Mela Hartwig

Bin ich ein überflüssiger Mensch?

Roman
Cover: Bin ich ein überflüssiger Mensch?
Droschl Verlag, Graz 2001
ISBN 9783854205746
Gebunden, 168 Seiten, 18,41 EUR

Klappentext

Mit einem Nachwort von Bettina Fraisl. Wie in ihren früheren Werken stellt Mela Hartwig in ihrem zweiten Roman wieder eine Frau in den Mittelpunkt, die mit sich uneins ist, eine "Neurotikerin", die mit jedem Schritt an die ihr auferlegten Begrenzungen stößt: eine unscheinbare und sehr entbehrliche Sekretärin ohne besondere Fähigkeiten, die eines Tages einer erotischen Obsession verfällt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 16.05.2002

Die Rezensentin Katrin Hillgruber ist über die Wiederentdeckung dieses Romans (1931) der jüdischen Autorin, Schauspielerin und Malerin Mela Hartwig aus Österreich hoch erfreut. Ihn in die Tradition des "Büroromans" stellend, wird sie nicht müde, den - sowohl psychoanalytisch als auch literaturtheoretisch betrachtet- innovativen Ansatz zu verdeutlichen: die Existenz der Stenotypistin Aloisia Schmidt findet gerade in der "Beteuerung der eigenen Nichtigkeit" eine (weibliche) Sprach-Existenz. Ein geschlechtsspezifischer Masochismus, in dem "Bescheidenheits- und Unterwerfungsgesten geradezu lustvoll zelebriert" werden, paart sich mit einer krankhaften Verstrickung in die seelische Selbstanalyse. Hier werde "nüchtern und im nächsten Moment fesselnd, fiebrig" die weibliche Hingabebereitschaft "karikiert": gerade der auf Abstand gehende Mann führt zu erotischer Obsession und seelischer Abhängigkeit. Wenn auch stellenweise autobiografische Bezüge zu erkennen seien, so "bleibe alles experimentell,...sarkastisch...und übertreffe" alle ähnlichen Werke der dreißiger Jahre. Hillgruber legt zukünftigen Lesern diesen - auch durch das Zeitgeschehen äußerst spannenden Roman - regelrecht ans Herz.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 21.03.2002

Im Jahr 1933 lehnte der Zsolnay-Verlag diesen Roman ab, mit dem Argument, es handle sich da um ein "absolut publikumsunwirksames und abseitiges Werk". Rezensentin Dorothea Dieckmann will da gar nicht widersprechen (der Begründung, das Buch befinde sich im Konflikt mit dem "Weltbild der deutschen Frau", natürlich schon) und macht gleich zu Beginn ihrer kurzen Rezension klar, dass die Frage des Titels von der Autorin ganz klar und unumwunden mit Ja beantwortet wird. Das ganze Buch sei nichts anderes als eine Arbeit an der "Selbstaufgabe", der Versuch der "Bloßlegung ihrer Nichtigkeit", die Einübung in den Verzicht darauf, ein Individuum zu sein.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.01.2002

Der Vergleich mit Irmgard Keun liegt nahe, und die Autorin braucht ihn auch nicht zu scheuen, meint Hannelore Schlaffer. Mela Hartwig, Tochter von Theodor Herzl, hat ebenfalls einen typischen Frauen- und Angestelltenroman jener Zeit, der Weimarer Republik, geschrieben, im Stil der Neuen Sachlichkeit, aber anders als Keun, so Schlaffer, nicht aus dem erlebten Augenblick heraus, sondern im Rückblick, als nüchterne Beichte: "Gewissenserforschung einer höchst bescheidenen Weiblichkeit" nennt es Schlaffer. Das Nüchterne, Sachliche dient Hartwig dazu, vermutet Schlaffer, allen idealistischen oder trivialen Kitsch aus ihrem Roman fernzuhalten, der damals in Frauenromanen umging. Stattdessen spieße Hartwig die weibliche Lust an der Selbstausbeutung und Selbsterniedrigung auf: ohne psychologische Erklärungsmuster, eine Bestandsaufnahme eines verfehlten Lebens, der es laut Schlaffer dennoch nicht an Anteilnahme fehlt. Im übrigen konnte der Roman 1933 nicht veröffentlicht werden, erfährt man aus Schlaffers Rezension; er wurde erstmalig aus der Handschrift ediert.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 29.11.2001

Dass der Grazer Droschel-Verlag nun erstmals ein Buch herausgibt, dass vor über siebzig Jahren von Zsolnay abgelehnt wurde und seither niemals erschien, wertet Bernhard Fetz als "späte Genugtuung und eine wirkliche Entdeckung". Damals sei die Karriere einer vielversprechenden Autorin jäh unterbrochen worden, die immerhin bereits von Alfred Döblin für ihre Novelle "Das Verbrechen" geehrt worden sei. Die lapidare Begründung dafür lautete, der Geschmack des Publikums, insbesondere der der Frau, habe sich geändert. Fetz hingegen ist der Ansicht, der Roman habe auch heute "nichts von seiner Schärfe eingebüsst". Er findet es beeindruckend, wie die Autorin anhand einer kleinen Büroangestellten, die zu Beginn der dreißiger Jahre über ihre Durchschnittlichkeit verzweifelt und sich mit Phantasien über den Alltag hinweghilft, "den Zusammenhang von Arbeit in labilen Angestelltenverhältnissen, entfremdeter Sexualität und der Massenkultur als Ort verborgener Sehnsüchte und enttäuschter Erwartungen reflektiert". Bernhard Fetz' ausführliche Rezension vermittelt den Eindruck, dass das Buch, dessen Erzählrahmen auf den ersten Blick vielleicht ein wenig antiquiert wirken könnte, auch heute noch aktuell ist.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 10.10.2001

Jutta Person leitet ihre Rezension zu Mela Hartwigs Roman mit der nicht ganz ungewöhnlichen Behauptung ein, dass Stenotypistinnen und Bürofräulein Galionsfiguren der literarischen Moderne seien. Hartwigs Protagonistin gehört dieser Spezies an und ist für Person "ein perfektes Durchschnittsexemplar". Deshalb kann sie auch nicht verstehen, warum das 1931 entstandene Romanmanuskript abgelehnt wurde. Der Verlag begründete dies seinerzeit mit dem veränderten Geschmack "des deutschen Lesepublikums und besonders der deutschen Frau", erfährt man bei Person. Die Rezensentin hingegen findet, "die virtuosen Geständnispraktiken von Mela Hartwigs Heldin Luise Schmidt fügen den literarischen Bürogeräuschen in der Zeit zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg eine wichtige Stimme hinzu".
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