Sven Brömsel

Exzentrik und Bürgertum

Houston Stewart Chamberlain im Kreis jüdischer Intellektueller
Cover: Exzentrik und Bürgertum
Verlag Ripperger und Kremers, Berlin 2015
ISBN 9783943999709
Kartoniert, 331 Seiten, 29,9 EUR

Klappentext

Es wird eine verzweigte Intellektuellen- und Ideengeschichte um 1900 aufgeschlagen. Der Sozialphilosoph - heute aber vor allem als Schwiegersohn Wagners, Bayreuther Ideologe und Vordenker Hitlers bekannte - Chamberlain pflegte intensive Beziehungen zu jüdischen Intellektuellen. Erstaunliche Konstellationen zwischen Rassentheorie, Kulturreform, Kunst und Wissenschaft werden in einer Zeit lebendig, in der sich antisemitische und zionistische Anschauungen konsolidierten, revolutionär Konservative auf avantgardistische Künstler trafen und sich reformbewegte Sonnenanbeter gleichzeitig links- und rechtspopulistisch orientierten.
Kritische Untersuchungen zu Chamberlain und Persönlichkeiten jüdischer Herkunft sind ein Desiderat. Die Analyse und Auswertung dieser unbekannten Korrespondenzen und Hintergründe zielen in den Kernbereich deutsch-jüdischer Forschung. Das Buch zeigt Chamberlain, der in der kulturellen Szene Wiens und Bayreuths zwischen 1890 und 1920 eine Schlüsselfigur darstellt, im feingeistigen Austausch mit jüdischen Intellektuellen wie Karl Kraus, Walther Rathenau, Maximilian Harden, Otto Weininger und Martin Buber. Es werden ideologische Verschränkungen in der Moderne und daraus resultierende Verhaltensmuster herausragender Persönlichkeiten aufgedeckt, die in Bezug auf antisemitische Verkrümmungen und sogenannten jüdischen Selbsthass eine lange Vorgeschichte des "Dritten Reiches" belegen.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 05.09.2015

Für den Rezensenten Stefan Breuer erweitert Sven Brömsel mit seinem Buch über Houston Stewart Chamberlain das geläufige Bild des antisemitischen Schriftstellers um einige wichtige Facetten. In Brömsels Auseinandersetzung mit Chamberlains Korrespondenz mit jüdischen Intellektuellen wie Martin Buber oder Walther Rathenau zeigt sich für Breuer, dass das Bildungsbürgerliche an Chamberlain nicht im Rassismus lag, sondern in einem gespaltenen Bewusstsein, das für die Diskriminierung von Kollektiven ebenso Platz bot wie für die Eröffnung von Möglichkeiten für den Einzelnen, sich von seiner Herkunft zu befreien, wie Breuer schreibt. Leben und Wirken Chamberlains findet Breuer vom Autor kundig referiert und historisch kontextualisiert, sodann im Vergleich mit den Briefpartnern in ihrer Kontur geschärft. Auch wenn der Rezensent mit Brömsels teils euphemistischen Urteilen über Chamberlain und seine "arische Weltanschauung" nicht immer übereinstimmen kann, scheint ihm mit dem Buch eine spannende Intellektuellengeschichte vorzuliegen.