Martin Walser

Mein Jenseits

Novelle
Cover: Mein Jenseits
Berlin University Press, Berlin 2010
ISBN 9783940432773
Gebunden, 119 Seiten, 19,90 EUR

Klappentext

Augustin Finli, Chef des Psychiatrischen Landeskrankenhauses Scherblingen, weiß, was Älterwerden bedeutet. Ab dreiundsechzig hat er mit dem Zählen der Geburtstage aufgehört und sein Lebenscredo gefunden: "Glauben heißt lieben." Scherblingen war bis 1803 ein Kloster. Der letzte Abt war ein Vorfahr von Augustin Finli. Der hat, als er noch ein junger Arzt war, ein Seminar besucht, um sein Latein zu verbessern. Im Seminar unangefochtene Beste war Eva Maria Gansloser. Die beiden sind dann so gut wie verlobt. Aber Eva Maria heiratet den Grafen Wigolfing, der an der Eiger Nordwand erfriert. Darauf heiratet sie den 18 Jahre jüngeren Dr. Bruderhofer. Das erregende Moment: Dr. Bruderhofer ist Oberarzt unter Augustin Finli. Eva Maria schickt gelegentlich Postkarten, die Finli sagen sollen, sie könne ihn so wenig vergessen wie er sie. Kann er das glauben? Er glaubt es.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 20.02.2010

Eigentlich ist das gar keine Novelle übers Altern oder über den Glauben, sondern eine semiotische Variation über das Verhältnis von Zeichen und Bezeichnetem, das hier anhand einer Geschichte über eine Reliquie der katholischen Kirche abgehandelt wird, erklärt Rezensent Roman Bucheli. Der Held des Romans, so Bucheli, ist Chef einer psychiatrischen Klinik, die früher einmal ein Kloster war und eine Reliquie beherbergt, an deren Erforschung der Held irr wird. Was ist hier echt oder falsch? Wie wichtig ist diese Frage überhaupt, um dem Wesen des Glaubens auf den Grund zu kommen? Walsers Held gerät hier durcheinander, so Bucheli, er verabsolutiert das Zeichen, wird gerade hierdurch gewissermaßen zum Künstler, aber auch "komisch", so dass er am Ende als Patient in die psychiatrische Klinik eingeliefert wird, die er zuvor leitete. Bucheli macht kein Hehl daraus, dass ihn die Novelle als zugleich einfach und vielschichtig durchaus beeindruckt hat.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.02.2010

Auch wenn es hier um einen Chefarzt geht, der auf die Idee verfällt, Messner zu werden; und obgleich der Titel dieser Novelle bereits in Richtung Transzendenz zielt: Edo Reents gibt Entwarnung. Nein, es ist nicht im Alter die Religion in den Autor Martin Walser gefahren - wenngleich es für des Rezensenten Begriffe schon etwas "aufdringlich" um das Thema Transzendenz geht. Daneben aber geht es, tröstet er gleich, wie stets noch bei Walser, auch um die Liebe. Und darum, dass einer - der Held August Feinlein nämlich - auf recht schmerzhafte Weise leer ausgeht dabei. Die Besprechung, deren Verfasser sichtlich hin- und hergerissen ist in seinem Urteil, endet mit dem Resümee, diese Novelle sei schon "ganz gut". Und man dürfe gespannt sein auf den Roman, der noch daraus werden soll.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 13.02.2010

Als gewichtig empfand Thomas Steinfeld dieses Büchlein von Martin Walser, bei dem es sich seinem Eindruck zufolge um ein Glaubensbekenntnis in erzählter Form handelt. Im Helden hat Steinfeld auch bis hin zu physiognomischen Details viel vom Autor selbst wiedererkannt, in dessen Vornamen (Augustin) hingegen orakelt Steinfeld ein Anagramm von Augstein hinein. Martin Walser verhandele in diesem milden Alterswerk einen eher bäuerlichen Glaubensbegriff, lesen wir. Wobei man sich diesen Glauben nicht allzu religiös vorstellen dürfe, wie der Kritiker schreibt, der ansonsten sehr vergnügt den Jakob-Böhme- und Kierkegaard-Argumentationen im Erzählverlauf folgt.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 13.02.2010

Als ebenso leichthändigen wie schwergewichtigen "Alterstext" empfindet Christoph Schröder diese Novelle über den Glauben, die er subtil in verschiedene Richtungen denkend empfand. Im Zentrum stehe die Erkundung der Schnittstelle von Ratio und Glaubensbekenntnis, von Wirklichkeit und Gefühl. Hier muss Martin Walser mit der Konstruktion seines Helden ein kleiner Geniestreich gelungen sein, wenn man den Ausführungen des Kritikers glaubt, der an der Figur des 63-jährigen Augustin Finli das Anliegen Walsers geradezu wundersam zwingend vorgeführt fand.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 11.02.2010

Von einem "großartigen Büchlein" spricht Iris Radisch. Dabei handelt es sich ihren Informationen zufolge um ein "Seiten- oder Teilprodukt" eines neuen Romans mit dem Titel "Muttersohn", an dem Martin Walser gerade schreibt. Wieder habe man es hier mit einem altvertrauten Walser-Szenario zu tun: "Mann, deutsches Bürgertum, verpasstes Leben". Doch komme diesmal eine neue Komponente hinzu, die den Maßnahmenkatalog von Walsers Helden in die Vertikale erweitere, die Glaubensgemeinschaft nämlich. Zwar komme der Liebhaber heiliger Antiquitäten, den Radisch als Protagonisten beschreibt, doch nicht ganz beim Erlöser an, sondern bleibe bei den Glaubensfetischen hängen. Aber gerade hier sieht die Kritikerin die Qualität des Buchs, das aus ihrer Sicht eine Art religiöses Heimwerkertum zum Gegenstand gemacht hat, wobei auch so etwas wie der Anspruch auf ein Grundrecht der Verschrobenheit geltend gemacht werde. Die Erlösung im Schrulligen, Selbstbezogenen kann man das als Leser dieser Kritik auch übersetzen. Der Rest der Geschichte ist Radisch zufolge ein "handelsüblicher Männerkonflikt".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 09.02.2010

Arno Widmann preist es als "Glück" für Autor und Leser, dass Martin Walser als etablierter Schriftsteller ungestört von besserwisserischen Lektoren so schreiben kann, wie er lustig ist. Seine neue Novelle kümmert sich dann auch nicht um die Gesetze des Genres, sondern erzählt, wie der Rezensent feststellt, die Geschichte als eine sich notwendig aus der Erzählsituation ergebende. Und die dreht sich, wie uns Widmann erklärt, um den Raub einer Reliquie und wird mit allerhand jenseitigen Gedanken, mal im Ernst und mal mit viel Ironie und Spiellust ausgepolstert. Wegen allerlei mysteriösen Begegnungen in dieser Novelle über das "Älter- und Altwerden" kommt es dem Rezensenten in den Sinn, dass Walser sich mit diesem Buch vielleicht vor der durch ihren Hang zur Mystik bekannten Suhrkamp-Chefin Ulla Berkewicz verbeugt. Aber dieser Gedanke des Rezensenten gerät ins Wanken, denn der in der Geschichte auftretende Tod beispielsweise entpuppt sich am Ende, nachdem ihn Walser mit "dicker Schminke" schon fast clownesk beschworen habe, als harmloser Reisender.
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