Tom Lampert

Ein einziges Leben

Acht Geschichten aus dem Krieg
Cover: Ein einziges Leben
Carl Hanser Verlag, München 2001
ISBN 9783446200753
Gebunden, 316 Seiten, 21,47 EUR

Klappentext

Tom Lampert beschreibt anhand authentischer Akten die Lebenswege von acht Menschen zur Zeit des Nationalsozialismus. Er zeigt weder Täter noch Opfer, er urteilt nicht. Dem Leser offenbaren sich durch die detailgenaue Rekonstruktion der Ereignisse einzelne menschliche Geschichten, die sich von Augenblick zu Augenblick entwickeln.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 08.09.2001

Ist es Literatur, ist es Geschichtsschreibung? Julia Encke hat ein Problem mit dem Buch. Zwar erkennt sie darin das irgendwo zwischen Novelle und Dokumentation anzusiedelnde Genre der Fallsammlung wieder, den Versuch, "Lebensgeschichten in Form von Aktenwissen zu umreißen". Zugleich aber ertappt sie den Autor dabei, wie er sein Material in der Montage "nur gelegentlich" als Zitat ausweist und sich also "auf die Seite der Literatur" schlägt. Erst durch einen angehängten Quellennachweis, erklärt Encke, geraten die Geschichten in das Spannungsfeld von Fiktion und Dokumentation. Dass dies in einer Weise geschieht, die "die jeweiligen Perspektiven, in die die Sprache der Dokumente die historischen Ereignisse fügt, verschleiert", ist für die Rezensentin das eigentliche Skandalon der Arbeit. Der vom Autor geäußerte Wunsch, dem Leser durch seine Vorgehensweise kein historisches Urteil aufzudrängen, wird ihrer Meinung nach schon durch die im Arrangement der Materialen steckende Interpretation vereitelt.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 28.08.2001

Peter Michalzik zeigt sich überaus beeindruckt von diesem Buch, weil hier seiner Ansicht nach etwas gelungen ist, was in seiner Art einzigartig ist. Der Rezensent erzählt, dass Lampert immer von der Perspektive der Protagonisten ausgeht und dabei ganz nüchtern das Material rekonstruiert. Und gerade weil sich die Geschichten "traditionellen Deutungsmustern" entzögen, wirken sie nach Michalzik ganz besonders lebendig, geradezu so, als seien es "die Archive selbst, die hier zu reden beginnen". Gut gefällt dem Rezensenten auch, dass Lampert sich moralischer Wertungen enthält, eine Teilung in Gut oder Böse gebe es nicht, über die Kinderliebe eines Massenmörders etwa staune der Leser dafür umso mehr. Michalzik stellt fest, dass Lampert hier in einen Bereich vordringt, der mit Kategorien von "Ethnologie, Soziologie oder Psychologie" üblicherweise nicht erfasst wird. Man könne nicht mal entscheiden, ob es eher Literatur ist oder ein Sachbuch. Klar ist für den Rezensenten jedoch, dass Lampert hier eine ganz "neue Seite" aufgezeigt hat hinsichtlich der Wahrheitsfindung und Neudefinition des Vergangenen. Ein "außergewöhnliches" Buch, so der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 25.08.2001

Das ist ein großartiges Buch, findet Anita Kugler. Der vierzigjährige promovierte Historiker Tom Lampert erzähle in allen acht Geschichten, was mit Tätern wie Opfern des Nationalsozialismus, die meinten, Einfluss nehmen zu können, geschehen sei. Der Autor lass allein die Fakten sprechen und habe Moralisierungen, historische Ergänzungen und Zuordnungen strikt außen vor gelassen. Seine Erzählungen sind für die Rezensentin aber trotzdem keine nüchternen Auflistungen der Verbrechen und Verbrecher der NS-Zeit, sondern lesen sich wie eine Parabel über Handlungsspielräume von Menschen in einem autoritärem System. Für Kugler sind die Geschichten eine Mischung aus Dokumentarliteratur und Subversion, die sie an Alexander Kluges "Schlachtbeschreibung" erinnert haben. Dem Buch wünscht sie eine hohe Auflage, die Auslage in sämtlichen Schulbibliotheken und ist sich mit Sten Nadolny darin einig, dass auch sie sich so ein Buch "schon lange gewünscht" hat.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 15.08.2001

Urs Hafner gibt einleitend zu bedenken, dass eine Vergegenwärtigung des Nationalsozialismus so schwierig sei, weil dessen Vernichtungsmaschinerie das menschliche Begriffsvermögen übersteige. Und deshalb kommt es vor, dass auch Geschichtswissenschaftler mittels Fiktion sich der Realität zu nähern versuchen, schreibt er. Tom Lampert hat als Historiker einen anderen Weg versucht, urteilt Hafner, in dem er Quellenmaterial so montierte, dass "acht ineinander verwobene" Porträts als stringente Geschichten entstanden sind. Der Rezensent konnte sich der Faszination und Irritation der authentisch wirkenden Lebensgeschichten nicht entziehen, muss aber feststellen, dass das ganze Buch fragwürdig bleibt. Das liege vor allem am Missverständnis des Historikers, Quellen sprächen für sich, erschlössen die Logik des sozialen Handelns von selbst, und damit stehle sich der Autor aus seiner Verantwortung, meint Hafner und findet das unverzeihlich.