte höchst unkonventionell vor: die Auflösung einer chronologischen Abfolge - eine Künstlerin versucht den Tod ihres Mannes und das gemeinsame Leben zu vergegenwärtigen - geschehe nicht wie üblich durch Rückblenden oder Gedankensprünge, sondern ziehe sich durch die fragmentarisierte Sprache selbst, die dem Paradox zu entkommen suche, zeitliche Ordnung nachbilden zu müssen. Eine heikle Aufgabe, die der Übersetzer Frank Heibert laut Körte mit Bravour gemeistert hat. Bisweilen ist der Roman "eisig abstrakt", resümiert Körte am Ende. Doch hat er ihn zugleich - als Geschichte eines Verlusts und einer "Ichverschiebung" - fast zu Tränen gerührt.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 21.03.2001

Wie kein anderer versteht sich Don deLillo auf Ouvertüren, schreibt Michael Althen und referiert im Aufmacher der SZ-Buchmessenbeilage ebenso ouvertürenhaft seine vergangenen Leseerlebnisse von "Sieben Sekunden" bis "Unterwelt", bevor er im letzten Viertel seiner Rezension zu deLillos neuem Roman kommt: In "Körperzeit" lenke DeLillo seinen bisher immer auf äußere Ereignisse wie die Ermordung Kennedys oder die Dynamik des Kalten Kriegs gerichteten Blick nun auf das Innenleben einer Künstlerin, die als Witwe in der Gegenwart eines rätselhaften Fremden nach Spuren des Zusammenlebens mit ihrem Mann sucht. Der nur 140 Seiten lange Roman ist Kammermusik "nach dem großen Orchester", schreibt Althen. Elegisch feiert er DeLillos Prosa, an der er seine eigene Wahrnehmung misst, die ihn glauben macht, einen Moment lang "ins Herz der Dinge" blicken zu können. Mit der Suche der Künstlerin und ihrer Sicht von außen thematisiere der Autor das Verhältnis von innerer Wahrheit und der Banalität der äußeren Wahrnehmung: "Was wir für Wirklichkeit halten, ist nur die Spitze des Eisbergs - den entscheidenden Rest macht DeLillo sichtbar." Althen lobt, wie DeLillo auch in seinem neuen Roman Raum und Zeit in der Auflösung der erzählerischen Hierarchien dekonstruiert. Bei "Körperzeit" scheint es sich also um einen der wenigen Romane zu handeln, deren Lektüre einen Rezensenten fühlbar zu läutern vermag.
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