Winfried Hassemer, Jan Philipp Reemtsma

Verbrechensopfer

Gesetz und Gerechtigkeit
Cover: Verbrechensopfer
C.H. Beck Verlag, München 2002
ISBN 9783406495656
Gebunden, 232 Seiten, 9,90 EUR

Klappentext

Lange Zeit stand der Täter im Vordergrund aller kriminalpolitischen und strafrechtlichen Bemühungen um eine angemessene Antwort auf Verbrechen und ihre Folgen. Das Verbrechensopfer selbst hingegen, dessen Anspruch auf Gerechtigkeit der Staat im Namen des Gewaltverbots gleichsam "enteignet" und in die eigene Hand nimmt, trat an den Rand des Blickfelds. Heute ist das anders geworden. Nicht Freiheit vor staatlichen Übergriffen, sondern Sicherheit vor Kriminalität beherrscht die Diskussion, und ein opferorientiertes Strafrecht gewinnt zunehmend an Boden. Der Staat ist in unserer Wahrnehmung heute eher Schutzmann als Kerkermeister. Dieser Wandel wirft zahlreiche Probleme auf, denen Winfried Hassemer und Jan Philipp Reemtsma in ihrem Buch nachgehen.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 02.04.2003

Es hätte ein spannendes Buch werden können, beklagt sich Cornelia Vismann. Mit den beiden Autoren sei das nötige Potential gegeben: der eine schreibt aus der Perspektive des Verbrechensopfer, der andere kommentiert den rechtlichen Rahmen. Das Dilemma der Autoren umreißt Vismann wie folgt: Reemtsma und Hassemer seien sich der derzeitigen Konjunktur von Opfermitleid und verstärktem Sicherheitsbedürfnis durchaus im Klaren und wollten nicht einer Strafverschärfung das Wort reden. Denn im Grunde seien sie sich darin einig, dass das geltende Gesetz einen relativ guten Opferschutz biete. Wenn aber die Rechtslage so gut sei, fragt Vismann, warum stimmten Reemtsma und Hassemer dann nicht einfach ein Loblied an? Weil es doch offensichtlich einen Widerspruch zwischen Opfer- und Juristenperspektive gebe, den offen auszutragen sich die beiden scheuen würden, kritisiert Vismann. Insofern wäre es vielleicht produktiver gewesen, meint Vismann, darüber zu diskutieren, warum denn ein Gericht keine therapeutische Anstalt sein könne, statt die Ängste und Forderungen der Opfer von vornherein auf "kriminalpolitisch korrekte Kategorien" zurechtzustutzen.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 03.12.2002

Ausführlich und klug, wie man es von ihm kennt, bespricht Christian Semler den im Dialog zwischen Jurist und Sozialphilosoph entstandenen Band. Er lobt das Buch, in dem es um "gemeinsame Überlegungen über Straftäter und deren Opfer" geht, ausdrücklich als "seltenen Fall einer gelungenen interdisziplinären Arbeitsweise". Behutsam würdigt er Reemtsmas Ansatz, die "Aufwertung der Opferrolle" in Gesellschaft und Gesetzgebung sei dem Holocaust geschuldet. "Nur vor diesem Hintergrund konnten die Menschenrechte ihren Siegeszug antreten", stimmt er Reemtsma zu. Dann wendet er sich Hassemers Auseinandersetzung über den Widerspruch in der Kriminalpolitik zu, der darin besteht, dass die "virtuellen Opfer" im Zentrum des Strafrechts stehen, während das Strafverfahrensrecht vor allem den Angeklagten schützt. Hassemers scharfe Kritik an Politikern, die die Verletzung der realen Opfer ins Feld führen, um "den Sicherheitsstaat durchzusetzen", ergänzt der Rezensent durch einen "Hinweis auf den Bundesinnenminister". Eine "ausgezeichnete Untersuchung", urteilt Christian Semler.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 27.11.2002

Winfried Hassners und Jan Phillip Reemtsmas Plädoyer gegen eine Privatisierung des Strafrechts hat Rezensent Thomas Henne vollauf überzeugt. Wie er ausführt, sehen die Autoren hinter den gegenwärtigen Forderungen nach einer opferfreundlichen Ausgestaltung des Strafrechts partikulare Interessen am Werk, die den Grundprinzipien eines modernen Rechtsstaats widersprechen. Mit dem "epochalen" Opferschutzgesetz von 1986 haben sich die Koordinaten nach Ansicht der Autoren bereits in diese Richtung verschoben, berichtet Henne. "Mit einem beeindruckenden Fundus an Theorien bilanzieren und kritisieren Hassner und Reemtsma in ihrem Buch diese Verschiebung im Detail (...), zeigen Paradoxien und Widersprüche aktueller Regelungen auf", hält Henne fest. Er hebt hervor, dass die Autoren die Verstärkung der Opferperspektive als Ausdruck einer tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderung interpretieren, bei die Privatisierung ehemals staatlicher Aufgaben eine große Rolle spielt. So machen die Autoren laut Henne beispielsweise darauf aufmerksam, dass in einem Verfahren gleichgeordneter Prozesssubjekte soziale Stellung und Einkommen der Beteiligten den Ausgang mehr prägen würden, als dies bei staatlicher Regie möglich sei. Auf diese Gefahren "allgemein verständlich und zugleich höchst analytisch" hingewiesen zu haben, ist für Henne das große Verdienst dieses Buches.