Bücherbrief

Aus Sicht eines Hundes

05.02.2024. Simon Shuster schreibt über Wolodymyr Selenskyj und den Krieg in der Ukraine. David Grossman ruft im Nahostkonflikt: Frieden ist die einzige Option. Sebastian Voigt erzählt die Geschichte des Judenhasses von der Antike bis zur documenta 15. László Kraznahorkai schreibt und trommelt von Sonderlingen und Todesnymphen. Iris Wolff steuert sanfte Moll-Töne aus Rumänien bei. Dies alles und mehr finden Sie in unseren besten Büchern des Monats Februar.
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Weitere Anregungen finden Sie in in der Lyrikkolumne "Tagtigall", dem "Fotolot", in den Kolumnen "Wo wir nicht sind" und "Vorworte", in unseren Büchern der Saison, den Notizen zu den jüngsten Literaturbeilagen und in den älteren Bücherbriefen.


Literatur

László Kraznahorkai
Im Wahn der Anderen
Drei Erzählungen
S. Fischer Verlag. 256 Seiten. 38 Euro

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Als multimediales Kunstwerk legt uns FAZ-Kritiker Tilman Spreckelsen diesen Band mit drei Erzählungen von László Krasznahorkai ans Herz - und zwar nicht nur, weil der Band mit Illustrationen von Max Neumann daherkommt sowie mit einem Schlagzeugsolo von Miklós Szilveszter, das man sich per QR-Code anhören kann. Die Texte über Sonderlinge und Isolationszustände harmonieren auch perfekt mit den Bild- und Tonbeigaben, versichert der Kritiker, der hier etwa einem Bibliothekar begegnet, der die von ihm verwalteten Bücher um jeden Preis beschützen will. Das Lesepublikum mit solchen Figuren "zwischen Irritation und Faszination" zu halten, ist die große Kunst des Autors, schließt Spreckelsen. Als unermesslichen literarischen Möglichkeitsraum beschreibt Dlf-Rezensent Jörg Plath das Werk des Ungarn: Hier kann alles mit allem zusammenhängen und auch das Brutale, Derbe kann zum Objekt des ästhetischen Genusses werden. Plath taucht ein in die soghaften Geschichten um drohende Apokalypsen, um Todesnymphen und um den Zusammenbruch jeder Ordnung. Ein wenig literarische Abenteuerlust sollte man aber mitbringen, rät der Kritiker. In der NZZ kommt Ilma Rakusa nicht nur Kafka in den Sinn, wenn der Autor aus Sicht eines Hundes über die Bedingungen des Daseins nachdenkt. Krasznahorkais absatzloser erzählerischer Furor, sein Existenzialismus, die Unausweichlichkeit, mit der er seine Figuren in apokalyptische Szenarien lenkt, verleihen den von Heike Flemming "virtuos" übersetzten Texten laut Rakusa eine Radikalität und eine Spannung, die süchtig machen.

Iris Wolff
Lichtungen
Roman
Klett Cotta Verlag. 256 Seiten. 24 Euro

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Mit ihrem Roman "Die Unschärfe der Welt" (bestellen) der uns in den Banat führte, war Iris Wolff für den Frankfurter Buchpreis 2020 nominiert. Nun liegt mit "Lichtungen" der neue Roman der in Siebenbürgen geborenen Schriftstellerin vor und Wolff blickt erneut zurück auf rumänische Geschichte. Erzählt wird von Lev, dem Sohn einer rumäniendeutschen Familie, von seiner Kindheit, die von einem Unfall geprägt war, von seiner damaligen Liebe Kato, und davon, wie er sie nach der rumänischen Revolution 1989 sucht und wiederfindet - allerdings in umgekehrter Reihenfolge. Inhaltlich fesselnd und sprachlich ebenso präzise wie "unprätentiös" erscheint dem verzauberten FAZ-Kritiker Andreas Platthaus die Art und Weise, wie Wolff ihn in die Vergangenheit führt, in das Leben der deutschen Volksgruppe im ländlichen Rumänien unter Ceausescu und dabei Erinnerungen als "Lichtungen" anordnet, auf denen es Überraschendes zu entdecken gibt. Ein Buch, durchzogen vom "Sprachzauber einer polyglotten Welt", applaudiert er. Großartig, wie Wolff aus Alltagsdingen eine ganze Welt erschafft, meint in der FR Cornelia Geißler, die auch staunt, wie die Autorin Politisches in ihrem geschickt konstruierten Roman nur nebenbei einflicht. "Ein Buch in sanften Molltönen" liest der taz-Kritiker Carsten Otte, der diesem genauen Porträt rumänischer Geschichte gelegentliche Redundanzen gern verzeiht.

Joana Osman
Wo die Geister tanzen
Roman
C. Bertelsmann Verlag. 224 Seiten. 24 Euro

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Als wir unsere Liste mit Literatur zum Nahost-Konflikt zusammenstellten, fiel uns einmal mehr auf, wie wenig palästinensische Literatur ins Deutsche übersetzt wird. Die deutsche Autorin Joana Osman ist Tochter eines palästinensischen Vaters, ihr zweiter Roman ein wichtiger Beitrag zum Verständnis des Nahost-Konflikts aus palästinensischer Perspektive, wie uns Stephanie von Oppen im Dlf Kultur versichert. Ihr halb autofiktionaler Roman setzt mit der Geschichte der Großeltern ein, die in den 1930ern in Jaffa ein Kino betrieben und 1948, nach der Gründung Israels, flüchten mussten, erst in den Libanon, später in die Türkei. Das Leben im Exil ist hart, liest Oppen bei Osman, und auch der Schreibprozess der Autorin, die am Tag des Massakers in den Flüchtlingslagern Sabra und Shatila geboren wird, kommt zur Sprache. Es geht, so die Kritikerin, um das Leid der vertriebenen Palästinenser, aber auch um die Freundschaft ihrer Großeltern mit jüdischen Nachbarn, sowie um Osmans eigene Empathie mit Opfern auf beiden Seiten. Ein auch sprachlich großer, humanistischer Roman, so das Fazit der Kritikerin. Ein Buch, "das einem deutschen Publikum eine palästinensische Lebensrealität zeigt, ohne dabei eine jüdische abzuwerten und Europa und die arabische Welt aus der Verantwortung zu ziehen", urteilt Johanna Hintermeier im br.

Sigrid Nunez
Die Verletzlichen
Roman
Aufbau Verlag. 224 Seiten. 22 Euro

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Das ist möglicherweise der bisher beste Corona-Roman, und Anette Grubes Übersetzung ist ebenfalls großartig, freut sich taz-Kritiker Ulrich Rüdenauer: Sigrid Nunez erzählt von einer Frau, die während der Covid-19-Pandemie in einer luxuriösen Wohnung auf den Papagei der Freundin einer Freundin aufpasst und über Gelesenes, etwa von Georges Perec und Joan Didion, reflektiert. Auch über Pflanzen, Tiere und Begegnungen sinniert die Erzählerin, ihre thematischen Fluchtpunkte hat sie dabei stets im Blick, versichert uns FR-Kritikerin Cornelia Geißler, die in diesem "beglückenden" Buch lernt, wie das Erzählen Menschen helfen kann, mit ihrer eigenen und der Verletzlichkeit anderer umzugehen. "Überraschend leichthändig" nennt auch Meike Feßmann im Dlf Kultur den Roman, der noch an Fahrt aufnimmt, wenn ein junger, attraktiver Mann einzieht, der der Heldin das eigene Alter vor Augen führt. Ein wenig Mühe verlangt Nunez' Sprunghaftigkeit und Zitierfreudigkeit dem SZ-Rezensenten Hubert Winkels zwar ab, belohnt wird er aber mit allerhand Lebensweisheiten. Für den Spiegel ist Enrico Ippolito mit Nunez durch New York gestreift.

William Boyd
Der Romantiker
Roman
Kampa Verlag. 624 Seiten. 28 Euro

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Einen Schmöker für lange Winterabende beschert uns William Boyd mit seinem neuen Roman, der uns quer durchs 19. Jahrhundert führt. Wohltuend "opulent", so der Dlf-Kritiker Wolfgang Schneider, erzählt uns Boyd die abenteuerliche Lebensgeschichte des "Stehauf-Manns" Cashel Greville Ross, den sein langes Leben nicht nur in die Schlacht von Waterloo oder zu den Kolonialfeldzügen in Indien führt. Auch vielen realen Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts wie Lord Byron oder dem Forschungsreisenden Richard Burton begegnet Boyds Held. Davon erzählt der Autor so präzise und authentisch, dass Schneider immer wieder prüfen muss, ob es jenen Cashel nicht vielleicht tatsächlich gegeben hat. Nein, weiß Schneider, und doch würde es einen nicht wundern, wenn alles genau so geschehen wäre, denn Boyd schreibt nicht nur spannend, unterhaltsam, mit der rechten Portion Philosophie, sondern auch wahrhaftig, so der begeisterte Rezensent. Ein brillantes Gespür für Absurditäten attestiert Guardian-Kritiker Jonathan Lee dem Autor: " Es ist berauschend, in der Gesellschaft eines Schriftstellers zu sein, der so viel Spaß daran zu haben scheint, die Haut der Geschichte abzustreifen und seine Charaktere darunter einzufügen", schließt er. Ein fesselndes, mitunter auch verwirrendes Panorama liest Charles Finch in der NYTimes.


Sachbuch

Simon Shuster
Vor den Augen der Welt
Wolodymyr Selenskyj und der Krieg in der Ukraine
Goldmann Verlag. 528 Seiten. 26 Euro

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Time-Reporter Simon Shuster hatte Wolodymyr Selenskyi schon vor dessen Präsidentschaft getroffen, als er noch als Komiker unterwegs war. In diesem Buch nun zeichnet er Selenskyis Regierungszeit seit dem Überfall Putins auf die Ukraine nach und zwar keineswegs als einseitiges Heldenporträt, wie uns Anna Prizkau in der FAZ versichert. So kommt der Autor, der als Ich-Erzähler durch die Geschichte führt, durchaus auch auf den propagandistischen Tonfall der Show "Diener des Volkes" des einstigen Fernsehkomikers zu sprechen oder beleuchtet, dass Selenskyi die Kriegssituation lange falsch beurteilt und nicht mit der Brutalität der Attacke gerechnet hatte; während gleichzeitig der im Buch ebenfalls prominent auftauchende Walerij Saluschnyj als Oberbefehlshaber der Armee die Situation weitaus realistischer einschätzte. Zu den weiteren Themen des Buchs zählen laut Rezensentin die Belastungen, die Selenskyjs Ehe im Verlauf des Krieges ausgesetzt war, Filmsichtungen im Präsidentenbunker sowie die zunächst zögerliche Unterstützung des Westens. Für Prizkau ist das Buch brillant, große Literatur, weil es durch das Menschliche vom Universellen erzählt. Klar ist es auch Unterhaltung, aber das muss Erkenntnis ja nicht ausschließen, meint die Kritikerin, die eine klare Leseempfehlung ausspricht. Auch Michael Mayn, der gespannt über die Veränderungen Selenskyis in den letzten zwei Jahren liest, empfiehlt das Buch in der FR. "Das ist sehr dicht dran, sehr gut geschrieben", lobt im SWR der Osteuropaexperte Thomas Franke. In der NYTimes empfiehlt David Kortava das Buch.

Katharina Bluhm
Russland und der Westen
Ideologie, Ökologie und Politik seit dem Ende der Sowjetunion
Matthes und Seitz Berlin. 490 Seiten. 34 Euro

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Im ZeitOnline-Gespräch hatte die Soziologin Katharina Bluhm vor einigen Wochen nachgezeichnet, wie die Einführung der Demokratie in den neunziger Jahren in Russland als "Schocktherapie" wahrgenommen wurde: Es kam zu massivem sozialen und ökonomischen Statusverlust, in Folge entwickelte sich die illiberal-konservative Bewegung gegen den Liberalismus und die Westintegration (Unser Resümee). Eine ausgezeichnete Analyse der jüngeren politischen Geschichte Russlands legt Blum mit ihrem aktuellen Buch vor, versichert uns SZ-Kritiker Florian Keisinger, der hier lernt, dass es Russland im derzeitigen Ukrainekrieg keineswegs nur um die Wiederherstellung alter imperialer Größe geht, sondern vielmehr um die Etablierung einer multipolaren Weltordnung, in der neben den USA und China eben auch Russland im Verbund mit dem globalen Süden entscheidend mitmischt. Gefährlich ist das laut Bluhm auch deshalb, weil in einem solchen Szenario Europa gar nicht vorkommt. In der FAZ lobt Ulrich Schmid, dass Bluhm bei ihrer Darstellung der russischen Verhältnisse weit in die Vergangenheit zurückschaut und beispielsweise auch die Auseinandersetzungen zwischen Reformkommunisten und Liberalen in den 1990ern analysiert. An dieser Stelle wollen wir ergänzend unbedingt noch auf Irina Rastorguevas bereits 2022 erschienenes Buch "Das Russlandsimulakrum" (bestellen) hinweisen, in dem die russische Journalistin ein Porträt der unterdrückten Opposition in Russland zeichnet. Ein wichtiger Essay, der die Gewaltausübung der Putin-Regierung nachvollziehbar anhand einer Mischung aus "individuellen Schicksalen, absurden Gesetzen und Gewalt" darstellt, urteilte die Osteuropa-Historikerin Franziska Davies in der SZ. Lesenswert ist sicher auch Stanislaw Assejews Bericht "Heller Weg, Donzek" (bestellen), in dem der ukrainische Journalist von der Folter im Gefängnis Isoljazija erzählt.

David Grossman
Frieden ist die einzige Option
Carl Hanser Verlag 2024, 64 Seiten, 10 Euro

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"Frieden ist die einzige Option" versammelt auf nur 64 Seiten Reden und Zeitungsartikel von David Grossman aus den vergangenen Jahrzehnten bis heute, einige hat Grossman auch nach dem Massaker der Hamas in Israel geschrieben. Grossman kritisiert seit vielen Jahren die israelische Besatzung der palästinensischen Gebiete und plädiert für die Zweistaatenlösung. "Demokratie ist sehr tief in der israelischen Tradition verwurzelt, aber wenn man ein anderes Volk besetzt, vor allem für so lange Zeit - wir reden von über 56 Jahren, können Sie sich das vorstellen? -, dann kann man nicht mehr wirklich von Demokratie sprechen." Er habe "das Gefühl, dass diese verdorbene Geisteshaltung, ein Besatzer und gleichzeitig ein Demokrat zu sein, uns lebendig auffrisst", erklärte er kürzlich im Interview mit der FAS. Aber er lässt auch keinen Zweifel daran, dass die Hamas eine terroristische Mörderbande ist. Grossman findet in seinen Texten die richtige Balance zwischen Kritik und Loyalität, lobt ein beeindruckter Alexandru Bulucz im Dlf. Für ihn ist es beklemmende, nie belehrende Lektüre. In der Welt wünschte sich Marko Martin, "hiesige 'Israelkritiker'" würden wenigstens ansatzweise von Grossman die Kunst der prägnanten Analyse lernen. Wer noch etwas tiefer in die Geschichte Israels eintauchen will, dem empfiehlt Catherine Newmark im Dlf wärmstens Benny Morris' 2008 erstmals erschienene geschichtliche Abhandlung über den Krieg "1948" (bestellen), der gewissermaßen den Kern des Israel-Palästina-Konflikts bildet. Wie der israelische Historiker die Kämpfe, aber auch die unterschiedlichen Macht- und Interessenkonflikte der europäischen und arabischen Staaten schon im Vorfeld, im 19. Jahrhundert darlegt, findet die Kritikerin höchst informativ, auch noch für Kenner. Als einer der sogenannten "Neuen israelischen Historiker" arbeite Morris dabei an einer Revidierung des zionistischen Narrativs, ohne dabei das arabische "schlicht zu untermauern", erklärt Newmark. Auch Mark Reichwein empfiehlt den Band in der Welt, nicht zuletzt wegen der neuen Vor- und Nachworte.

Sebastian Voigt
Der Judenhass
Eine Geschichte ohne Ende?
Hirzel Verlag. 232 Seiten. 25 Euro

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Dieses Buch des Historikers Sebastian Voigt gewinnt derzeit an trauriger Aktualität. Eigentlich hatte Voigt eine Geschichte des Judenhasses von der Antike bis zur documenta 15 verfasst, nach dem 7. Oktober erweiterte er das Buch um ein Nachwort. Die Zeitspanne bis zum 19. Jahrhundert handelt Voigt zwar recht knapp ab, räumt der taz-Kritiker Daniel Burghardt ein, doch vermag Voigt es dennoch, gängige und bis heute kolportierte antisemitische Stereotype zu erklären und ihre Entstehung zu vermitteln. Besonderer Gewinn liegt für den Rezensenten darin, dass der Autor aufzeigt, wie anpassungsfähig der moderne Judenhass ist; so können linke und rechte Gruppierungen gleichermaßen die paradoxe Sicht vertreten, Juden seien gleichzeitig über- und unterlegen. Dem Aufruf zum Widerstand gegen jeden Antisemitismus kann sich der Rezensent nur anschließen. "Markerschütternd aktuell" erscheinen dem FR-Kritiker Jörg Aufenanger auch die sieben Essays, die Jean Amery zwischen 1969 und 1976 geschrieben hat und die nun unter dem Titel "Der neue Antisemitismus" (bestellen) erneut herausgegeben wurden. Aufenanger zeichnet Amérys Werdegang nach, der auch in einem der Texte des Bandes, "Mein Judentum", reflektiert wird: Hier zeichnet Amérys nach, wie die Antisemiten ihn durch ihre Fremdzuschreibung erst zum Juden gemacht hatten. Und nicht zuletzt sei noch auf Michel Friedmans "Judenhass" (bestellen) hingewiesen, dass sich vor allem der fehlenden Solidarität mit den Israelis nach dem Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober widmet. Dabei nimmt Friedman vor allem den "Antisemitismus der Mehrheitsgesellschaft" in den Blick, der rechts wie links zu finden ist.

Kate Summerscale
Das Buch der Phobien und Manien
Eine Geschichte der Welt in 99 Obsessionen
Klett Cotta Verlag. 352 Seiten. 22 Euro

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Queen Mary litt an einer derart schrecklichen "Telephonophobie", dass sie in ihrem Leben nicht einen einzigen Anruf entgegen nahm, Salvador Dali hatte Todesangst vor Insekten, andere Menschen haben wiederum Angst vor Eiern oder Knöpfen. All das und viel mehr erfahren wir in diesem Buch der britischen Wissenschaftsjournalistin Kate Summerscale, die uns eine Geschichte von 99 Phobien und Manien erzählt. Dlf-Kultur-Kritikerin Susanne Billig taucht ein in ein überbordendes Universum "amüsanter, erschütternder und absurder historischer Anekdoten", hebt aber auch den großen wissenschaftlichen Detailreichtum des Buches hervor, aus dem sie etwa lernt, wie besessen die Ärzte des 19. Jahrhunderts von krankhaften Neurosen waren. Es gibt aber auch positive Aspekte bei derlei Krankheiten, erfährt sie, so können "kollektive Manien" einen revolutionären Aspekt haben. In der Zeit hat Maja Beckers kein Problem damit, dass Summerscale nicht systematisch vorgeht. Sie lernt hier nicht nur den Zusammenhang von Phobien und Manien mit gesellschaftlichen Veränderungen kennen, sondern verdankt dem Buch auch jede Menge Gesprächsstoff. Für den Dlf hat sich Tobias Wenzel mit der Autorin getroffen. Ihren "originellen Analysen" verdankt er ein besseres Verständnis der menschlichen Psyche.
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