Imre Kertesz

Liquidation

Roman
Cover: Liquidation
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003
ISBN 9783518414934
Gebunden, 150 Seiten, 17,90 EUR

Klappentext

Aus dem Ungarischen übersetzt von Laszlo Kornitzer und Ingrid Krüger. Für den Verlagslektor Keserü wird zehn Jahre nach der Wende das "Liquidation" betitelte Theaterstück, das er aus dem Nachlass seines Freundes B. gerettet hat, zum Gegenstand obsessiver Erinnerungsarbeit. B., in Auschwitz geboren, hat sich 1990 überraschend umgebracht, in seinem Stück jedoch gespenstisch genau die Situation vorweggenommen, die die Hinterbliebenen dann in der Realität erleben sollten: Verwirrung, private Zerwürfnisse, Schlammschlachten aller Art. Umso verzweifelter, als hinge der eigene Lebenssinn davon ab, fahndet Keserü nach dem "großen Lebensroman" B.'s, den er im Nachlass zu finden gehofft hatte...

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 09.10.2003

Iris Radisch sieht das Ende einer Epoche gekommen: "Romane von solcher Ernsthaftigkeit über das größte Verbrechen der menschlichen Geschichte" werde es zukünftig nicht mehr geben, Bücher, die nicht von der Wirklichkeit - "im alten, sonntäglichen Sinn des Wortes" - handeln können, weil die Wirklichkeit seit Auschwitz den Mördern gehört, Bücher, die von der Zerstörung nicht nur handeln, sondern in ihr wurzeln. Imre Kertesz habe mit "Liquidation" ein weiteres dieser Bücher geschrieben, einen Roman, der hässlich ist, weil er hässlich sein muss, eine Geschichte voll "narrativer Unfreundlichkeit" - große Literatur. Sie handelt nach dem bezeugenden "Roman eines Schicksallosen" dieses Mal von Nachgeborenen, "die den Ursprung ihrer Verletzung kaum kennen", von einem Schriftsteller, der "nichts erzählen kann außer der Geschichte einer Zerstörung, die namenlos bleibt". Was bleibt in der Welt nach Auschwitz, wenn es keine Zeugen mehr gibt, nur noch den stummen Griff der Zerstörung? Der Schriftsteller tötet sich selbst und hinterlässt ein Theaterstück, das sich Jahre nach seinem Tod als Prophezeiung erweist; sein Romanmanuskript aber lässt er verbrennen, vielleicht, um Raum für die Möglichkeit eines anderen Weiterlebens zu schaffen, für das Glück, auch nach Auschwitz, schreibt Radisch. "Kertesz ist kein Fanatiker", erklärt sie - "Liquidation ist ein einzigartiges literarisches, menschliches und historisches Dokument, das hellsichtig genug ist, von seiner eigenen Auslöschung zu handeln."

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 08.10.2003

Mit der Sorge seiner Bewunderer, wie der Autor nach dem Nobelpreis schreiben würde, eröffnet Ina Hartwig ihre Besprechung, - um mit einem überschwänglichen "meisterhaft" zu schließen. Sie stellt dem an Kafka geschulten Vor-dem-Gesetz-Verharren der Kertesz'schen Überlebenden ein in diesem Buch neues "Beckett'sches Lachen" an die Seite und stellt zudem ein für Kertesz neues, "atemberaubendes Tempo" fest. Es geht in diesem Abschluss der Tetralogie wieder um das Schicksal der Schicksallosigkeit nach dem Überleben von Auschwitz, und Ina Hartwig bemerkt, dass in keinem der vorherigen Bücher das Wort Auschwitz so häufig fällt "während zugleich so wenig von der Lagerwirklichkeit die Rede ist". Während die Exfrau des Autors Be, (er ist laut Hartwig "Kraftzentrum" des Romans), auf Geheiß von Be das Manuskript über eine nicht erzählbare Geschichte, nämlich die des Überlebens, verbrennt, mutmaßt Ina Hartwig, dass an dieser Leerstelle etwas wie der "Roman eines Schicksallosen" von Kertesz stehen müsste. Mit ihrer sprachtheoretischen Überlegung, dass Kertez nämlich in der Gestalt des Be Auschwitz als überdeterminiertes Zeichen sichtbar gemacht habe, zeigt sie auf, dass Kertesz etwas schier unmöglich Scheinendes virtuos bewältigt hat.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 08.10.2003

Nach Meinung der Rezensentin Anne Kraume ist der neuen Roman von Imre Kertesz ein recht komplexes Buch - und das nicht nur, weil eigentlich zwei Romane und ein Theaterstück in diesem einen Roman versteckt sind. Es geht um einen Budapester Intellektuellen, der mit dem Verlust der alten politischen Struktur auch die Bodenhaftung mit der "sogenannten Wirklichkeit" verliert. Für ihn wird ein Stück, das ein Freund vor seinem Selbstmord geschrieben hat, "zum Gegenstand obsessiven Gedenkens und Erinnerns" - nicht nur an den in Auschwitz geborenen Freund, sondern auch an sein eigenen Leben. Außerdem fahndet der Protagonist nach einem Roman, den er im Nachlass seines Freundes vermutet. Kraume vermutet, dass der Leser diesen verschollenen Roman kennen könnte, dass es sich dabei nämlich um Kertesz' Roman "Kaddisch für ein nicht geborenes Kind" handeln könnte. Auch die Erzählstruktur ist ähnlich komplex wie die Inhalte: die vielen Perspektivwechsel der Erzählung führen zu "einem vielschichtigen Nebeneinander von unterschiedlichen Szenen und Beobachtungen der 'sogenannten Wirklichkeit'", bei der sich der Autor nach Kraumes Meinung durchaus der Nichterzählbarkeit eines Leben, das in Auschwitz begann, bewusst ist: "Trotzdem fährt er fort, seine und unsere dunkle, zusammenhangslose Welt schreibend zusammenzuhalten."

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 07.10.2003

Wie in seinen bisherigen Werken, schreibt Christiane Zintzen, stellt Imre Kertesz auch in diesem Buch "das Grauen des Überlebens vor (und nach) dem Nichts zur Debatte": Kann es für den Überlebenden eine Erlösung geben von der "Antimaterie des Humanismus", die der Holocaust darstellt? Ein Schriftsteller, ein Überlebender, tötet sich selbst und lässt sein Werk verbrennen, nachdem ein totalitäres System - der sozialistische ungarische Staat - zusammengefallen ist; das "Prinzip der Vernichtung" pflanzt sich so fort, die selbstgestellte Aufgabe des Schriftstellers, "die Chiffre namens Auschwitz zu entschlüsseln", erweist sich als unerfüllbar, versucht Zintzen den Inhalt zusammenzufassen. Kertesz entwerfe eine "Versuchsanordnung", mit der er das romantische Prinzip des "Spiegel-Spiels von Wirklichkeiten" aufgreife: Im Roman namens "Liqidation" lese ein Lektor ein vom Schriftsteller hinterlassenes Stück gleichen Namens, das die Ereignisse der erzählerischen Gegenwart schon vorwegnehme - kein ursprünglicher Text kann existieren, keine "Aussöhnung von Widersprüchen" ist möglich. Indem er die Wahrheit der Vernichtung erzählt, bekräftigt Kertesz "durch seine Sprach und Fügungskunst allerdings auch diejenige der Poesie", schreibt Zintzen. Ein Meisterwerk.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 06.10.2003

Imre Kertesz' neuer Roman "Liquidation" gibt Franziska Augstein Gelegenheit zu einem größer angelegten Artikel über den ungarischen Autor, dessen Bücher vor dem Hintergrund der Erfahrung des KZ-Überlebenden, aber auch vor dem Hintergrund der Erfahrung von zwei Diktaturen zu lesen sind. Kertesz ist nämlich der Ansicht, berichtet Augstein, dass er ohne den Stalinismus seinem Leben, ähnlich wie seine Kollegen Levi oder Amery, sonst ein Ende gesetzt hätte. Auch "Liquidation" handelt weniger vom Leben als davon, wie man Leben bleibt, schreibt Augstein. Da gibt es einen ehemaligen KZ-Häftling und Schriftsteller B., der sich das Leben nimmt, eine ehemalige Ehefrau, die es mit ihm nicht mehr ausgehalten hat, und einen Lektor, der auf einen nachgelassenen Roman hofft. Die Freiheit, die sich für Kertesz nun durch das Ende der Diktaturen ergeben hat, spiegelt sich in der Freiheit und Vielfalt der Formen, stellt die Rezensentin fest; Kertesz wechsele mehrfach die Erzählperspektive, aber auch von Prosa zu einem Theaterstück. Deutschen Lesern, sinniert Augstein, täten Kertesz-Bücher gut: er habe die Erfahrung der Verdammnis gleich einer negativen Theologie ins Existenziell-Allgemeine übertragen: alle sind bei Kertesz verdammt, so Augstein, Juden, Ungarn und Deutsche.
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