Uwe Nettelbeck

Prozesse

Gerichtsberichte 1967-1969
Cover: Prozesse
Suhrkamp Verlag, Berlin 2015
ISBN 9783518424827
Gebunden, 188 Seiten, 19,95 EUR

Klappentext

In den sechziger Jahren erlebt die Bundesrepublik ihren bis dahin radikalsten Wandel: Traditionelle Werte verlieren ihre Überzeugungskraft, die bürgerliche Kleinfamilie gilt vielen als Zwang, Studenten tragen ihren Protest aus den Universitäten auf die Straße, die erste Generation der RAF formiert sich. Als Gerichtsreporter der "Zeit" ist Uwe Nettelbeck mittendrin. Er berichtet von alltäglichen Schicksalen, aber auch über einige der spektakulärsten Strafsachen der Nachkriegszeit, etwa den Prozess gegen den "Kirmesmörder" Jürgen Bartsch oder den Frankfurter Brandstifterprozess gegen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und andere. Nach fast fünfzig Jahren versammelt dieser Band erstmals die Gerichtsreportagen, die Nettelbeck zu einem der bekanntesten Journalisten des Landes machten.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 11.07.2015

Detlev Claussen empfiehlt Uwe Nettelbecks Gerichtsreportagen 1967-1969 als Rückblick auf die alte Bundesrepublik, wie ihn die Zeitgeschichte nicht bieten kann. Die damalige Bedeutung der Printmedien im Blick, die seismografische Funktion des gerichtlichen Wirkens im Hinterkopf, erhält er beim Lesen der Fallgeschichten vom Frankfurter Kaufhausbrandstifterprozess über banalere Fälle bis hin zu den Sexualdelikten eines Jürgen Bartsch einen Eindruck von der Arbeit der Justiz jener Zeit. Dass die Texte Kraus'sche Qualitäten erreichen, wenn sie eine selbstgewisse Tradition und Wissenschaft kritisieren und der Autor gekonnt aus der einzelnen Szene die ganze Geschichte rekonstruiert, macht die Lektüre für Claussen zum Hochgenuss.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 06.06.2015

Michael Rutschky nimmt sich Uwe Nettelbecks gesammelte Gerichtsreportagen mit gemischten Gefühlen vor. Einerseits erinnert er sich daran, die Texte seinerzeit gern und mit Ehrfurcht vor Nettelbecks Reporter- und Kritikerkompetenz gelesen zu haben, andererseits fürchtet er sich vor der gnostischen Schau, Nettelbecks Einteilung der Welt in Gefallene und die Fratzen der Justiz, an die sich der Rezensent gleichfalls zu erinnern meint. Unnötigerweise, wie er bald feststellen kann, denn Nettelbecks Texte bestechen 50 Jahre nach ihrer Erstveröffentlichung in der "Zeit" außer durch große Erzählkunst nur durch die Unkorrumpierbarkeit, mit der der Autor bei Fällen wie dem des Serienmörders Bartsch nach der Wahrheit fahndet, wie Rutschky meint.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 28.04.2015

Heribert Prantl ist hin und weg von den Gerichstreportagen aus der Feder von Uwe Nettelbeck. Theo Sommers Rausschmiss des Journalisten wegen APO-Floskelei erscheint ihm von heute aus gesehen als schwerer Fehler. Dass immerhin einige Texte aus dem Gerichtssaal zustande kommen konnten, zum Beispiel über den "Kirmesmörder" Jürgen Bartsch oder über den Frankfurter Kaufhausbrandprozess gegen Baader/Ensslin, hält er für ein großes Glück, sind die Berichte für ihn doch Sternstunden der Gerichtsreportage, sozialkritisch, getragen vom Verständnis für Menschen, nicht für Mörder, meint er. Wo das Menschliche kapituliert, fängt Nettelbeck zu schreiben an und entfaltet meisterhaft die menschliche Tragödie, erklärt Prantl seine Begeisterung. Für den Rezensenten ist das besser als die kalten Kriminalgeschichten eines Ferdinand von Schirach, auch wenn die Texte schon über 45 Jahre alt sind.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.04.2015

Lektüre für Linksintellektuelle hat Rezensent Peter Rawert zu annoncieren. Uwe Nettelbecks elf Gerichtsberichte aus seiner Zeit bei der Wochenzeitung "Die Zeit" stoßen beim Rezensenten zwar zunächst durchaus auf leichten Widerwillen und die Frage, wozu eine erneute Veröffentlichung nach fünfzig Jahren gut sein soll, doch die Skepsis weicht rasch großer Freude. Durch sprachliche Brillanz, Sachlichkeit und scharfe Polemik zeichnen sich die Texte laut Rawert aus. Und wenn der Autor den Frankfurter Brandstiftungsprozess gegen Ensslin/Bader dokumentiert, so wirkt das zwar leicht aus der Zeit gefallen, wie Rawert erklärt, und nicht immer p.c., doch als Kritik an einer autoritären Justiz durchaus noch immer frisch, wie er versichert.
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