Oliver Lubrich (Hg.)

Reisen ins Reich 1933-1945

Ausländische Autoren berichten aus Deutschland
Cover: Reisen ins Reich 1933-1945
Die Andere Bibliothek/Eichborn, Frankfurt am Main 2004
ISBN 9783821845500
Gebunden, 400 Seiten, 30,00 EUR

Klappentext

Der fremde Blick - das ist das Thema dieses Buches. Wie nahm die Außenwelt dieses entfesselte, der Katastrophe entgegentaumelnde Deutschland wahr? Was fiel Schriftstellern, Journalisten und anderen Augenzeugen auf? Es ist ein höchst widersprüchliches Bild, das diese bisher kaum genutzten Quellen zeichnen. Nicht die politische Analyse steht dabei im Vordergrund, sondern die unmittelbare Alltagserfahrung. Manche Besucher waren anfangs von der Dynamik des "Dritten Reichen" fasziniert. Einige blieben bis zum Ende Sympathisanten des Regimes; andere schildern den Prozess ihrer allmählichen Desillusionierung. Dagegen legten die kühleren Köpfe von Anfang an eine Hellsicht an den Tag, die beeindruckend ist. (So sah der schwedische Dichter Gunnar Ekelöf schon kurz nach der Machtergreifung den Zivilisationsbruch voraus, und die Amerikanerin Martha Dodd kam bereits 1938 zu dem Schluss, dass die Verfolgung der Juden in einer planmäßigen Vernichtungspolitik gipfeln würde.) Die Liste der Zeugen ist eindrucksvoll: Samuel Beckett, Vladimir Nabokov, Jean Genet, Max Frisch, Jean-Paul Sartre, Karen Blixen, Georges Simenon, Virginia Woolf und Albert Camus waren in Deutschland; aber nicht weniger aufschlussreich sind die Beobachtungen von Vergessenen, von Unbekannten und von Exoten wie Shi Min, Arvi Kivimaa oder Lörinc Szabo, die hier - meist zum ersten Mal - in deutscher Sprache erscheinen.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 08.03.2005

Die Idee ist verblüffend einfach und gut, staunt Frank Rutger Hausmann: der Literaturwissenschaftler Oliver Lubrich hat eine Anthologie zusammengestellt, in der ausländische Autoren über ihre Eindrücke vom nationalsozialistischen Deutschland schreiben. Insgesamt 33 Autoren kommen zu Wort, vermeldet Hausmann, darunter viel Prominenz. Die literarischen Zeugnisse sind höchst unterschiedlich, so der Rezensent weiter, Tagebucheintragungen, Briefe, Reportagen seien darunter, ausgeschlossen wurden rein fiktionale oder journalistische Texte, Reiseführer und die Shoah-Literatur. Nicht alle Autoren konnten Deutsch oder reisten selbst nach Deutschland, insofern schwanke auch die Qualität der Beiträge, die je nach politischer Gesinnung ihrer Verfasser neutral, sympathisierend oder kritisch ausfielen. Anfangs kam man teilweise noch mit der Einstellung eines Ethnologen nach Deutschland, stellt Hausmann fest, der einen fremden Volksstamm studieren wollte. Doch je länger der Nationalsozialismus herrschte, desto befremdlicher und abstoßender wirkte er auf seine ausländischen Beobachter, lautet sein Fazit. Etwas kritisch sieht der Rezensent die Tatsache, dass sich Lubrich sehr um prominente Autoren (darunter Beckett, Camus, Sartre, Woolf) bemüht hat; manchmal sei die Einführung länger als der Text selbst, merkt Hausmann an.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 22.02.2005

Recht aufschlussreich findet Balthasar Haussmann diese Anthologie mit Texten von dreiunddreißig internationalen Autoren - Journalisten, Schriftstellern, Handelsvertretern, Durchreisenden und anderen -, die beschreiben, wie sie Nazideutschland erlebt haben. Haussmann berichtet, dass sich die Autoren erschüttert zeigen über die Anmaßung des Herrenmenschentums, über die Buchzensur und die dürftigen Theaterprogramme, über das prasserische Leben der NS-Größen, über die antijüdischen Plakate und Ausschreitungen, über die merkwürdig gläubige Haltung vieler Deutscher gegenüber Hitler. Er sieht den Band aber auch als "Fundgrube für die Details des Alltagslebens". Georges Simenon etwa erzähle, dass man 1933 auf dem Kurfürstendamm alle hundert Meter von einem gut angezogenen Mann angebettelt wurde, Samuel Beckett berichte, dass der Hitlergruß nach 1936 in jeder Bierstube "ohne Unterlass" zu hören war, und der amerikanische Journalist Howard Smith klage über den Gestank nach ungewaschenen Körpern, verdorbenen Mägen und faulen Zähnen in den Berliner S-Bahnen. Andere Autoren berichteten über die Lärmkulisse des dritten Reiches, wo permanent HJ-, BDM-, SS- und andere Gruppen singend durch die Straßen marschierten. Das Resümee des Rezensenten: eine "ungewöhnliche Perspektive auf Nazideutschland".