Frank Bajohr

'Unser Hotel ist judenfrei'

Bäder-Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert
Cover: 'Unser Hotel ist judenfrei'
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2003
ISBN 9783596157969
Taschenbuch, 233 Seiten, 12,90 EUR

Klappentext

Mit dem Aufschwung des Tourismus im ausgehenden 19. Jahrhunderts deklarierten sich Seebäder, Kurorte und Sommerfrischen gern als "judenfrei", um antisemitisch gesonnene Feriengäste aus der Mitte der deutschen Gesellschaft anzusprechen. Juden mußten mit Schmähungen, Beleidigungen und tätlichen Übergriffen rechnen. Zur Warnung brachten jüdische Zeitungen lange Listen "antisemitischer Badeorte und Hotels". Nach 1933 kulminierte der Bäder-Antisemitismus, der im übrigen ein internationales Phänomen war, in der systematischen Vertreibung von Juden aus sämtlichen Kur- und Badeorten.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 10.07.2004

Als "wichtiges Buch über Wurzeln des Antisemitismus" würdigt Susanne Klingner dieses Buch von Frank Bajohr, das den Antisemitismus zur Jahrhundertwende in deutschen Seebädern und Kurorten untersucht. Wie sie berichtet, befasst sich der Autor vor allem mit der gesellschaftlichen Ausgrenzung von Juden in der Urlaubszeit vom Ende des 19. Jahrhunderts bis 1933. Ein "spannendes Untersuchungsfeld", findet Klingner, gehe es dabei doch vor allem um Prestige und soziale Abgrenzung. Sie hebt hervor, dass Bajohr für seine Darstellung Zeitungsartikel auswertet, aus Briefen von Antisemiten und solchen, die dem Treiben kritisch gegenüberstanden, zitiert, und antisemitische Postkarten zusammensucht, die es in den "judenfreien" Bädern zuhauf zu kaufen gab. Zudem biete er im Anhang des Buches eine Sammlung von antisemitischen Liedern und Gedichten aus deutschen Seebädern. Fazit der Rezensentin: "Bajohr zeichnet durch seine Recherche ein umfassendes Bild."

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.08.2003

Tatsache ist, soweit stimmt Friedrich Niewöhner Autor Frank Bajohr zu, dass die deutschen Kurbäder ihren Antisemitismus offen zeigten. So endet beispielsweise das "Wangerooger Judenlied" um 1900 mit dem Refrain: "Und tausendstimmig schallet unser Schrei: Der Jud' muss 'raus, er muss nach Norderney". Aber schon in der Interpretation widerspricht Niewöhner dem Autor, denn er meint nicht wie Bajohr, dass der Bäder-Antisemitismus "für die wachsende gesellschaftliche Ausgrenzung der Juden in Deutschland (nach 1933) verantwortlich war". Vielmehr spricht Niewöhner von einem durch ihn so bezeichneten "ästhetischen Antisemtismus", der "nicht aus theologisch-christlichen Quellen gespeist und nicht politisch oder rassenkundlich untermauert" sei. Diesen "ästhetischen" Antisemitismus fasst Niewöhner wie folgt zusammen: "Die Juden beleidigen die Sinne (Augen und Nase)." Vor allem aber spiegelt dieser Antisemitismus für Niewöhner "die Vorurteile des Kleinbürgers gegen alles Fremde" wider. In diesem Sinne wären bestimmt auch katholische Nonnen "störend aufgefallen", meint jedenfalls der Rezensent, denn an solchen "kleinen und reinen Orten fällt alles Fremde sofort auf als eine Art Störung der gehobenen Stimmung". Er hätte sich gewünscht, dass Bajohr mehr über den nur kurz erwähnten Antikatholizismus der Nordsee-Bäder schriebe.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 04.07.2003

"Bewacht den Strand auch künftig fein, Lasst keinen Jud in eure Mitte, Lebt wohl, es muss geschieden sein", zitiert der Rezensent Sirku Plötner antijüdische Lieder aus dem Kaiserreich. Bereits vor 1933 gab es die spezifische Form des "Bäder-Antisemitismus" in den deutschen Nordsee-Badeorten, der erst später von den Nazis instrumentalisiert wurde, wie Plötner bemerkt. Frank Bajohr will mit seiner Studie "größere Zusammenhänge" beleuchten, und so den gesellschaftlichen Antisemitismus in Deutschland mit Hitlers Judenvernichtung verknüpfen, was nach Meinung des Rezensenten zu "interessanten Einsichten" führt. Allerdings moniert er, dass der Autor die zentrale Frage, was "Borkum mit Auschwitz verbindet", nicht hinreichend klären kann. Bajohrs internationaler Vergleich zeige zwar, dass es zum Beispiel auch in den USA "Bäder-Antisemitismus" gegeben habe, mit der Schlussfolgerung des Autors hieraus ist Plötner jedoch nicht einverstanden. Schließlich sei in der Forschung längst anerkannt, "dass der Antisemitismus ein europäisches Phänomen war", der vielleicht gerade den "großen Zivilisationsbruch" ermöglicht habe.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 30.06.2003

"In Gaunerei liegt ihre ganze Größe", schrieb Theodor Fontane über die Juden und suchte deshalb vorzugsweise Feriendomizile, die sich zugute hielten, judenfrei zu sein. Die gab es: Borkum etwa, Zinnowitz, eine ganze Reihe weiterer. Die "Topografie" der antisemitischen wie judenfreundlichen Bade- und Ferienorte war bekannt. Besonders schlimm war es in den Bergen, der Alpenverein hatte, ist in diesem Band nachzulesen, bereits Anfang der zwanziger Jahre fast alle jüdischen Mitglieder ausgeschlossen. Verdienstvoll findet der Rezensent Michael Brenner dieses Buch, da es aufmerksam macht auf ein fast vergessenes Phänomen, den, wie Bajohr zeigen kann, lange vor dem Nationalsozialismus höchst virulenten "Bäderantisemitismus". Die Studie, fügt der Rezensent lobend hinzu, ist nicht nur "hervorragend recherchiert", sondern auch "brillant geschrieben". All das mache sie zu "einer der wichtigsten Veröffentlichungen auf dem Gebiet der Antisemitismusforschung der letzten Jahre".
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 05.06.2003

Merkwürdig, dass die historische Forschung dem bereits vor dem Ersten Weltkrieg bekannten Phänomen des Bäder-Antisemitismus kaum Aufmerksamkeit geschenkt hat, wundert sich Volker Ullrich. Für ihn ist darum Frank Bajohrs Studie eine der wichtigsten zeitgeschichtlichen Veröffentlichungen der letzten Jahre. Mit Bäder-Antisemitismus, erklärt Ullrich, ist die Schaffung regelrechter Apartheidzonen in den Nord- und Ostseebädern im Kaiserreich und in der Weimarer Republik gemeint. Ullrich führt das Beispiel Borkum an, das es diesbezüglich wohl am schlimmsten trieb und schon 1897 in einem Inselführer seinen besonderen Vorzug - nämlich "judenfrei zu sein" - hervorkehrte. Bajohr hat zahlreiche Regionalarchive aufgesucht sowie die Akten des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens ausgewertet, die lange in Moskau verschollen war, erklärt Ullrich. Der Autor beschränkt sich jedoch nicht nur darauf, die verschiedenen Erscheinungsformen des Bäder-Antisemitismus zu beschreiben, lobt unser Rezensent, sondern fragt auch nach den soziokulturellen Hintergründen und bezieht Gegenbestrebungen sowie das Ausland mit ein. Alles zusammen ergibt das für Ullrich ein stichhaltiges Bild vom Zusammenspiel des gesellschaftlichen und politischen Antisemitismus bereits vor dem Nationalsozialismus.