Georges-Arthur Goldschmidt

Die Befreiung

Erzählung
Cover: Die Befreiung
Ammann Verlag, Zürich 2007
ISBN 9783250105084
Gebunden, 204 Seiten, 19,90 EUR

Klappentext

Megeve in Hochsavoyen, im September 1944, Frankreich ist befreit, da taucht der uns aus den erschütternden Werken "Die Absonderung" und "Die Aussetzung" bekannte Bettnässer Arthur Kellerlicht aus seinem Bauernversteck wieder auf und kehrt ins Internat zurück. Er ist kein Kind mehr, gehört von nun an zu "den Großen" und ist doch noch nicht erwachsen. Das Wunder des Lebens nimmt von ihm vollauf Besitz, aber er schämt sich auch, verspätet das Verbotene, die allgegenwärtige und rätselhafte Geschlechtlichkeit zu entdecken. Die Lust am Spiel mit sich und die Strafe gehen miteinander einher, genauso wie in kaum kontrollierbaren Schüben immer auch Heimweh und Verzweiflung aufkommen. Zugleich hat er endlich Zeit für die Landschaft und für das Sehen und Merken. Stets ist der verwirrte Zögling sein eigener Beobachter bei jenem ernsten Spiel, in dem schamvolle Sexualität und ihre Bestrafung als Ventil für eine nicht wieder gutzumachende Schuld fungieren, die Schuld, überlebt zu haben.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.11.2007

Georges-Arthur Goldschmidts neueste Erzählung versteht Niklas Bender als intensivierte Fortführung älterer Texte des Autors. Wieder, schreibt Bender, geht es um eine autobiografisch grundierte Selbsterforschung, um Sexualität, Angst und Schuldgefühle. Die im Frankreich des Jahres 1944 angesiedelte Geschichte eines Jungen jüdischer Herkunft sieht Bender als bislang intimsten und explizitesten Teil von Goldschmidts "einzigartiger" Verbindung von jugendlicher "Sexualverwirrung" und "historischer Katastrophe". Zu bedenken gibt Bender, dass diese psychologisierende Erkundung von Abgründen einen weniger talentierten Autor sicher aufs Glatteis geführt hätte. Bei Goldschmidts Text hingegen befällt den Rezensenten ein Unwohlsein angesichts der "Wiederholung bekannter Ereignisse" und der Selbstgenügsamkeit einer wenn auch "sprachmächtig" erschriebenen "Selbstbefreiung des Autors".
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 22.11.2007

Rezensent Tobias Heyl begrüßt Georges-Arthur Goldschmidts Erzählung "Die Befreiung", die den Abschluss der autobiografischen Trilogie seiner Jugendjahre bildet. Die Geschichte über einen jüdischen Jungen, der sich sechs Jahre auf einem Bauernhof in den französischen Alpen verstecken musste und nun nach der Befreiung als Sechzehnjähriger in das nahe gelegene Internat zurückkehrt, wo er wieder aufgenommen wird, als wäre nichts passiert, zeichnet sich in seinen Augen durch die für Goldschmidt typische "beklemmende Spannung" aus. Heyl bescheinigt dem Autor, das emotionale Chaos des Jungen, der von seinen Erinnerungen immer wieder heimgesucht wird, seine sexuellen Schuldgefühle, Ängste und Obessionen dem Leser eindringlich vor Augen zu führen. Gefallen hat ihm dabei auch der eigene "etwas altertümlich" anmutende Erzählton Goldschmidts.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 08.11.2007

Als "großartige Studie über die Pubertät" vor dem Hintergrund des Holocaust lobt Rezensent Jan Bürger diese neue Erzählung. Im Grunde sei sie gar nicht neu, sondern eher eine Umformulierung älterer Texte. Trotzdem stelle sie alle früheren in den Schatten, glaubt Bürger, und George-Arthur Goldschmidt habe sich mit fast achtzig Jahren selbst überboten. Als Grund vermutet der Rezensent, dass es die Fiktionalisierung des eigenen Lebens wohl erlaubt, "alle Ausdrucks- und Schmerzgrenzen" zu überwinden, weshalb Goldschmidt nun ein besonders tiefes Eindringen in die Innenwelt seines Alter Egos ermöglicht hätte. Die geschilderten erotischen Irrungen scheinen gelegentlich etwas aus der Zeit gefallen zu sein, trotzdem findet Bürger wohl gerade die Schilderung der äußeren und inneren Nöte des Erzählers besonders eindringlich.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 08.10.2007

Der dritte Band der Savoyer Trilogie, in der Arthur Goldschmidt sich in "großer literarischer Form" mit seiner Kindheit im französischen Exil befasst, ist gleichzeitig das Schlüsselstück, meint Beatrix Langner. Wieder sei das Buch auf Deutsch geschrieben, wieder sei es ein "Exerzitium der Selbstbefreiung". In "langsamen, konzentrischen Kreisen" werde nun von einer Heilung erzählt, die mit dem Tag der Befreiung durch die Alliierten einsetzt, der Heilung von dem im Internat aufgebauten Selbsthass und der Selbstverneinung. Langner ist ein Anhänger Goldschmidts und seiner "kraftvoll lebendigen" Sprache, sie erfährt von ihm, wie sich Schuld in der Sprache fortpflanzen kann und wie ein Mensch durch den Verlust des Glaubens an das Gute in sich vernichtet werden kann.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 05.09.2007

Rezensentin Ina Hartwig feiert diese jüngste Erzählung von Georges-Arthur Goldschmidt, in der er sich erneut mit seiner eigenen Kindheit auseinandersetzt, die er ab 1939 in einem katholischen Internat in den französischen Alpen verbrachte. Das dortige "Sodom des Internatslebens" beschreibe der Autor mit einer solchen "psychischen und sprachlichen Intensität", dass man als Leser jedes Mal erneut hineingezogen werde. Gerade die Rutenschläge der strengen Internatsleiterin Fräulein Lucas sind es, die das Heimweh des jüdischen Jungen überdecken und ihm so zur Obsession werden. So wird der junge Mann nach seiner Flucht vor den Deutschen freiwillig in jenen "geschlossenen Raum einer verstörenden pädagogisch-erotomanen Szenerie" zurückkehren, der Schmerzgenuss ist Goldschmidt zum "Motor seines Lebens", zum "roten Faden seines Denkens" geworden. Die gegenseitige Durchdringung von Erzählung und Autobiografie mag die Rezensentin hier kaum zu verwundern: "Seine eigene Lebensgeschichte ist Literatur geworden."