Bücher der Saison

Bücher der Saison 2014: Romane und Erzählungen

Romane und Erzählungen

Osteuropa

Ein grandioses Buch, so eins gibt es nicht jedes Jahr! Der Autor, Szilard Borbely, geboren 1964 im ungarischen Fehérgyarmat, nahe der Grenze zur Ukraine, nahm sich im Februar diesen Jahres das Leben. Bekannt war Borbely vor allem als Dichter (Marie Louise Knott hat ihm im Perlentaucher eine Tagtigall gewidmet), "Die Mittellosen" ist sein erster Roman. Er erzählt im Präsens aus der Perspektive eines wachen Elfjährigen vom Aufwachsen als bettelarmer Außenseiter in der ungarischen Provinz der siebziger Jahre. In kurzen Szenen schildert er den Alltag, das Familienleben und die Nachbarn. Wirklich froh ist er nur, wenn er sich mit seinen geliebten Primzahlen beschäftigen darf. Das ganze Buch lebt von der Sprache dieses Jungen. "Archaisch wirken die Lebensumstände, modern ist die Erzählweise: Borbély verzichtet auf Dramatisierungen", lobt im Deutschlandradio Kultur ein schwer beeindruckter Jörg Plath. In der FR bewundert Judith von Sternberg die Originalität dieser Sprache und die "woyzeckhafte" Abgründigkeit, die sie vermittelt: "Der Roman dürfte das Buch des Herbstes darstellen, der ganz selbstverständlich den Anschluss an die Weltliteratur findet." (Hier eineim Perlentaucher.)

Wer kennt in Deutschland Vlada Urošević? "In der europäischen Literatur wirkt der 79-jährige Mazedonier längst schon wie ein Fabelwesen", annoncierte ihn Elke Schmitter, die Urošević in Skopje besuchte, im Spiegel. "Ein kosmopolitischer Surrealist hinter den sieben Bergen, ein Dissident des Realismus, ein Lyriker, Essayist und Romancier, von dem nun das erste Buch eines großen Werks in deutscher Sprache zu lesen ist." Dieser jetzt übersetzte Roman heißt "Meine Cousine Emilia" und erzählt von zwei Kindern, die mitten im Zweiten Weltkrieg durch Skopje streifen und ihre eigene somnambule Fantasie-Welt aufbauen. Es ist vor allem die zwischen Ernst und absurder Komik oszillierende Sprache, die diesen Roman für Ilma Rakusa (NZZ) zum Leseereignis machen. Im DRadio Kultur fühlt sich ein tief beeindruckter Gregor Ziolkowski an H. C. Artmann erinnert, der einst bekannte: "Ich komme vom Zauberspruch her". Viel Lob gab es auch für "Die Flügel" den dritten Band von Mircea Cartarescus "Orbitor"-Trilogie, wenn die Rezensenten sich auch etwas überfordert fühlten: Die Revolution in Rumänien und der ganze kosmische Strom des Seins, da schwirrte manchem der Kopf.

Sehr gut besprochen wurden auch zwei Bücher aus der Ukraine: Juri Wynnytschuks "Im Schatten der Mohnblüte" der über vier Generationen durch das alte und neue Lemberg führt und dessen groteske Komik die Rezensenten an Gogol erinnerte, sowie Andrej Kurkows "Jimi Hendrix live in Lemberg" ein ebenfalls in Lemberg spielender Roman um vier Althippies, die ein Gedenkkonzert für Jimi Hendrix veranstalten. Wer den aktuellen Konflikt in der Ukraine besser verstehen will, dem empfiehlt die FAZ Maxim Harezkis "Zwei Seelen" von 1919, der mit großer sprachlicher Energie die virulenten Dynamiken zwischen Russland und der weißrussischen Nationalbewegung beschreibt.


Lateinamerika

Die in Mexiko aufgewachsene amerikanische Autorin Jennifer Clement erzählt in "Gebete für die Vermissten" von einem fast nur noch von indigenen Frauen bewohnten Dorf in Mexiko. Die Männer sind entweder tot oder über die Grenze. Wie sich schützen gegen Drogen- und Mädchenhändler? Der Roman ist erzählt aus der Perspektive eines jungen Mädchens, das von einem besserern Leben träumt und plötzlich ein Kilo Heroin in der Hand hält. Hohe poetische Kraft attestiert Paul Ingendaay in der FAZ der Autorin. Trotz der Gewalt und Indifferenz gibt es auch Witz und Wärme in dieser Geschichte, versichert in der NZZ Angela Schader. Auch lesenswert: Lyonel Trouillots Roman "Die schöne Menschenliebe" der in einem Haiti abseits der Naturkatastrophen spielt: Eine junge Frau aus dem Westen stellt fest, dass ihr haitianischer Großvater, ein Oligarch, getötet wurde, um sein Dorf einer märchenhaften und friedlichen Zukunft entgegenzuführen. Ein tiefer Blick in die haitianische Seele, lobt die FAZ.

Sehr gut besprochen wurden auch Eduardo Halfons Roman "Der polnische Boxer" der lässig Guatemala, Serbien und die USA, den Holocaust, Jazz und Mark Twain, Indio-, Zigeuner- und Judentum, Sex und Literatur verknüpft, Yuri Herreras laut DRadio Kultur "atemberaubend gut geschriebene" mexikanische Drogentrilogie "Der König, die Sonne, der Tod" und Guillermo Saccomannos" filmisch-dunkler Roman "Der Angestellte" dessen Hauptschauplatz ein Großraumbüro in Buenos Aires ist.


Italien

Ein Waise aus Triest lernt, dass er eine Familie in Sardinien hat. Dorthin reist er im Jahr 1943, um seinen Großvater kennenzulernen, den ehemaligen Meisterschmied Michele Angelo. Marcello Fois" Roman "Zwischen den Zeiten" umfasste eine vier Generationen umspannende Familiensaga, die vom sardischen Verständnis der Familienzusamengehörigkeit geprägt ist, erklärt Maike Albath in der NZZ. Sie zählt den Autor zur ""Literarischen sardischen Nouvelle Vague", aus der viele Impulse kommen. Die Verknüpfung von Archaischem und Zeitgenössischem wirkt vitalisierend. Marcello Fois macht aus Sardinien einen gleißenden Ort der Gegenwart."

Empfohlen wird auch Piersandro Pallavicinis "Ausfahrt Nizza" über fünf Oldies aus der norditalienischen Provinz, die einen Urlaub in Nizza verbringen. Alle haben kleinere Wehwehchen, aber keiner hat echte Sorgen, so NZZ-Rezensent Franz Haas. Das fördert den beißenden Witz, der dem Rezensenten so gut gefallen hat. Giuseppe Catozzella erzählt in "Sag nicht, dass du Angst hast" eine ganz andere, wahre Geschichte: Die Somalierin Samia Yusuf Omar nahm 2008 unter größten Schwierigkeiten als Läuferin an der Olympiade in Peking teil. Zwar erreichte sie nur den letzten Platz, aber allein die Tatsache, dass sie es bis nach Peking geschafft hatte, war eine Goldmedaille wert. 2012 ertrank sie bei dem Versuch, über das Mittelmeer Europa zu erreichen. Catozzellas Buch ist literarisch wohl nicht gelungen, aber die Hoffnungen des Mädchens macht er dennoch glaubhaft, findet die FR.


Frankreich

Kaum ein Roman wurde hymnischer besprochen als Patrick Modianos "Gräser der Nacht" der gewohnt kurz und unspektakulär daherkommt - nur dass der Autor inzwischen den Nobelpreis bekommen hat! Die Rezensenten wissen gar nicht, wie sie den Zauber dieses Buchs in Worte fassen sollen, es schwebt, es ist antiklimaktisch, und in aller Leichtigkeit trägt es die Leser doch - und zwar zurück in jene Zeiten, als Paris noch ein kulturelles Modell war und jeder Deutsche von Verstand davon träumte, seine Existenz mit ein wenig von dieser Grazie und diesem Esprit luftiger machen zu können. Der Roman spielt in den sechziger Jahren, und selbst der in Paris lebende SZ-Rezensent Joseph Hanimann, den die Stadt doch abgebrüht haben müsste, lässt sich ergreifen von "Proutschem Schwindelgefühl".

Ebenfalls in höchsten Tönen schreiben die Kritiker über Jean-Philippe Toussaints "Nackt" der den Romanzyklus um Marie Madeleine Marguerite de Montalte abschließt, mit Thrillerelementen und unvergesslichen Szenen in einer Schokoladenfabrik auf Malta. Ein Buch wie Afri-Cola, wenn man Christoh Schröder (SZ) glauben darf, denn alles ist drin: Hoffnung und Vergeblichkeit, Lust und Tod. Und eine Jungfrau wie von Botticelli. In Jean-Philippe Blondels Roman "6 Uhr 41" sitzt zufällig ein ehemaliges Paar im Pendlerzug nach Paris nebeneinander und versucht, sich zu ignorieren. Wie die beiden ihren Gedanken nachhängen und sich immer weiter in die unangenehme Situation hineinsteigern, hat die FR nachhaltig entzückt. Großes Lob auch für Celine Minards überraschenden Western "Mit heiler Haut" dessen Bilder die euphorische SZ an Duchamp und Warhol erinnerten.


UK

Hilary Mantel hat in diesem Herbst ja für einen veritablen kleinen Skandal gesorgt (der Perlentaucher resümierte), aber zugleich hat der Erzählband "Die Ermordung der Margaret Thatcher" der einige britische Medien aufjaulen ließ, ihren Ruf als die englische Autorin Nummer 1 gefestigt. Nicht einmal Ian McEwan, dessen neuer Roman "The Children Act" noch nicht auf Deutsch erschienen ist, überstrahlt heute noch ihren Ruhm - und Martin Amis brachte es mit seinem Roman "The Zone of Interest", der in Deutschland wegen politisch unkorrekter Holocaust-Satire keinen Verlag fand, sogar fertig, trotzdem keinen Skandal auszulösen. "Die Ermordung der Margaret Thatcher" gefiel den Kritikern am Ende gar nicht wegen der schein-skandalösen Story um die Eiserne Lady, sondern wegen der Subtilität, mit der Mantel das Fremde ins Vertraute mischt und nicht zuletzt auch wegen ihres präzisen Humors. Alexander Menden benennt die Ingredienzien ihres Schreibens in der SZ so: "Metaphysischer Horror", ein nüchterner, scharfer Blick auf die Welt und eine lakonische, stilsichere Sprache.

Zu den viel besprochenen britischen Romanen des Herbstes gehören weiter John Burnsides "Haus der Stummen" dessen Vivisektionsthematik Stephan Speicher in der SZ aber nicht ganz einleuchtete, und Neil Gaimans "Der Ozean am Ende der Straße" ein von Monstern und Nornen bevölkertes Buch für Kinder und Erwachsene, das die Kritiker in der Welt und FAZ verzauberte.


Deutschland

Der deutsche Roman, auf den sich in diesem Herbst alle einigen konnten, ist Lutz Seilers buchpreisgekrönter Roman "Kruso" Er erzählt von einer kleinen Gruppe Saisonarbeiter auf Hiddensee, kurz vor der Wende. Schon die "körpernahe" (Lothar Müller in der SZ), "hypnotische, fast magische" (Lorenz Jäger in der FAZ) Sprache des als Dichter bekannten Lutz Seiler hat die Rezensenten berückt. Und dass die kleine Gruppe ihr Heil nicht in der gefährlichen Flucht aus der DDR sucht, sondern in der Flucht nach innen, in die Abschottung und Dichtung, wurde als poetische Provokation gefeiert. Nach Lorenz Jägers erster, sehr guter Besprechung, meldete in der FAZ der Schriftsteller Wolfgang Hegewald jedoch Bedenken an: Er wittert das "Gespenst der Utopie" unter den Kellnern und Köchen, die entsprechend gekränkt seien, als die Mauer fällt. zu "Kruso" im Perlentaucher)

Marlene Streeruwitz hat in diesem Herbst einen kleinen Coup gelandet: Erst schrieb sie sich mit "Nachkommen" einem Roman über die jungen Autorin Nelia Fehn, die einen Roman schreibt, der nicht den Buchpreis gewinnt, auf die Longlist für den Deutschen Buchpreis. Dann legte sie nach und veröffentlichte den Roman Nelia Fehns, "Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland" Die Kritik war hin und weg! Die hier geschilderte Trostlosigkeit des deutschen Literaturbetriebs entspricht exakt der Realität, versichern die Kritiker. In der SZ lobt Jens Bisky die Wut der Streeruwitz, in der Zeit verspricht Ina Hartwig einen bitterbösen "Freudschen Familienroman" samt "Stewardessenfantasien" alter Herren. Und auch das Werk der "Nelia Fehn" fand bei FR und NZZ nichts als Lob.

Thomas Hettches "Pfaueninsel" spielt zwar Anfang des 19. Jahrhunderts, aber das Thema ist brandfrisch: Außenseiter. Die Zwergin Marie, eine Dienerin, hat Aufstiegsambitionen. Doch dann nennt Königin Luise sie und ihren kleinwüchsigen Bruder bei einem Ausflug auf die Pfaueninsel "Monster"! Um Außenseiter im Zeitalter der beginnenden - und normierenden - Moderne geht es in Hettches Roman ebenso wie um das Verhältnis von Kunst, Wissenschaft und Natur. Wie der Autor das zusammenbringt, hat den Rezensenten ziemlich imponiert. Marion Brasch schickt für ihren Roman "Wunderlich fährt nach Norden" einen mittelalten, privat gescheiterten Lehrer - von anonymen SMS geleitet - auf eine Reise in den Norden. Hier muss sich der egozentrische Jammerlappen bewähren. Ein wunderbar leichtes, skurriles Buch, lobten die Rezensenten.

Außerdem sehr gut besprochen wurden Dorothea Renckhoffs modernes Schauermärchen "Verfallen" Wolfgang Herrndorfs nachgelassenes Romanfragment "Bilder deiner großen Liebe" in dem wir der Isa aus "Tschick" wiederbegegnen und Sherko Fatahs Roman "Der letzte Ort" über die Entführung zweier Deutscher durch den IS im Irak. Mehr aktuelle deutschsprachige Romane finden Sie auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis.


Afrika

Sex und Polygamie im muslimisch geprägten Teil Nigerias sind nicht gerade ein naheliegender Stoff für einen satirischen Unterhaltungsroman. Vor dem Hintergrund der Gräultaten von Boko Haram stellt sich vielmehr die Frage, ob das Unterfangen überhaupt gutgehen kann. In "Die geheimen Leben der Frauen des Baba Segi" über einen Polygamisten und seine vierte Frau, die das fragile Gleichgewicht der Vielehe aus dem Lot zu bringen droht, wagt sich Lola Shoneyin daran, die Rolle der Frau in Nigeria als screwballartige Geschlechterkomödie zu erzählen, und bereitet damit laut Claudia Kramatschek (NZZ) nicht nur großes Lesevergnügen, sondern gewährt auch tiefe Einblicke in die nigerianische Gesellschaft - subtil subversive Botschaft inklusive.

Paradise heißt der Schauplatz von NoViolet Bulawayos Debütroman "Wir brauchen neue Namen" eine ärmliche, chaotische Blechhüttensiedlung in Simbabwe, die für die zehnjährige Darling und ihre Kinderstraßengang Heimat ist. Dann der Umzug zu einer Tante in die USA, Kulturschock, Überfluss, Fremdheit, Heimweh. Dass Bulawayo in der Schilderung der an ihre eigene Biografie angelehnten Geschichte auf Betroffenheitskitsch und Elendsklischees verzichtet, rechnet ihr Jutta Person in der SZ hoch an und hebt den von Miriam Mandelkow wunderbar ins Deutsche übertragenen ruppigen Slang der Erzählerin hervor. "Das Moralisieren bleibt im erzählerischen Fluss ganz dem Leser überlassen", freut sich auch Jan Schulz-Ojala im Tagesspiegel über die angenehm wertungsfreie Erzählhaltung Bulawayos.

Sehr gut besprochen wurde außerdem Scholastique Mukasongas Roman "Die heilige Jungfrau vom Nil" über den Alltag an einer ruandischen Mädchenschule, an der all die Konflikte schwelen, die sich als explosiv erweisen sollten (wir haben ihn bereits im Bücherbrief vorgestellt) und Abasse Ndiones Roman "Die Piroge" über senegalische Flüchtlinge und ihren Traum von Europa. Großes Lob gab es auch für den Foto-, Essay- und Reportageband von Mikhael Subotzky und Patrick Waterhouse über das Johannisburger Hochhaus "Ponte City"


Finnland

Finnland war in diesem Jahr das Gastland der Frankfurter Buchmesse. Allzu groß war die Ausbeute nicht, aber einiges zu entdecken gab es doch. Einsteigen könnte man mit einem ausführlichen Artikel der finnischen Autorin Rosa Liksom, die im österreichischen Magazin Wespennest über die finnische Geschichte, die Beziehung Finnlands zu Russland und über Lappland schreibt. Oder man stürzt sich gleich in "Alles frisch" einen von Stefan Moster herausgegebenem Band neuer Erzählungen aus Finnland. Rezensent Harald Eggebrecht hat hier wunderbare Entdeckungen gemacht, versichert er in der SZ. Finnisches Alltagsleben kommt ebenso vor wie Groteskes und Doppelbödiges. Glanzstück des Bandes ist für den Rezensenten Daniel Katz" Erzählung "Grenzbegehung" über einen Elch, der bei einem jüdischen Autor um Asyl bittet und die Frage diskutiert, ob Elchfleisch eigentlich koscher sei.

Kjell Westös Roman "Das Trugbild" spielt im Jahr 1938, als auch in Finnland faschistische Strömungen stark wurden. Das spiegelt sich im "Mittwochsklub" wider, einer Freundesgruppe von Rechtsanwälten, Ärzten, Unternehmern, Künstlern, die sich einmal in der Woche in Helsinki zum Herrenabend trifft. Wie sich hier die Positionen etwa zur Euthanasie entwickeln, hat NZZ-Rezensent Karl-Markus Gauß mit Beklemmung gelesen. Verknüpft ist dieses Gesellschaftsbild mit einer zarten Liebesgeschichte und einem brutalen Ereignis im finnischen Bürgerkrieg 1918, das bis in die bürgerliche Herrenrunde strahlt. Gauß nimmt aus dem Roman unvergessliche Charaktere, nordische Geschichte und universelle Wahrheiten über das Verhalten Intellektueller im Krieg mit. Im Interview mit der Welt sieht der finnlandschwedische Autor "einige Parallelen" zwischen 1938 und heute, da sich "in so vielen europäischen Ländern die Demokratie immer noch als äußerst fragil erweist".

Hingewiesen sei auch auf Sofi Oksanens Roman "Als die Tauben verschwanden" : Den Versuch der finnisch-estnischen Autorin, die russische Besatzung Estlands mit ihrer ganzen historischen Gemengelage zu erzählen, findet die FR ebenso nüchtern wie originell, die NZZ berachtet ihn eher als interessant gescheitert. Johanna Holmströms "Asphaltengel" spielt ganz im Hier und Jetzt. Zwei Schwestern, Töchter eines mäßig religiösen Vaters aus dem Maghreb und einer zum Islam übergetretenen und dabei orthodoxe Züge annehmenden finnischen Mutter suchen ihren Weg in der finnischen Gesellschaft. Alltagsnah und beherzt erzählt, loben die Rezensentinnen in SZ und FR.


USA

Die amerikanische Autorin Lydia Davis, im Brotberuf Übersetzerin französischer Klassiker wie Marcel Proust und Gustave Flaubert, ist als Autorin für ihre Short Stories bekannt, wobei man "short" wörtlich nehmen kann: Einige ihrer Erzählungen im Band "Kanns nicht und wills nicht" sind nur wenige Zeilen lang. Es sind Alltagsminiaturen, erklärt eine begeisterte Fatma Aydemir in der taz, in deren Mittelpunkt "das Banale, Unbeachtete, Nebensächliche im Leben" steht. NZZ-Rezensentin Angela Schader fühlt sich bei der Lektüre mit der "komisch-schauerlichen" Essenz menschlicher Existenz konfrontiert. Ein köstliches Vergnügen, versichert sie.

Datenklau, 9/11, Drogen schluckende Techies und das frühe Internet - Thomas Pynchon versammelt da ganz schön was in seinem Roman "Bleeding Edge" Kulturkritik ist das nicht, eher ein New Yorker Heimatroman, meint ein hochamüsierter Willi Winkler in der SZ. Wenn einer den Weltuntergang glamourös malen kann, ist das Pynchon, versichert Peter Praschl in der Welt. FAZ- und Zeit-Rezensenten sind nicht ganz so euphorisch. Hingewiesen sei außerdem noch auf Joshua Ferris" "Mein fremdes Leben" mit einem Zahnarzt als Helden, dessen Sehnsucht nach Transzendenz seltsame Blüten treibt, so Wieland Freund in der Welt. Und Stephen Kings neuen Roman, "Mr. Mercedes" : Ein unglaublicher Bösewicht wird von einem pensionierten Polizisten, einem genialen schwarzen 17-Jährigen und einer verhaltensgestörten Mittvierzigerin gejagt. Es gibt viel Hackfleisch und einen Borsalino, verspricht Willi Winkler in der SZ, der sein Herz rettungslos an den Bösewicht verloren hat.

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