Jonathan Coe

Der Regen, bevor er fällt

Roman
Cover: Der Regen, bevor er fällt
Deutsche Verlags-Anstalt (DVA), München 2009
ISBN 9783421043672
Gebunden, 298 Seiten, 18,95 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Andreas Gressmann. Eine Handvoll Fotos und ein Stapel selbst besprochener Tonbänder, das ist Rosamonds Vermächtnis an Imogen, die blinde Enkelin ihrer Cousine Beatrix. Auf den Bändern erzählt Rosamond die Familiengeschichte und findet nach und nach Worte für jenes Unglück, das zu Imogens Erblindung führte.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 02.07.2009

Glaubt man Julika Griem, so hat Jonathan Coe alle drohenden Klippen seiner von Tragödien gezeichneten Familiengeschichte umschifft und einen großartigen Roman geschrieben. Erstmals begibt sich der englische Autor darin auf ein von Frauen beherrschtes Terrain, indem er von mehreren Mütter-Töchter-Generationen einer Familie erzählt, die als eine "Abfolge von Vernachlässigung und Überforderung" erscheint, erklärt die Rezensentin. Der erzählerische Einfall, die Geschichte aus der Sicht der verstorbenen Tante Rosamond darzustellen, die anhand von 20 Fotos ihrer blinden Großnichte Imogen die familiären Tragödien auf nachgelassenen Tonbänder auseinanderlegt, preist Griem als glücklichen "Kunstgriff", mit dem der Stoff für sentimentale Genreschilderungen verfremdet und gebannt wird. Damit erreiche Coe zudem, dass eindrücklich die grundsätzliche "Unabschließbarkeit familiärer Konflikte" augenfällig werde, so die Rezensentin beeindruckt, die deshalb auch gutheißt, dass der Roman keine einfache Sinnstiftung anbietet. Auch das Motiv der lesbischen Liebe findet der Rezensent geschickt eingeflochten.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.05.2009

Man liest das schon gern, dieser Roman ist, so der Rezensent Gerhard Schulz, "a good read". Klingt wie ein Kompliment, ist aber, wie sich sogleich herausstellt, sehr vergiftet. Denn das Schmökerhafte des Romanciers Coe, der einmal eher experimentell anfing, hat seinen Preis: Einen Mangel an Komplexität, einen Rückfall in die Romanformen des 19. Jahrhunderts und, am schlimmsten, einen erstaunlich primitiven Abstammungsdarwinismus - so Schulz. Vorgestellt wird in "Der Regen, bevor er fällt", eine Familie, fast ausschließlich Frauen. Und erklärt wird aus dem Charakter der Stammmutter, warum aus den Töchtern und Nichten und Enkelinnen die problematischen Menschen werden mussten, als die sie Coe nun schildert. Der Verlag vergleicht das Werk mit Ian McEwans "Abbitte" - das aber findet Schulz, der deutlich unerfreut klingt, viel zu hoch gegriffen.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 12.03.2009

Insgesamt hat Margret Fetzer der generationenübergreifende Familienroman des Briten Jonathan Coe zugesagt, auch wenn sich die Lektüre stellenweise anstrengend gestaltete. Das liegt nach Fetzer an der subjektiven und teilweise zusammenhanglosen Erzählstimme der Protagonistin Rosamond, die sich posthum mittels Tonbändern und Fotografien an ihre weibliche Nachkommenschaft wendet: vornehmlich die weitläufig verwandte blinde Imogen. Die Geschichte geht zurück bis in die Zeit des Zweiten Weltkriegs und arbeitet die von physischen und psychischen Verletzungen geprägten Beziehungen zwischen Müttern und Töchtern dreier Generationen und die daraus resultierenden Widersprüche auf, die sich laut Rezensentin darin ausdrücken, dass die geschilderten Frauenleben zugleich "frei und determiniert" waren. Das gilt auch für die Perspektive der homosexuellen Erzählerin, die den "Gegensatz zwischen männlich und weiblich" untergrabe, was der Rezensentin zufolge nicht das geringste Verdienst des Romans ist.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 12.03.2009

Perfekt findet Rezensentin Tanya Lieske diesen Familienroman über vier Generationen von Müttern, der ihren Informationen zufolge einen Zeitraum von achtzig Jahren umfasst. Das Besondere an der Komposition dieses Buchs ist aus ihrer Sicht, wie Jonathan Coe die  chronologische Zeitstruktur seines Stoffes verwarf und hier nun eine "größtmögliche Gegenwart mehrerer Zeiten" erreicht und durch Überlagerung von Zeiten und Wahrnehmungen Koinzidenzen entstehen lässt. Auch bewegt sie manches an diesem Buch, die blinde Imogen zum Beispiel, für die Rosamund, eine andere Figur des Buchs, am Tag ihres Selbstmordes noch Kassetten bespricht. Doch wird Lieskes Leserglück durch allzu große Perfektion des Romans getrübt, der, wie die Rezensentin das beschreibt, vom Leben handelt, ohne selbst die Delle aufzuweisen, die den Leser wissen lasse, das "alles, was lebt, auch mal hingefallen sein muss".
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