Oleg Jurjew

Der neue Golem oder Der Krieg der Kinder

Roman in fünf Satiren
Cover: Der neue Golem oder Der Krieg der Kinder
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003
ISBN 9783518414798
Gebunden, 277 Seiten, 22,00 EUR

Klappentext

Aus dem Russischen von Elke Erb und Olga Martynova. Schauplatz des Romans ist die fiktive Kleinstadt Judenschlucht an der deutsch-tschechischen Grenze zu Beginn der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts. Der aus Petersburg stammende Erzähler verkleidet sich als Frau, um (via Frauenquote) in den Genuss eines Stipendiums im "Kulturbunker" zu kommen, und schon häufen sich die erzählerisch ergiebigen Verwicklungen. Und weitere Geschichten stoßen dazu: hier die Suche nach dem Golem, dort Recherchen des Erzählers, die einem kleinen, in Judenschlucht ansässigen jüdischen Stamm gelten ...

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 10.03.2004

Im Vergleich zu seinen bisherigen Büchern, meint Jörg Plath, sei Oleg Jurjews neuestes eine geradezu "leicht zugängliche und vergnügliche Lektüre", was nicht heißen soll, dass nicht auch hier wieder die Anspielungsmaschine heiß läuft und allerlei "verrückte Ideen und erlesene Sätze" auswirft. Und auch sonst müsse man sich keine Sorgen machen, dass Jurjew womöglich unter die konventionellen Schriftsteller gegangen ist: Eine Handlung ist Plath zufolge kaum vorhanden. Stattdessen durchwühle der russische Avantgardist den "ideologischen Abraum der letzten Jahrhunderte", um ihn in bizarren literarischen Konstellation einer Zweitverwertung zuzuführen, und zwar "ohne Scheu vor Trash, Klischee und womöglich tieferer Bedeutung". Ilma Rakusa zitierend spricht der Rezensent von der "ornamentalen Prosa" Jurjews und bemängelt nur einen gelegentlichen assoziativen Overkill.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.01.2004

Martin Halter kommt nicht umhin, Oleg Jurjew zu bewundern: für seine schillernden Einfälle, die einander im Seitentakt ablösen, für seine enzyklopädische Kenntnis von zweitausend Jahren Mythen- und Realgeschichte, die er virtuos auf 277 Seiten implodieren lässt, für seinen "neuen Golem", diesen "hochartifiziellen, multikulturellen Homunculus, in dem alle Sprachen, Epochen und politischen Systeme formlos zusammenklumpen". Ohne jeden Zweifel habe der Leser es hier mit einem brillanten satirischen Feuerwerk zu tun, einer fulminanten Groteske, die mit dem Mythos des ewigen Juden spiele und die Archive des Abendlandes plündere, um - ja, was eigentlich? Um "den Zerfall der alten Weltordnung, die Bewusstseinsspaltung des russisch-jüdischen Emigranten, womöglich auch die Auflösung des postmodernen Subjekts überhaupt" abzubilden? In jedem Fall sei das Ganze so vollgestopft mit Schnipseln und Anspielungen, Pointen und "polyglotten Sprachspielen", und dabei so verworren, dass "das rasende Schelmenstück in Schneegeriesel und weißem Rauschen verschwindet" und "am Ende selbst an Jean Paul und Arno Schmidt gestählte Leser" ermüden müsse. Trotz der Qualitäten.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 03.12.2003

Ilma Rakusa ist beinahe Angst geworden vor Oleg Jurjew: Wie der russische Autor die Vergangenheit Europas in die Gegenwart holt, wie er die Genres verbindet und mit ihnen spielt, wie er jüdische Geschichte und Populärkultur verrührt, wie er sich durch alle Register zitiert und dabei ein eleganter Erzähler bleibt, wie er als brillanter Dekonstruktivist auftritt, Geschlechter- und Rassengrenzen sich auflösen lässt und dann wieder eine Figur "lebensvoll" erschaffen kann! Ganz klar, dass man bei einem solchen Buch die Handlung nicht nacherzählen kann, aber Rakusa lässt immerhin wissen, dass es um die Golem-Legende geht, dass ein Krimi, eine "metaphysische Liebesgeschichte" und die Geschichte einer historischen Recherche erzählt werden, und dass es sich bei diesem vortrefflichen Roman um eine Satire handelt, die am Ende zur Utopie wird, um eine "komisch-groteske" Entlarvung der "Weltordnung als Weltunordnung" von einem "Sprachvirtuosen" sondergleichen.
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