Frank Witzel

Inniger Schiffbruch

Roman
Cover: Inniger Schiffbruch
Matthes und Seitz Berlin, Berlin 2020
ISBN 9783957578389
Gebunden, 360 Seiten, 25,00 EUR

Klappentext

Die Beschäftigung mit dem Nachlass seines verstorbenen Vaters ruft im Erzähler von Frank Witzels autobiografischem Roman Erinnerungen an eine Kindheit wach, in der das Fernsehen den Vorabend erfindet. Eine Kindheit voller Disziplinierungsmaßnahmen wie Hausarrest, Tonband- und Fernsehverbot,in der die Eltern ihrem Kind unwissentlich den Schrecken der einst selbst erlittenen Trennung als unentwegte Drohung weitergeben. Eine Kindheit, in der ein Sonntag klar strukturiert, die Kittelschürze für die Hausfrau unabdingbar und die von Erwachsenen erdachte Mondfahrt Peterchens ein Horrorszenario ist wie das der Mainzer Fastnacht. Wie sehr sich das individuell Erlebte und kollektiv Erfahrene gegenseitig durchdringen, zeigt sich, wenn Witzel gerade nicht die inszenierten Bilder aus dem Familienalbum "Unser Kind", sondern vielmehr die ausgesonderten Aufnahmen mit der Frage zur Hand nimmt, ob nicht sie es sind, die Auskunft darüber geben können, wie etwas wirklich gewesen ist.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.02.2021

Rezensentin Sandra Kegel hält Frank Witzels neues Buch für doppelt geglückt. Als Mentalitätsgeschichte der alten Bundesrepublik wie als persönliche Rückschau auf die eigene Kindheit und die Kriegstraumata der Eltern. Witzels selbstkritische, mit allerhand Gewährsleuten von Walter Benjamin bis Hans Blumenberg bestückte, zwischen Realismus und Fantastik changierende Annäherungsweise an Literatur, eigene Träume, Alltagsmythen und den elterlichen Bungalow scheint Kegel sympathisch und erkenntnisträchtig - für den Autor selbst, aber auch für die geneigte Leserin.
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Rezensionsnotiz zu Die Welt, 16.05.2020

Sebastian Fuchs erkennt die prinzipielle Unabschließbarkeit des autobiografischen Erzählexperiments von Frank Witzel. Wie die Psychoanalyse kommen auch das Erinnern an die eigene Kindheit und an die Verfehlungen und Erziehungsmethoden der Eltern nicht an ein Ende, meint Fuchs. Dass der Rezensent sich dennoch gern mit Witzel und dessen Eltern auf die Couch legt, liegt an Witzels assoziativer Technik, die aus jeder betrachteten Handlung und Aussage das Unausgesprochene, die Diskrepanz zwischen dem Gesagten und dem Ausgesparten, in "modestem Grundton" herausfiltert, wie Fuchs erläutert. Die Kriegstraumatisierungen der Wirtschaftswundergeneration und des Autors Unfähigkeit zu trauern werden dabei gleichermaßen sichtbar, so Fuchs.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 02.04.2020

Rezensent Moritz Baßler hätte sich von Frank Witzel eine zukunftsweisendere Auseinandersetzung mit der frühen BRD gewünscht. Beim Nachdenken über die "Figurationen" der 50er Jahre scheint der Autor für Baßler deren "obsoletes Verfahren" zur Bedeutungsstiftung nicht loszuwerden: Innigkeit und Tiefe. Das Spiel aus Biografie, Briefen, Elternaufzeichnungen und Zeitgeschichtlichem, das Witzel laut Baßler durchaus quellenstark aufführt, führt leider "nicht ins Offene", meint er. Dass der Text das auch weiß, macht es für Baßler nicht besser.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 07.03.2020

Elke Schlinsog bewundert Frank Witzel für sein breites Erzählen, das vor allem aus dem eigenen Erleben schöpft. In seinem neuen Roman "Inniger Schiffbruch" erzählt Witzel von einer Kindheit in den sechziger Jahren der Bundesrepublik, von strengen Eltern, die ihre traumatische Kindheit vergessen wollen, von Kirchenmusik und dem internationalen Frühschoppen. Besonders eindrücklich imaginiert Witzel der Rezensentin zufolge die vergangene Zeit, wenn er im Haus seiner verstorbenen Eltern in Traumschleifen gezogen wird, in denen Benjamin, Bernhard und Adorno zu ihm sprechen.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 06.03.2020

Rezensent Helmut Böttiger bewundert, wie Frank Witzel sich mit seinem Buch aussetzt, indem er seine eigene Kindheitslandschaft in der frühen Bundesrepublik erkundet. Das Normale als das Pathologische kommt dabei für Böttiger zutage, verdrängte Kriegstraumata der Eltern, überkommene Moralvorstellungen. Wie Witzel ohne Bemühung um Fiktionalisierung "Erinnerungsstücke" sammelt, in die Abgründe seiner Familiengeschichte eintaucht und sich eigener Versehrungen bewusst wird, findet Böttiger bewegend, da es "vieles an Scham" freisetzt, wie er ahnt.
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