Helmut C. Jacobs

Der Schlaf der Vernunft

Goyas Capricho 43 in Bildkunst, Literatur und Musik
Cover: Der Schlaf der Vernunft
Schwabe Verlag, Basel 2006
ISBN 9783796522611
Gebunden, 681 Seiten, 84,00 EUR

Klappentext

Mit 101 Abbildungen, davon 5 in Farbe. Zu Goyas wichtigsten Werken zählen ohne Zweifel die 1799 erschienenen Caprichos, ein Zyklus von achtzig Radierungen, dessen bekanntestes Blatt Capricho 43 ist. Nicht zuletzt aufgrund seiner vieldeutigen Bildlegende "Der Schlaf" oder "Der Traum der Vernunft gebiert Ungeheuer" ist diese Darstellung eines schlafenden Mannes, der von allerlei Nachtgetier bedroht wird, eines der am meisten gedeuteten Bilder der spanischen Kultur überhaupt. Zu Recht gilt Capricho 43 als programmatisches Bild, als Signatur der sich ihrem Ende zuneigenden Epoche der Aufklärung an der Schwelle des 18. zum 19. Jahrhundert, als markante Bruchstelle, in der die Moderne sich mit wesentlichen Charakteristika durchsetzt: etwa in der Frage nach den Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen der künstlerischen Produktivität und Phantasie, in der Frage nach dem Verhältnis von Vernunft und Einbildungskraft im schöpferischen Prozeß. So geht es über die Interpretation eines einzelnen Bildes hinaus um grundsätzliche ästhetische, künstlerische und anthropologische Fragen, die in diesem Bild fokussiert werden und in einer über zweihundertjährigen Rezeptionsgeschichte immer wieder neu gestellt und in unterschiedlicher Weise beantwortet wurden.
Die Untersuchung gliedert sich in fünf Teile. Der erste Teil ist der Entstehungsgeschichte, der Struktur und dem Gehalt des Bildes als vieldeutige Text-Bild-Form gewidmet. Dabei zeigt sich, dass der komplexe, streng proportionale Bildaufbau von mehreren Ordnungsprinzipien geprägt ist, die miteinander kontrastieren und sich dadurch gegenseitig relativieren. Im zweiten Teil wird die körperbezogene und anthropologische Dimension von Capricho 43 ausgelotet, nicht nur in bezug auf die Gesten- und Körpersprache des Schlafenden, sondern auch in Hinblick auf Goyas Konzeption der Universalsprache. Im Zentrum des dritten Teils stehen die Begriffsgeschichte und Theorie der Phantasie zwischen Vernunft und Wahnsinn. Vor diesem Hintergrund werden die innovativen Züge in Goyas Konzeption der künstlerischen Phantasie bestimmt. Die entfesselte, zügellose Phantasie bildet die Basis für eine neue Ästhetik des Monströsen, in radikaler Abkehr von klassizistischen Vorstellungen. Im vierten Teil wird Capricho 43 zu Bildern und Texten in Beziehung gesetzt, die vor, während und unmittelbar nach dem Blatt entstanden sind, wobei auch über ein Dutzend zeitgenössische handschriftliche Kommentare analysiert werden.
Im fünften Teil werden die Rezeption und intermediale Transformation von Capricho 43 als Inspirationsquelle für neue Kunstwerke vorgestellt, von 1799 bis zur Gegenwart. Diese interkulturellen Transfer- und Rezeptionsprozesse sind nicht nur in der Bildkunst, fiktionalen Literatur und Essayistik präsent, sondern auch in Musik, im Film und neuerdings in digitalen Medien.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 31.03.2007

Großen Eindruck hat Helmut C. Jacobs' voluminöses Werk über Goyas "Schlaf der Vernunft" bei Ralf Konersmann hinterlassen. Schnell wird ihm klar, dass die Bedeutung des Satzes "Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer", den Goya unter die Radierung setzte, ebenso wie die Bezüge zwischen Wort und Bild nur auf den ersten Blick unmittelbar verständlich sind. Das äußerst vieldeutige und schwer erschließbare Werk nämlich zählt zu den großen Rätseln der europäischen Geistesgeschichte, an dem sich Legionen von Interpreten versucht haben. Jacobs? Untersuchung führt diesen Umstand für Konersmann eindringlich vor Augen. Er würdigt die Arbeit als den "grandiosen" Versuch einer Werkanalyse und Wirkungsgeschichte integrierenden Gesamtinterpretation. Besonders unterstreicht Konersmann die Abschnitte über die Entwurfsvariationen bis hin zur Endfassung sowie über die unterschiedlichen Bedeutungen von "sueno", das eben nicht "Schlaf" und "Traum" sondern auch "Unbeständigkeit", "Ermattung" oder "Verwirrung" bedeuten kann.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.03.2007

Fleißig war Helmut C. Jacobs durchaus, muss Henning Ritter anerkennen. Knapp siebenhundert Seiten zu Francisco de Goyas Radierung "Schlaf der Vernunft" zu verfassen, das ist "monumental". Jacobs bette das Werk umfassend in das kulturelle und gesellschaftliche Leben der Zeit ein, vernachlässigt dabei aber zwei Punkte, die in den Augen Ritters entscheidend sind. Zum einen lege Jacobs sträflich wenig Wert auf die eigenen Aussagen Goyas, zum anderen übersehe der Autor, dass Goya sich bewusst von seiner Zeit distanzierte. Auch sein Werk habe in der nachfolgenden Kunst kaum Niederschlag gefunden. Goya war und bleibt ein isolierter Einzelgänger, ein Solitär, insistiert Ritter, und die rein geistesgeschichtliche Einordnung trage deshalb nur wenige Früchte.
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