Magazinrundschau - Archiv

Berfrois

2 Presseschau-Absätze

Magazinrundschau vom 23.07.2013 - Berfrois

Jonathan Sperbers Biografie über Karl Marx ist auch in Deutschland mit großem Interesse aufgenommen worden. Russell Bennetts stellt Sperber im Interview unter anderem die Frage nach Marx' Verhältnis zu den Juden, auf die Sperber eine interessant differenzierende Antwort gibt. Von jüdischem Selbsthass könne man bei Marx nicht sprechen: "Um Marx' Position zu verstehen, müssen wir sehen, dass das Judentum in der Mitte des 19. Jahrhunderts als religiöse und kulturelle Herkunft gesehen wurde. Marx ist im Alter von fünf Jahren getauft worden und hat eine protestantische religiöse Erziehung erhalten, die von jüdischer Identität sehr weit entfernt war. Seines Geisteswelt war vor allem von Junghegelianern geprägt, radikalen Philosophen, die ihre Karriere allesamt als protestantische Theologen begonnen hatten. Die feindlichen Bemerkungen über Juden in 'Zur Judenfrage' sind von Ideen liberaler protestantischer Theologen über das Judentum als eine ethisch unterlegene Religion abzuleiten - von Ideen also, die bis ins 20. Jahrhundert im protestantischen Denken Deutschlands vorherrschend waren."

Magazinrundschau vom 23.04.2013 - Berfrois

In einem sehr interessanten langen Gespräch überlegen der russische Aktivist und Kulturkritiker Artemy Troitsky, der britische Fernsehproduzent Peter Pomerantsev und Oliver Carroll von Open Democracy, welche Rolle heute die Kultur in Russland spielt. Sie wird plötzlich wieder als gefährlich wahrgenommen, das zeigt schon der Prozess gegen Pussy Riot, aber sie spielt längst nicht die Rolle, die sie in den 60ern und 80ern gespielt hat, meint Troitsky. Dafür sei sie zu elitär, zu weit weg von den "normalen" Menschen. Pomerantsev stimmt zu. Aber vielleicht müsse das jetzt auch so sein, überlegt er. "Es ist sehr interessant, sich im Detail anzusehen, was gerade passiert, denn es ist ein etwas anderer Kampf. In der Sowjetzeit gab es eine Sowjetkultur und eine Dissidentenkultur. Heute sind die Dinge weniger eindeutig. Zum Beispiel habe ich in den letzten Tagen einige Leute von Nashi [der Putin-treuen Jugendorganisation] getroffen. Ich war ziemlich überrascht herauszufinden, dass ihre Ästhetik hipster ist. Sie lieben Mangafilme, sie mögen moderne Kunst, sie haben eine Art westlichen Stil in ihrer Sprache integriert und das ganze dann auf den Kopf gestellt und mit Patriotismus und einem Quasi-Faschismus verbunden. In der Vergangenheit hat der Kreml oft die radikalsten Kunstprojekte wie zum Beispiel Kyrill Serebrennikows Territorija Festival gesponsort. Sie wollten sicher gehen, dass es keine kulturelle Rebellion gibt, indem sie ihre Sprache vereinnahmt und zum Teil des Systems gemacht haben. Sie wurde sinnlos. In den letzten achtzehn Monaten habe ich gesehen, was Kultur und Sprache angeht, wie die Opposition versucht, eine Miniwelt für sich selbst zu schaffen, einen Ort, der nicht durch die Einmischung des Kremls kontaminiert ist. Ich finde das unglaublich und sehr inspirierend."