Marguerite Yourcenar

Anna, Soror ...

Erzählung
Cover: Anna, Soror ...
Manholt Verlag, Bremen 2003
ISBN 9783924903053
Gebunden, 128 Seiten, 18,00 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Anna Ballarin. Diese Erzählung ersetzt uns in das Neapel des späten 16. Jahrhundert. Im Schutz des mächtigen Castel Sant' Elmo wachsen Anna und Miguel auf, die Kinder des Festungskommandanten Don Alvaro. Wie mit Pinselstrichen zeichnet die Autorin das heiße, trockene, aber auch von üppigem Weinbau geprägte Hinterland des südlichen Italiens. Nach dem frühen Tod der Mutter verstärkt sich die enge Beziehung der Geschwister noch mehr, bis sie eines Tages den Punkt überschreitet, der schon im Alten Testament erstaunlich ausführlich thematisiert wird...

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 13.06.2003

Ein Meisterwerk von riesenhafter Ambition und ebenso großer Kunstfertigkeit, jubelt Sibylle Cramer. Die nachgelassene Erzählung, ein Jugendwerk von Marguerite Yourcenar, handelt von der verbotenen Liebe zweier neapolitanischer Geschwister des 16. Jahrhunderts, Anna und Miguel; sie handelt aber auch, schreibt Cramer, von einem "Moment des Dazwischen" - zwischen zwei historischen Epochen, zwischen zwei geistigen Kulturen - und damit vom Geist der Geschichte selbst, der im Wandel besteht. Besonders Anna, die Zeit ihres Lebens an den "fünf Tagen und fünf Nächten eines vollkommenen Glücks" festhält, während sich ihre äußere Existenz wandelt und sie selber zur Greisin wird, ist "die überlebensgroße Gestalt einer festgehaltenen Weltsekunde" - mitten in der Verfallenheit an die Zeit. In Yourcenars "Epochengemälde" erhält sie, so Cramer, die "modellhafte Statur einer vormodernen Existenz".
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 07.06.2003

Der nun anlässlich ihres hundertsten Geburtstags erstmals auf deutsch erschienene Roman ("glänzend" übersetzt von Anna Ballarin) "Anna, soror" von Marguerite Yourcenars (1903 bis 1987) hat Rezensent Steffen Richter fasziniert. Dieses frühe Werk der Autorin führt seines Erachtens geradewegs ins "Zentrum ihrer poetischen Überzeugungen". Die damals vorgebrachte, teils recht hämische Kritik an dem ergreifenden Inzest-Drama findet Richter nicht ganz gerechtfertigt. Denn wie Yourcenar die von Gefühlen der Schuld und des Verbotenen begleitete Liebe der Geschwister beschreibt - ohne Sentimentalität und Klischee -, findet Richter "geradezu sensationell". Selten sei literarisch präziser in kurzen, zuweilen lakonische Sätze erwiesen worden, lobt Richter, "dass das Bewusstsein von Freiheit umso klarer ist, je härter die einschränkenden Grenzen markiert sind." Einen wesentlichen Grund für Yourcenars Erfolg sieht er denn auch darin, dass sie "ohne jegliche Einfalt" von den wichtigen Dingen im Leben spreche: der Liebe und dem Tod.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 07.06.2003

Um Inzest geht es, mit aller Vorsicht. Es spielt die Geschichte geschwisterlichen Begehrens zwischen Anna und Miguel im 16. Jahrhundert in Neapel, erzählt wird sie in Blicken und Beinahe-Berührungen, als "Ahnung und Ankündigung" des nie Geschehenden. Die Liebe nimmt ein abrupt Ende, Miguel stirbt, und Anna heiratet einen Mann, mit dem sie nicht glücklich wird. Die Erzählung schrieb Marguerite Yourcenar mit 22 Jahren, auf dem Weg zur Endfassung, die 1981 erschien, erlebte das Werk aber zahlreiche Überarbeitungen. Der Rezensent (Kürzel tlx.) lobt die Sprache als "strikt und klar", der Text als ganzer erscheint ihm als "kleiner Monolith".