Veronique Olmi

Meeresrand

Roman
Cover: Meeresrand
Antje Kunstmann Verlag, München 2002
ISBN 9783888973086
Gebunden, 120 Seiten, 14,90 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Renate Nentwig. Eine Mutter bricht mit ihren beiden Söhnen zu einer Reise auf. Sie freuen sich, aber es ist ihnen auch unheimlich. Sie waren noch nie weg, und Ferien sind auch nicht. Aber die Mutter ist fest entschlossen: Ihre Kinder sollen das Meer sehen, wenigstens einmal. Da spielt es keine Rolle, wie verlassen und trostlos der kleine Küstenort ist und sie von ihrem Hotelzimmer auf eine Betonwand schauen, nicht auf den Strand. Diese Reise hat sie geplant, auch wenn sie sonst nie planen kann. Sie werden ans Meer gehen und abends auf die Kirmes. Die Kinder sollen es gut haben. Bis sie kein Geld mehr hat und auch der Mut sie verlässt. Denn es ist eine Reise ohne Wiederkehr, eine Reise in das Herz der Verzweiflung.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 20.02.2003

Veronique Olmis Erzählung beginnt mit einer nächtlichen Fahrt ans Meer, und das, so die Rezensentin Katharina Döbler, spricht schon Bände, denn die Fahrt ans Meer sei geradezu ein Topos der französischen Erzählung. Sie sei - literarisch oder filmisch - das "natürliche Ende jeder Fluchtbewegung" und bedeute entweder "Erfüllung" oder "Untergang". Dass es in diesem Fall ein Untergang ist, wird ganz allmählich im inneren Monolog der Ich-Erzählerin offenbar, die mit ihren Kindern in einer Nacht- und Nebelaktion ans Meer gefahren ist, erzählt Döbler. Olmis "schlichte Sätze", die aber leicht "ins Schrille" verrutschen und kleinen Dingen "übergroße Bedeutung" verleihen, so Döbler, verlieren nach und nach an Glaubwürdigkeit und zeichnen das Bild eines "wahnhaften Realismus", der "Paranoia, Panik und Lähmung" bedeutet. Dies sei nicht der schöne, "rauschhafte" und so ungemein literarische Wahnsinn, sondern er wirke "irgendwie klein, blass und hässlich", was dem Roman aber einen "dunklen Zauber" verleihe. Und so werde der Strand nicht zum Sinnbild für unermessliche Weite, sondern für eine "klaustrophobische" Gefangenheit zwischen dem Meer und der Stadt. Gefallen hat der Rezensentin auch, wie sich die "Tristesse" durch die mütterliche Zuneigung erwärmt und "dynamisch" wird. Dies gibt der Erzählung eine ganz bestimmte "Temperatur", weil Olmi "überzeugend, schonungslos und suggestiv" erzählt und weder die Mutterliebe, noch den Wahnsinn "verklärt", lobt Döbler.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 12.10.2002

"In jeder Hinsicht hoffnungslos" findet Thomas Laux dieses Romandebüt der 40-jährigen Französin Veronique Olmi. Thema, Diktion und Ergebnis der Leidensgeschichte einer Mutter von zwei Kindern, die mit diesen ans Meer fährt, um sie dort am Ende zu ersticken, stimmen den Leser einfach nur depressiv, warnt der Rezensent und rät akut Suizidgefährdeten von der Lektüre ab. Eine solche Schrift könnte, meint Laux, in psychopathologischer Hinsicht interessant sein, ist sie aber in diesem Fall keineswegs, weil die "stilisierte Unfertigkeit" der Protagonistin nerve. Geradezu "quälend" sei die "notorische Unbedarftheit" und das "klischeebesetze Geraune" der Hauptfigur, richtig "ärgerlich" seien "Verklausulierungen" aus der "Mottenkiste des Feminismus", schimpft der Rezensent und mutmaßt, dass dieses "belletristische Treibgut" schnell wieder in Vergessenheit geraten wird.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 09.10.2002

Eva Behrendt ist spürbar beeindruckt von diesem Roman von Véronique Olmi, in dem es um den Mord einer Mutter an ihrem Kind geht. Das Faszinierende und Ungewöhnliche an dem Buch ist ihrer Meinung nach, dass das Motiv verschwiegen wird. Üblicherweise "mündet das Unbegreifliche in die sinnstiftende Konstruktion seiner Kontingenz, historisch, gesellschaftlich, politisch", und da wählt Olmi einen anderen Weg - einen, der die als brutal wahrgenommene Umwelt klar als subjektive Erfahrung kennzeichnet und dem Umfeld keine Schuld an den Ereignissen gibt. Was dabei herauskommt ist "ein unerbittlich depressiver Sog, ein kalkuliert pathetisches Spiel mit der Ahnung, dass etwas Furchtbares geschehen und man nicht verstehen wird, weshalb". Anders als man erwarten könnte, ist die Konstruktion der Ereignisse aber nicht "kühl und distanziert". Vielmehr versetzt sich die Autorin "mit erschreckender Einfühlung in das Hirn der Mutter" und beendet damit in beeindruckender Weise viele der Mythen, die sich in der bisherigen (Literatur)-Geschichte um das Phänomen des Kindsmordes rankten.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 24.09.2002

Verena Auffermann hat ein aufwühlendes Buch gelesen, so aufwühlend, dass sie es kaum ertragen und doch nicht weglegen konnte. Es handelt sich um den ersten Roman der 40-jährigen Französin Véronique Olmi, die bislang einige in ihrer Heimat ganz erfolgreiche Theaterstücke geschrieben hat. Schon als Dramatikerin "zündelte" Olmi "im Sozialsystem", schreibt Auffermann: ihre Stücke handelten von Kindesmissbrauch, Tod, auseinanderdriftenden Familien oder Paaren. In "Meeresrand" ist die Familie von vornherein nicht komplett; eine Mutter unternimmt mit ihren zwei Söhnen eine Busfahrt ans Meer. Zwei Dinge haben Auffermann außerordentlich beeindruckt: wie es Olmi gelingt, die eigentlich depressive Mutter zur überzeugenden Erzählerin und Beobachterin ihres eigenen Schwankens zwischen Antriebslosigkeit und kleinen Triumphen über ihre Depression zu machen, und die gelungene Beschreibung der Kinder, deren Blicke und Reaktionen die Geschichte der Mutter spiegelt. Das Buch sei weise und verzweifelt, meint Auffermann, und so eindringlich, dass es einen lange verfolgt.
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