Klappentext
Die prekäre Befindlichkeit unserer Existenz, die Flüchtigkeit von Subjekt und Anschauung sind die Elemente dieser Gedichte, und ihre Sprache ist von derselben prekären Verfassung: stolpernd, mit Auslassungen, sich korrigierend und ins Wort fallend. Die Leichtigkeit, die der Titel "Jeder Zeit andere Gedichte" suggeriert, ist eine vorgetäuschte: Schönheit ist eine Frage der Überrumpelung.
Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.09.2003
Schon der Titel regt zur längeren Betrachtung an: Bewusst heiße es dort nicht "jederzeit", überlegt Wulf Segebrecht und fügt nach längerer Überlegung ein Wort in den Titel ein: "Jeder Zeit" gebühren "andere Gedichte", heißt er nun in Segebrechts Lesart. Diese Interpretation leitet der Rezensent im übrigen aus Ingolds eigener Ästhetik ab (Ingold ist sowohl Lyriker als auch Übersetzer, Essayist und Professor für russische Literatur), die ein "Fortschreiten" oder "Weiterschreiben" von Versen anderer proklamiert. Häufig gingen Ingolds Gedichte von einem Zitat, einem Motto, einer These oder gar von einem einzelnen Wort aus, erläutert Segebrecht, das dann in einem assoziativen Verfahren weitergesponnen oder -geschrieben werde. Auch im neuen Band gibt es laut Segebrecht viele solcher "fortschreitender Gebilde", die sich auf biblische Stoffe, antike Mythen oder literarische Orte beispielsweise bezögen. Manchmal seien sie vielleicht etwas unsinnlich, gibt Segebrecht zu, dafür besäßen sie eine vergnügliche Intellektualität, und er zitiert zum Beweis die Ingoldsche Version des Descartes'schen Satzes: "Endlich bin/ ich in einem Augenblick/ nicht. Herrlich/ schon gar nicht statt/ denken. So ist/ sagt Julia/ das Leben./ Nicht zu retten/ das Vergessen."
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buecher.deRezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 08.01.2003
98 Gedichte im Jahr 2001, das macht alle vier Tage ein Gedicht, rechnet Samuel Moser vor. Wie viele Felix Philipp Ingold verworfen hat, wissen wir natürlich nicht. Im Grunde, meint Moser, sagen alle Gedichte Ingolds das gleiche - auch wenn sie das Gegenteil behaupteten, es sind Wiederholungen, Variationen, aus kurzen drei- oder vierzeiligen Strophen bestehend. "Geviert" heißt das eine, "Negiert" das nächste. Die Gedichte Ingolds sind "unmittelbar einleuchtend", schreibt Moser bewundernd, sie zielten nicht auf eine verrätselte Subjektivität, auf einen komplexen Relativismus. Selten überlasse sich ein Dichter so klaglos und so konsequent dem "Werk der Worte", öffne sich ganz. Das ergibt für Moser Tempo, Leichtigkeit, eine bewundernswerte Einfachheit, die dem "Pathos des Lebens" zärtliche Witze abtrotzt.
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