Martin Dehli

Leben als Konflikt

Zur Biografie Alexander Mitscherlichs
Cover: Leben als Konflikt
Wallstein Verlag, Göttingen 2007
ISBN 9783835300637
Gebunden, 320 Seiten, 29,90 EUR

Klappentext

Der Arzt, Psychoanalytiker und Sozialpsychologe Alexander Mitscherlich (1908 - 1982) hat mit seinen politischen Stellungnahmen und sozialpsychologischen Analysen das intellektuelle Profil der Bundesrepublik maßgeblich geprägt. Werke wie "Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft" oder "Die Unfähigkeit zu trauern" stehen noch heute für wichtige Entwicklungen und Stimmungslagen der westdeutschen Gesellschaft in der Nachkriegszeit.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.06.2007

Mit hohem Lob bedenkt Rezensent Lorenz Jäger Martin Dehlis Biografie des Psychoanalytikers Alexander Mitscherlich der als einer der intellektuellen Gründungsväter der BRD und prominenter Zeitkritiker gilt. Dass es sich um eine Dissertation handelt, merkt man der Arbeit seiner Ansicht nach nicht an, so weit sieht er sie über den Durchschnittsproduktionen des akademischen Betriebs stehen. Er attestiert Dehli, Mitcherlichs Lebenswerk, darunter berühmte Arbeiten wie "Die Unwirtlichkeit unserer Städte", "Die vaterlose Gesellschaft" und "Die Unfähigkeit zu trauern" mit "eindringlichem Blick" zu analysieren. Neben der Würdigung der Lebensleistung Mitcherlichs findet Jäger auch kritische Anmerkungen, etwa die Beobachtung, die Stimme der Patienten komme den Werken des Analytikers zu kurz. Zudem gelingt es dem Autor seines Erachtens, in den gedanklichen Motiven Mitcherlischs dessen eigene Lebensproblematik erkennbar werden zu lassen. Resümierend prophezeit er dem Werk, es werde in der Geschichte der Psychoanalyse "Epoche machen".
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 30.05.2007

Rezensent Ludger Lütkehaus sieht schon Apologetiker und Moralapostel gleichermaßen ihre Messer wetzen, denn dieses Buch werde "Konflikte" gebären. Der Autor Martin Dehli habe gründlich recherchiert und versuche, das weiße Arzthemd Alexander Mitscherlichs mit dessen intellektueller Vergangenheit vor 1945 zu beflecken. Seine wichtige Kehrtwendung habe Mitscherlich bei den Nürnberger Prozessen, die dieser beobachtet hat. Mitscherlich sei nun keinesfalls ein Nazi gewesen, aber er habe den Protagonisten und dem Denken der "konservativen Revolution" nahe gestanden, Ernst Jünger, Arnold Gehlen und vor allem seinem Professor Viktor von Weizsäcker. Dieser habe eine "ganzheitliche" Medizin vertreten, die gefährlich nahe bei der Eugenik der Nationalsozialisten lag. Der Autor verweise hier auf einen Aufsatz Mitscherlichs aus dem Jahr 1943, der heikle eugenische Passagen enthalte. So erhellend und wichtig der Rezensent diese Kritik an Mitscherlich findet, so einseitig findet er die Entlarvungsintention des Autors. Insbesondere Mitscherlichs "Kehre" nach den Nürnberger Ärzteprozessen bleibe unberücksichtigt. Damit werde Martin Dehli dem Lebenswerk von Alexander Mitscherlich nicht gerecht.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 26.04.2007

Als "methodisch und stilistisch brillant" feiert Rezensent Bernd Nitzschke diese Alexander-Mitscherlich-Biografie, die für ihn das zwingende Gegenstück zu Mitscherlichs Autobiografie "Ein Leben für die Psycholanalyse" ist. Denn Martin Dehlis mache in seinem Buch die Differenz zwischen "mythopoetischer Konstruktion" des Mitscherlich-Selbstbildes und seiner Objektivierung eindrucksvoll deutlich. Nitzschke lobt die Biografie aber auch für die darin geleistete Auswertung unfangreichen Archivmaterials, für die Erhellung so faszinierender Details wie der Tatsache, dass der Taufpate von Mitscherlichs Großvater Alexander von Humboldt war. Auch die Nachzeichnung von Mitscherlichs mühevoller Eroberung eines von dominanten Vätern und Vorvätern gezeichneten Wegs und die Darstellung seiner Folgen für Mitscherlichs Denken fesseln den Rezensenten sehr.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 21.03.2007

Unter der Zustimmung von Hans-Martin Lohmann unternimmt Martin Dehli einige "überfällige" Korrekturen am Bild von Alexander Mitscherlich. In den meisten Fällen "gut begründet" weist der Autor etwa nach, dass Mitscherlich drei Monate in Gestapo-Haft verbrachte, und nicht acht, wie er in seiner Autobiografie von 1980 behauptet hatte. Auch die pauschale Entlastung seines Lehrers Viktor von Weizsäcker sei nicht ganz gerechtfertigt gewesen. Weizsäcker stand dem Nationalsozialismus wohl näher, als Mitscherlich es wahrhaben wollte. Für den Rezensenten beschädigt diese "Entidealisierung" keineswegs das Bild des großen Psychoanalytikers, sondern zeigt ihn als Menschen, der nicht über den "Irrungen und Wirrungen" in der Zeit des "Dritten Reichs" stand, sondern sie teilte. Dehlis Werk ist in den Augen Lohmanns die erste "große" Biografie über Mitscherlich, "die diesen Namen verdient".