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1 Presseschau-Absatz

Magazinrundschau vom 12.10.2021 - Deutschlandfunk Kultur

Ende Juli hat Tunesiens Präsident Kais Saied den Notstand ausgerufen, den Regierungschef entlassen und das Parlament kalt gestellt. Seitdem regiert er per Dekret. Bei den Tunesiern ruft das gemischte Gefühle hervor, berichtet Sarah Mersch. Zu gut ist vielen noch die Diktatur von Ben Ali im Gedächtnis. Andererseits legen die politischen Parteien Tunesiens - allen voran die islamisch-konservative Ennahdha - das Land schon seit Jahren lahm: "Faouzi Daas war 2019 so etwas wie der inoffizielle Wahlkampfmanager von Saied. Mit ihm und einer Reihe Freiwilliger war Saied damals durchs ganze Land gezogen, um seine Vision eines neuen Tunesiens zu propagieren. Der inzwischen 63-jährige, parteilose Juradozent galt damals als Außenseiter. Trotzdem konnte er in der Stichwahl fast drei Viertel der Stimmen auf sich vereinen. Auch heute noch erklärt Daas voller Überzeugung, wie das neue politische System der direkten, lokalen Demokratie aussehen sollte, dass sie damals erdacht hatten. Überwachung durch die Zivilgesellschaft, Volksentscheide bei großen nationalen Fragen, in jedem Stadtviertel basisdemokratisch gewählte Volksvertreter, die dann aus ihrer Mitte jemanden in die nächsthöhere Ebene wählen, bis ganz nach oben ins Parlament. So sah das Idealbild aus, das Daas, Saied und viele andere von einer neuen tunesischen Demokratie entworfen hatten. Nur wurde dieses System nie umgesetzt. Der parteilose Präsident hätte dafür im Parlament nie eine Mehrheit bekommen. Durch das Notstandsrecht ist er nun nicht mehr auf die Abgeordneten angewiesen. Jetzt, so verkündete es Kais Saied Ende September, sollen Fachleute ein neues Wahlrecht und ein neues politisches System erarbeiten. Ob sie sich das basisdemokratische Modell zum Vorbild nehmen? Daas zuckt mit den Schultern".