Irene Nemirovsky

Suite francaise

Roman
Cover: Suite francaise
Albrecht Knaus Verlag, München 2005
ISBN 9783813502602
Gebunden, 512 Seiten, 22,90 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer. Über 60 Jahre lag der Roman "Suite francaise", das Vermächtnis der einstigen französischen Starautorin Irene Nemirovsky, in einem Koffer, bis der Zufall dieses Sittengemälde aus den Zeiten des Zweiten Weltkriegs ans Licht brachte. "Suite francaise" erzählt mitten aus dem Krieg - als sei die Zeit angehalten. Der erste Teil "Sturm im Juni" schildert die Zeit im Sommer 1940, als die deutsche Armee vor Paris steht und die Bewohner fluchtartig die Stadt verlassen. Der zweite Teil "Dolce" spielt 1942 in einem von den Deutschen besetzten Dorf in der Provinz. Irene Nemirovsky hält in ihrem Roman Frankreich einen Spiegel vor. Mit luzidem psychologischen Blick beobachtet sie ihre Mitmenschen, beschreibt Niedertracht und Selbstgefälligkeit, Hoffnung und Illusion, Lebensgier und die große Sehnsucht nach Frieden.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 23.12.2005

Rezensent Alex Rühle kniet vor Irene Nemirovskys "riesigem Roman", für dessen Beschreibung er fast nur emphatische Superlative verwendet. Aus seiner Sicht handelt es sich bei diesem "detailgenauen Panorama" und "großartig realistisch wirkendem Tableau" mit seinem "kakophonen Stimmengewirr" um den "wichtigsten und ehrlichsten" Roman über das besiegte Frankreich. Um "eine Art Tolstoisches Echolot", aber auch um das beeindruckende Beispiel eines "historischen Romans als Live-Mitschnitt". Die in Auschwitz ermordete Autorin lasse ihre Figuren im Moment der Niederlage Frankreichs gegen Nazideutschland so blind durch dieses Chaos irren, "wie Stendhals Fabrizio durch die Schlacht von Waterloo". "Vichy, Petain, die Demarkationslinie", all die historischen Begriffe kämen "mit keiner Silbe vor". Stattdessen konzentriere sich die Autorin "auf den unendlichen Alltag" im Moment der Niederlage im Juni 1940, als Paris erobert und von seinen Bewohnern fluchtartig verlassen wird. Auf fünf Kapitel habe Nemirovsky ihren Roman angelegt. Zwei konnte sie Rühle zufolge fertig stellen. Bereits das erste müsste "der Traum eines jeden Kameramanns" sein: "Nicht enden wollende Fahrten durch die Lüfte, durchs Gewimmel der panischen Menschen." Über allem schwebe die Erzählerstimme und finde alle Individuen im Chaos immer wieder. Zur Qualität der Edition trägt auch die Tatsache bei, dass die Tagebucheinträge Irene Nemirovskys und ein Teil ihrer Korrespondenz mit ihrem Verleger Michel Albin beigefügt wurden.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 08.12.2005

Eigentlich sei der zweiteilige Roman der russisch-jüdischen Emigrantin Irene Nemirovsky unvollendet geblieben, lässt uns Sibylle Becker-Grüll wissen. Das Romanmanuskript entstand 1940/41 im deutsch besetzen Frankreich und überlebte die Autorin, die 1942 in Ausschwitz ermordet wurde, in einem Koffer. Nach dem Kompositionsprinzip der Suite arrangiert, sollte es ein auf fünf Bände angelegtes Epos werden, dass ein Zeugnis ihrer verlorenen Zeit geben sollte. Auch in fragmentarischer Form sieht die Rezensentin das Werk als einen "großen literarischen Wurf von "beeindruckender Erzählkraft" an, in dem der "Tod stets auf der Lauer liege". Mit für ihre Zeit modernen Stilmitteln aus Film, Musik und Geräuschen habe Irene Nemirovsky eine "multimediale Sprachkomposition" über die ersten zwölf Monate deutscher Besatzungszeit geschrieben. Auf suggestive und psychologische Weise füge sie die individuellen Schicksale ihrer Protagonisten ineinander, die von nichts anderem als einem Leben in Krieg und Flucht zu erzählen hätten.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 19.10.2005

Ohne etwas über das Schicksal von Irene Nemirovsky zu wissen, lässt sich dieses Romanfragment, das zwischen 1941 und 1942 entstanden ist und bei seinem Erscheinen im letzten Jahr in Frankreich zur "Sensation" wurde, gar nicht begreifen, betont Ina Hartwig. Feierte die Autorin, deren Familie vor der Russischen Revolution aus Kiew floh, zunächst in Frankreich literarische Erfolge, wurde sie seit Oktober 1940 als Jüdin mit einem Veröffentlichungsverbot belegt, 1942 verhaftet und wenig später in Auschwitz ermordet, berichtet die Rezensentin. In ihrem Roman deckt Nemirovsky mit "brutalem Spürsinn"die "egozentrischen, feigen, deprimierenden" und dabei manchmal "unfreiwillig komischen" Seiten Frankreichs während der Zeit der deutschen Besatzung auf. Dabei nehme sie bei keiner Bevölkerungsgruppe ein Blatt vor den Mund und räume mit dem Resistance-Mythos auf, wonach die allermeisten Franzosen sich gegen die Kollaboration gewehrt hätten. Sowohl die Bourgeoisie als auch die Aristokratie und die Künstler und Intellektuellen werden wegen ihres Egoismus' und Geizes und ihres Snobismus "so genüsslich wie gnadenlos" vorgeführt, stellt die Rezensentin fest. Das Werk ist wie eine Sinfonie auf fünf Teile angelegt, allerdings sind nur zwei Kapitel zu Ende geführt worden, die "weitgehend unverbunden nebeneinander stehen", erklärt Hartwig. Das erste Kapitel berichtet von der Besetzung von Paris und der Flucht der Stadtbevölkerung, die anhand von einigen wenigen Figuren geschildert wird, das zweite Kapitel erzählt vom Leben in einem besetzten Dorf, in dem sich eine junge französische Frau in einen Wehrmachtsoffizier verliebt. Hartwig findet es "beeindruckend", wie Nemirovsky den "Spagat aus Süffisanz und Charakterkunde, aus Provokation und Einfühlung" meistert. "Schockierend" findet sie dagegen, wie konsequent die Autorin ihre eigene Lebenssituation und die Gefahr, in der sie sich während der Niederschrift befand, ausspart. Insgesamt preist sie das Buch selbst in unvollendetem Zustand als "großartiges, bewegendes und überaus kluges" Werk, das auch eine "Herausforderung für die deutsch-französischen Beziehungen" heute darstelle.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 19.10.2005

Den Rezensenten Karsten Kredel bringt das Romanfragment der in Frankreich lebenden Exilrussin Irene Nemirovsky, die 1942 von den Nazis in Birkenau ermordet wurde, richtig ins Schwärmen- obwohl die Autorin von den angestrebten fünf Teil ihrer "vielstimmigen Komposition" nur zwei vollenden konnte. In Kredels Augen ist der Roman nicht nur ein stimmiges Gesellschaftsporträt, sondern eine "literarische Sensation - multiperspektivisch erzählt, schnörkellos, sprachlich reich, voller Zartgefühl und ganz unsentimental." Die gelungene Übersetzung transportiert das seiner Meinung nach auf angemessene Weise. Der Blick auf die implodierende Gesellschaft ist zwar weitgehend pessimistisch, doch schaffe es die Autorin, dass dieser negative Ausblick nicht die Erzählung dominiert.