Helga Schubert

Der heutige Tag

Ein Stundenbuch der Liebe
Cover: Der heutige Tag
dtv, München 2023
ISBN 9783423283199
Gebunden, 272 Seiten, 24,00 EUR

Klappentext

"Vielleicht ist einer von uns morgen schon nicht mehr da."Über fünfzig Jahre lang teilen sie ihr Leben. Doch nun ist der Mann schwer krank. Lange schon palliativ umsorgt, wird sein Radius immer eingeschränkter, der Besuch weniger, die Abhängigkeiten größer. Entlang der Stunden eines Tages erzählt Helga Schubert davon, wie man in solchen Umständen selbst den Verstand und der andere die Würde behält, wie es ist, mit einem todkranken Menschen durch dessen Zwischenwelten zu wandeln. Und davon, wie Liebe zu Erbarmen wird. Die Texte mäandern in der gemeinsamen und der eigenen Vergangenheit, sind von zartem Humor und frei von Pathos. Eine Liebeserklärung an den Mann an ihrer Seite und all die Dinge, die das Leben inmitten der Widrigkeiten des Alters lebenswert machen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 12.05.2023

Rezensentin Cornelia Geißler kann aus dem neuen Roman von Helga Schubert Kraft schöpfen. Die Schriftstellerin schildert hier aus der Ich-Perspektive den Alltag mit ihrem an Demenz erkrankten Mann, lesen wir: die aufwendige Pflege, gemeinsame Rituale, die Liebe zu ihm. Der Roman ist geprägt von Positivität und Ruhe, schreibt Geißler, die es inspirierend findet, wie sich die Erzählerin von den alltäglichen Widrigkeiten nicht unterkriegen lässt, auch wenn sich der Zustand ihres Mannes zusehends verschlechtert. Durch den ruhigen Erzählton fallen der Kritikerin pointierte Formulierungen besonders auf, wenn die DDR als "Diktatur der Gartenzwerge" bezeichnet wird, beispielsweise. Ein wenig irritiert ist sie lediglich von dem Pathos, mit dem kleine Momente zuweilen aufgeladen werden. Alles in allem aber liest sie ein berührendes Buch über den Abschied.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 08.04.2023

Wie das ist, als über Achtzigjährige einen noch mal mehr als zehn Jahre älteren Demenzkranken zu pflegen, lernt Rezensent Cornelius Wüllenkemper von Helga Schubert, Bachmannpreisträgerin 2020. Statt ihren Mann die letzte Lebenszeit im Hospiz verbringen zu lassen, kümmert sich die Autorin aufopferungsvoll und schreibt über die Mühen und Freuden dieser Aufgabe so berührend, dass sich für Wüllenkemper ein richtiger Sog einstellt, obwohl die Handlung der Kurzkapitel keinen Spannungsbogen aufweist. Statt Spannung gehe es um zutiefst Menschliches, das auch im hohen Alter noch erlernt werden kann und muss: "Das Loslassen, das Annehmen, es geht um das Friedenschließen." Der Kritiker grenzt das Buch von den auch soziologischen Überlegungen einer Annie Ernaux ab und bezeichnet es als "sehr persönliches, intimes Buch", das er ob seiner beeindruckenden poetischen Kraft gerne weiterempfiehlt.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 30.03.2023

Rezensentin Iris Radisch ist berührt von Helga Schuberts autobiografischer Erzählung, in dem die 83-Jährige Autorin von der Einsamkeit des mecklenburgischen Landlebens und der Pflege ihres schwerkranken Mannes erzählt. So ausführlich wie eindringlich schreibt Schubert über die zurückgezogene Existenz des Paares, findet Radisch, und rutscht dabei doch nie ins Sentimentale ab. Besonders bewegt ist die Kritikerin von den "Lebensendgesprächen", die Schubert mit ihrem Mann über Beerdigungsarrangements und das Sterben an sich führt. Gleichzeitig ist sie beeindruckt von der Zuversicht, die die Autorin in manchen Passagen trotz allem mitschwingen lässt.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 18.03.2023

Fast ein wenig ungläubig ist Rezensentin Barbara Vorsamer anfangs noch bei der Lektüre von Helga Schuberts Buch. Denn man könne nur Staunen über die Zuversicht und das Glücksgefühl, das die 83-jährige Erzählerin immer noch empfinde - immer noch, obwohl sie sich, wie die Autorin, um ihren schwer dementen 96-jährigen Ehemann kümmert. So finden sich in der Schilderung des harten Pflegealltags, in der herausgerissene Katheter, das Nicht-Erkennen der eigenen Ehefrau oder Unfälle mit dem Rollstuhl nicht ausgelassen werden, auch immer wieder kleine Momente des Glücks, gibt Vorsamer wieder: eine singende Amsel, ein Sahnejoghurt in der Sonne. Zusätzlich erweitere Schubert die Geschichte um einige Rückblicke in die gemeinsame Vergangenheit in der DDR - erneut eine "Irritation" für die Kritikerin, wie unverbittert auch hier von den Opfern der Erzählerin für ihren Ehemann erzählt werde. Ein Buch voller harter und schöner Momente, das Einblicke in einen Alltag bietet, die der literarischen Sphäre oft nur indirekt zugänglich bleiben, lobt Vorsamer.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 11.03.2023

Rezensent Mark Siemons liest bei Helga Schubert das aufmerksame Porträt einer klein gewordenen Welt: Schubert pflegt ihren demenzkranken Ehemann und erzählt minutiös und behutsam von kleinen Alltagsmomenten, die durch die Krankheit doch so anders sind - wie viel Konzentration braucht es plötzlich, um dem Mann morgens die Zähne zu putzen. Auch mit ihrer poetischen Sprache setzt sich die Autorin dafür ein, dass ein "Leben ausatmen" darf, liest Siemons bei ihr heraus. Die Gedanken, die sie sich auch über andere Sterbende und Suizidgefährdete macht, führen ihn vom Thema weg und gefallen ihm weniger, aber die schonungs- und furchtlose Offenheit, mit der Helga Schubert einem engen Lebensradius begegnet, sind für ihn eine besondere Leseerfahrung.