Sascha Anderson

Sascha Anderson

Cover: Sascha Anderson
DuMont Verlag, Köln 2002
ISBN 9783832159047
Gebunden, 303 Seiten, 19,90 EUR

Klappentext

Mit 20 Fotos. Er war ein Dichter mit Decknamen und eine zentrale Figur in der DDR-Subkultur der achtziger Jahre. Die von Sascha Anderson mitbegründete Legende um die "alternative" Literatur- und Kunstboheme am Berliner Prenzlauer Berg wurde von "David Menzer", "Fritz Müller" und "Peters" verraten - dem Informanten für die Staatssicherheit. Wolf Biermann bezeichnete ihn in seiner Büchner-Preisrede im Herbst 1991 als Spitzel: Der Fall Anderson provozierte eine heftige Debatte über das Verhältnis von Ästhetik und Moral. Ende der neunziger Jahre wurde die zunächst vernichtet geglaubte "Akte Anderson" wiedergefunden. Sascha Anderson erzählt ein Künstlerleben, zu dessen Teilhaber seit Mitte der siebziger Jahre wie eine zweite Haut die Staatssicherheit wurde. Sascha Anderson ist keine Autobiografie im üblichen Sinne und kein Buch der Rechtfertigung, es erzählt von der falschen Haltung im richtigen Schreiben.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 20.03.2002

Der Rezensent Martin Lüdke hebt die Bedeutung des Mottos, "Verrat ist das richtige Wort", das diesem Roman vorangestellt ist, hervor und versucht danach, das Gelingen des Buches zu beurteilen. Ihm fehlt der "Klartext". Schließlich war der Autor zwanzig Jahre lang Spitzel der Stasi, sein Roman bleibe zweideutig. So würden die Kinder- und Jugendjahre des Autors durchaus "poetisch dicht und ebenso anschaulich wie ausführlich" geschildert und auch die Stasimitarbeit werde offen bekannt. Dennoch aber bleibe der Grund für diese Mitarbeit selbst unerklärt, und es entsteht nach Lüdke eine "Leer-Stelle", wo sich eigentlich eine Rückbindung des Individuums an die Gesellschaft befinden müsse. In einer etwa undeutlich Argumentation scheint Lüdke aber gerader hier eine Möglichkeit des Buchs zu sehen: Zwar dürfe man in dem Buch keine Moral oder gar Reue erwarten. Wohl aber erkennt Lüdke in ihm den Versuch des Autors, aus seinem schattenhaften Dasein wieder zu den Menschen hervorzukommen und die "Hohlform seiner Individualität" wieder an die Gesellschaft zu binden.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 14.03.2002

Sascha Andersons vorliegende Eigendarstellung vollends zu entschlüsseln, ist eher ein Fall für die Psychologen als für die Literaturkritik, so zerrüttet und desolat erscheint Rezensentin Iris Radisch das Selbstbild des Autors. Ein "neurotisches Dreieck" ranke sich da um die Lebensgeschichte des Autors, der als Künstler, inneres Kind und Stasispitzel in einer Gestalt stets das "Motiv der Abwesenheit im eigenen Leben" erkennen lässt. Und dennoch hat dieses nicht gerade gelungene Werk für die Rezensentin einen bestimmten Reiz. Es sei der erste "unverlogene Text eines notorischen Lebenslügners", zwar verworren und im Detail schwer nachzuvollziehen, doch in seiner Gesamtheit eröffne er eine Tür zum Verständnis der Persönlichkeit Sascha Andersons. Unvergleichbar mit anderen DDR-Künstler findet Radisch sein Schicksal, zumal Anderson geistig eher der "französischen Texttheorie" und der deutschen Frühromantik als den sozialistischen Lehren nahe stand. Und in all diesem Gesinnungschaos, bemerkt die Rezensentin, versetzt die Kindheitsaufarbeitung den Autor wieder in den "alten, seligen Zustand" als man sich "seine Wahrheit erdichtet hat".

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 09.03.2002

In der Kunst-, Musik- und Literaturszene der DDR als schillernder, rastloser Dichter, Rockmusiker, Büchermacher, Kunstorganisator etabliert, war Anderson seit 1973 auch als Stasi-Informant unterwegs, der den DDR-Geheimdienst die verlangten Informationen über Freunde und Bekannte zusteckte. Nach seiner Enttarnung leugnete er zunächst hartnäckig, bis die Beweislast erdrückend wurde. Beatrix Langner zeichnet in ihrer Rezension die Stationen von Andersons Karriere nach, einer Karriere die "von Anfang an nicht den Unterschied kannte, kennen wollte zwischen Kunstwelt und Wirklichkeit, Lüge und ästhetischer Illusion", wie die Rezensentin festhält. Andersons Autobiografie ist für Langer im Kern nichts anderes als die "Fortsetzung des Verrats mit anderen Mitteln, der Selbstverrat". Aber nicht das stört die Rezensentin am meisten, sondern Andersons Sprache. Diese erscheint der Rezensentin zuweilen "kryptisch bis zur Unverständlichkeit", zumeist aber paraphrasiere sie nur wortsüchtig, "was in einfacheren Worten unerträglich verlogen wäre". Darin erblickt die Rezensentin das eigentliche Manko des Buches. Anderson habe sich vielleicht als Spitzel erklärt, urteilt Langer, "als Dichter hat er sich überflüssig geschrieben."

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 02.03.2002

Sascha Anderson legt Zeugnis ab. Über seine Schuld, die er als Spitzel der Stasi, für die er über viele Jahre hinweg die Künstler- und Literatenszene der DDR ausspioniert hatte, auf sich geladen hat. Das könnte, meint Ijoma Mangold, ein wichtiges, notwendiges und längst fälliges Bekenntnis sein, wäre da nicht der unerträglich häufige Gebrauch des Wortes "Ich" - die Rezensentin kommt auf gut 1750 Mal -, das die gesamte Autobiografie zu beherrschen scheint. Dabei sollte man doch meinen, denkt Mangold, dass es spätestens jetzt an der Zeit wäre, seine zahlreichen Opfer, die seinem "Hyperaktivismus" als IM erlagen, endlich in den Mittelpunkt zu rücken. Zwar rede der Autor an keiner Stelle seine Schuld klein, doch hat sein Bericht beim Rezensenten trotzdem einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen. "O je", seufzt Mangold, eine ästhetisch überzeugende Form habe seine Lebensgeschichte nicht, mehr über sein Innenleben erfährt der Leser auch nicht und weil sie nicht verlogen sei, sei sie noch lange nicht gut, findet der Rezensent. Auch wenn sich Anderson um eine sachliche Abrechnung bemühe, wimmle es in seinem Text nur so vor Metaphern, in denen er die Fichtsche Relation zwischen Ich und Nicht-Ich stark strapaziere und dem Leser sowieso ästhetisch gewaltig auf die Nerven gehe, lautet das unrühmliche Fazit eines Rezensenten, der in seiner Besprechung den Eindruck hinterlässt, sichtlich erleichtert das Buch wieder aus der Hand gelegt zu haben.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 02.03.2002

Einen deutlichen Verriss bringt Frauke Meyer-Gosau in ihrer langen Besprechung über die Autobiografie des 1953 in Weimar geborenen Lyrikers und Künstlers Alexander "Sascha" Anderson, eine zentrale Figur des DDR-Undergrounds und gleichzeitig einer der wichtigsten Spitzel der Stasi, zum Ausdruck. Mit "Ohs" und "Ahs" und "Hms" kommentiert die Rezensentin ziemlich fassungslos die "Lebensbeichte" des Autors. Die liest sich, so Meyer-Gosau, letztlich nicht als Schuldeingeständnis für einen, der viele zu Opfern gemacht hatte, sondern als anscheinend recht unerträgliche Nabelschau eines Menschen, der nach eigenen Bekundungen zeit seines Lebens einen "dramatischen Ich-Verlust" erlitten haben muss. Seine "Ichzentrierten Beschreibungssprünge" und sein "spätexpressionistisches Dichterlallen" haben der Rezensentin jedenfalls deutlich die Mühe vergällt, in den Aufzeichnungen nach dem Menschen Anderson zu fahnden. Was er wirklich getan und preisgegeben und wem er geschadet habe, darüber erfahre der Leser in diesem Text jedenfalls nichts, moniert Meyer-Gosau und hält das Machwerk denn auch eher für eine "Autobiografievermeidung", die sich Anderson auch hätte sparen können.