Magazinrundschau - Archiv

Etcetera

3 Presseschau-Absätze

Magazinrundschau vom 01.03.2004 - Etcetera

Die mexikanische Medienzeitschrift Etcetera hat ihre Februarausgabe freigeschaltet. Aufmacher ist eine kurze Sozial- und Kulturgeschichte des mexikanischen und lateinamerikanischen Feuilletons, aufgezeichnet von Carlos Monsivais. Wendepunkt war auch jenseits des Atlantiks das Jahr 1968. Erst in den Achtzigern aber konnte sich die Kulturberichterstattung in den Massenmedien fest etablieren. Dahinter steckten Journalisten, die der "kulturellen Mobilität einen Großteil ihrer sozialen Mobilität verdankten". Will heißen: "Ein signifikanter Prozentsatz der anderweitig Erfolglosen entdeckte im Vergnügen an der Kunst und am Humanismus alternative Lebenschancen. Diese zumeist jungen Leser und Zuschauer interessierten sich für Anregungen und Neuigkeiten, die es ihnen erlaubten, sich den Metropolen zu nähern, und nutzten dafür die vergleichsweise breiten Zugangsmöglichkeiten in Sachen Kino, Theater, Bücher, Ausstellungen und Tanz, all das also, was jenen bleibt, die keine große Kaufkraft haben", bemerkt der in Lateinamerika hochgeachtete Essayist.

Am heutigen Feuilleton hat Monsivais allerdings nur wenig Freude. Insbesondere kritisiert er die "fortschreitende Überwältigung" durch den von der Kulturindustrie vorgegebenen Veranstaltungskalender, die unzureichende Berichterstattung über das akademische Leben, die Instrumentalisierung durch die an der Vermarktung ihrer Neuerscheinungen interessierten (spanischen) Verlage, die Verdrängung analytischer Beiträge durch lobhudelnde Interviews und die "rituellen Beweihräucherungen" anlässlich aller möglichen Jahrestage (womit er übrigens nicht die im deutschsprachigen Raum weit verbreiteten, in Lateinamerika aber unbekannten Geburtstagsgrüße meint). Außerdem fehlten dem mexikanischen Kulturjournalismus auf Buchrezensionen spezialisierte Zeitschriften wie The New York Review of Books oder Revista de Libros, bemerkt Monsivais in einem bei Autoren seiner Güteklasse erstaunlich schludrigem Spanisch. Die vorzügliche, aber leider im Internet kaum zugängliche Letras Libres lässt er dabei außen vor.

Ebenso in Etcetera: ein schönes Interview ("Was halten sie von Norberto Bobbio?" "Kenn' ich nicht") mit Jorge Kahwagi, einem Parlamentarier der mexikanischen Grünen und aktivem Boxer, sowie diverse Beiträge (hier und hier und hier) zu der von der Financial Times ins Rollen gebrachten Debatte über das Treiben der ehrgeizigen Präsidentengattin Marta Sahagun de Fox.

Magazinrundschau vom 08.12.2003 - Etcetera

"Die anderen Geheimnisse dieses extravaganten Hotels waren für Ana Magdalena Bach nicht so einfach zu entschlüsseln. Als sie sich eine Zigarette anzündete, sprang eine klingelnde und leuchtende Alarmanlage an, und eine autoritäre Stimme sagte ihr in drei Sprachen, dass sie sich in einem Nichtraucher-Zimmer befand, das einzige, das sie in dieser Messe-Nacht gefunden hatte". So beginnt "Die Nacht der Mondfinsternis", eine bislang nur in lateinamerikanischen Medien veröffentlichte Kurzgeschichte von Gabriel Garcia Marquez, die nun von der mexikanischen Medienzeitschrift Etcetera freigeschaltet worden ist. Die wahre Identität des galanten Liebhabers, den Ana Magdalena Bach in jener Nacht kennen lernt, stellt sich übrigens erst Jahre später heraus.

In diesen Zeiten gerade in Deutschland sehr lesenswert auch die (zuvor schon in der kolumbianischen Zeitschrift Cambio veröffentlichten) Gedanken von Garcia Marquez zum Interview als journalistischem Genre. Der Nobelpreisträger sieht da eine ganze Menge Probleme: "Jeder glaubt, er könne ein Interview machen, und deswegen werden häufig die Anfänger mit vier Fragen losgeschickt, auf dass sie sich auf wundersame Art und Weise in Journalisten verwandeln". Aufnahmegeräte sollten seiner Ansicht nach in der Tasche bleiben; sie sind einer aufmerksamen Gesprächsführung wenig zuträglich. Und überhaupt: "Der Interviewte wird immer die Gelegenheit dazu nutzen, das zu sagen, was er will, dem Interviewer dafür aber die Verantwortung zuzuschieben."

Wie spätestens seit "Nachricht einer Entführung" und dem ersten Band seiner Memoiren bekannt, ist Garcia Marquez in journalistischen Gefilden mehr als bewandert. 1982 trug er sich sogar mit dem Gedanken, in Kolumbien eine eigene Zeitung zu gründen. Warum es dann doch nicht dazu kam, schildert sein argentinischer Weggefährte Tomas Eloy Martinez: Der Schriftsteller konnte es einfach nicht lassen, sich ganz und gar seinen Roman zu widmen.

Magazinrundschau vom 01.12.2003 - Etcetera

Zwei ausgezeichnete Zeitschriften gilt es diese Woche in Lateinamerika zu entdecken. Als eine wahre Fundgrube entpuppt sich die Internet-Ausgabe des mexikanischen Medienmagazins Etcetera, das gerade sein dreijähriges Jubiläum feiert. Erklärt wird dort beispielsweise wie schlecht es um die Internet-Strategien lateinamerikanischer Zeitungen steht. "Das Problem ist, dass unsere Medien mimetisch vorgehen. Sie basieren ihre Entscheidungen darauf, was in den Industrieländern in Gang gesetzt wird", schreibt etwa Antulio Sanchez anlässlich der Entscheidung der besten mexikanischen Tageszeitung, Reforma, ihre Inhalte nur noch kostenpflichtig ins Netz zu stellen. Reforma hat sich das bei der spanischen El Pais abgeguckt, wo es allerdings auch nicht funktioniert hat, wie Sanchez zu berichten weiß. "Wenn es schon dort nicht klappt, wie soll es erst in Lateinamerika mit seinen relativ wenigen und langsamen Internet-Zugängen gut gehen?", wundert sich der Autor.

Für die Print-Jubiläumsausgabe haben Koryphäen wie Gabriel Garcia Marquez und der Argentinier Tomas Eloy Martinez Beiträge beigesteuert, die aber nicht frei zugänglich sind. Das ist nicht weiter schlimm, denn dafür gibt es eine Kurzgeschichte des Kubaners Eliseo Alberto und jede Menge andere Beiträge, wie Überlegungen zu den in Lateinamerika sehr wichtigen kommunalen Radios. Auch das Stöbern in vergangenen Ausgaben lohnt sich. Da wären zum Beispiel Debattenbeiträge zu der allerorts um sich greifenden "telebasura", dem auf unterstem Niveau produzierten "Fernsehschrott". Kommunikationswissenschaftler Sergio Octavio Contreras versucht sich an einer Bestandsaufnahme der Reality-Shows und muss feststellen, dass in dieser "Pornographie des Vergänglichen" jegliche "Idiotie zur Tugend" wird. Indes berichtet Jorge E. Navarijo, ein mexikanischer Korrespondent in Spanien, was sich so im Reich von Jose Maria Aznar tut. Schon der erste Satz ist ein Volltreffer: "Willkommen im schlechtesten Fernsehangebot der Europäischen Union".