Mord und Ratschlag

Die Nonchalance der linken Hand

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
08.07.2020. Der Fotograf Gordon Parks beschrieb schon 1957 mit seiner Serie "The Atmosphere of Crime", wie Polizei, Gewalt und Verbrechen schwarzes Leben in New York und Chicago belastete. Und dazu kann natürlich auch Chester Himes in seinen Harlem-Romanen um die Cops Grave Digger Jones und Coffin Ed Johnson etwas sagen.
Mitte der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts erreichte die Bürgerrechtsbewegung in den amerikanischen Südstaaten ihren Höhepunkt: Die Aktivistin Rosa Parks initiierte in Montgomery in Alabama den Bus-Boykott, der Oberste Gerichtshof erklärte die Segregation in den Schulen für verfassungswidrig, die Nationalgarde musste schwarzen Schüler in Little Rock in Arkansas den Weg in die Klassenräume freiräumen. Auch im Norden wurde das Verhältnis von Schwarz und Weiß sehr lebhaft diskutiert: Das Land fühlte sich einer beispiellosen Welle schwarzer Kriminalität ausgesetzt. Die Medien und das FBI des J. Edgar Hoover überschlugen sich in alarmistischen Meldungen über den Anstieg der Kriminalität: Von 1946 bis 1956 hatte sie um vierzig Prozent zugenommen. In den Großstädten reagierte die Polizei wie immer mit Härte, wie immer ohne Erfolg.

Das Life Magazine hielt mit einer mehrteiligen Serie im September 1957 gegen die Stimmung, die hysterische Züge annahm. Diese große Reportage bringt der Steidl Verlag nun als eigenen Band heraus, die Bilder lieferte Gordon Parks, der große Fotograf des schwarzen Amerika. Das Museum of Modern Art hat die Bilder gerade für seine Sammlung erworben. Wenn man sie heute betrachtet und wenn man heute auch den Text von Robert Wallace dazu liest, überkommt einen leichte Verzweiflung, wie hartnäckig sich die amerikanische Gesellschaft dem Erkenntnisgewinn verweigerte.

Wallace nimmt in seinem Report zunächst das Zahlenwerk auseinander, mit dem das FBI in seinem  Uniform Crime Report operiert. In New York zum Beispiel hatten lange Zeit die Reviere so wenige Verbrechen wie möglich gemeldet, um gut dazustehen. Als ein neuer Polizeichef die Praxis änderte und die Zahlen zentral erfassen ließ, schnellten sie prompt in die Höhe. Außerdem konnte eine besser ausgestattete Polizei mehr Fälle bearbeiten. Aber es gab auch tatsächlich mehr Kriminalität: Die Verstädterung und der enorme Bevölkerungszuwachs durch die Baby-Boomer führten zwangsläufig zu absolut höheren Zahlen. Die Vermehrung von Autos führte zu einer Explosion von Autodiebstählen.

Schon in den fünfziger Jahren stellten Schwarze zehn Prozent der Bevölkerung, aber dreißig Prozent der Verhafteten. Damit lag die Zahl ihrer Verhaftungen zehnmal höher als bei Weißen. Schwarze wurden häufiger verdächtigt, aber sie waren oft auch anfälliger dafür, auf die schiefe Bahn zu geraten: Aus dem Süden mit seinen rassistischen Jim-Crow-Gesetzen entkommen, waren sich auch dem familiär-kooperaiven Lebensstil ländlicher Regionen entrissen und in die individualistische Großstadt geworfen. Sie waren arm, unterprivilegiert und unerwünscht.

"Es herrschte entfesselte Gewalt. Rund um die Uhr hatten hatten wird es mit dem gewaltsamen Tod zu tun", sagte Gordon Parks damals zu seiner Reportage. Er lässt in seiner Bemerkung offen, wem er diese Gewalt zuschreibt. Seine Bilder sind sogar noch subtiler. "The Atmosphere of Crime" heißt die Serie, aber sie zeigt keine verruchten Bars, keine Unterwelt oder jugendlichen Gangs. Sie zeigt die Polizei bei ihrer ganz alltäglichen Arbeit.

Gordon Parks: Untitled, Chicago, Illinois 1957. The Museum of Modern Art, New York. © The Gordon Parks Foundation

Die Serie beginnt mit dem Silhouette eines uniformierten Polizisten vor dem nächtlichen New York. Der Polizist als Herr über der Stadt ist nicht unbedingt affirmativ. Hier blickt einer auf die Stadt oder Welt aus einer bestimmten, uniformen Perspektive, wie auch die Polizisten im Streifenwagen, denen sich die Außenwelt nur verschwommen durch die regennasse Windschutzscheibe zeigt. Sie patrouillieren, verwarnen Jugendliche, nehmen Personalien auf. Nachts erscheint jeder junge Mann vor einem Liquor Store suspekt. In der Morgendämmerung, wenn die Gestalten der Nacht im Sammeltransport aufs Revier gebracht sind, ergibt sich ein anderes Bild: Wir sehen die Armut in den Straßen unter der Hochbahn; junge Frauen oder Müllwerker, die den Eindruck erwecken, als würden sie einfach nur einen Platz im Leben für sich suchen.

Dann wechselt die Szenerie nach Chicago. Hier begleitet Parks zwei Detectives jener Polizei, die zumindest 1957 als die schlechteste von ganz Amerika galt und die ihm die passenden Bilder dafür liefert. Mit dem Revolver in der Hand treten die beiden Cops Türen ein, prügeln auf Verdächtige ein, legen Handschellen an. Die Delinquenten zeigt Parks nur undeutlich, meist schemenhaft: Mit erhobenen Händen oder gesenkter Waffe. Sie sind schwarz, jung, drogensüchtig.

Auf dem Revier werden sie verhört und ihnen werden Fingerabdrücke, Drogenpäckchen und Schlagringe abgenommen. Parks ist immer dabei. Die Unmittelbarkeit, die Echtheit dieser Situationen ist atemberaubend. Berührend sind die Bilder, auf denen Polizisten auf dem Revier mit einer unaggressiven Ruhe agieren, die vielleicht auch Fairness bedeuten könnte. Auf einem Bild sieht man einen schwarzen Detective, der mit seinem blauen Anzug und seiner gelassenen Haltung als Vorbild für Generationen von Polizeifilmen gedient haben muss.

Parks folgt den Polizisten ins Krankenhaus, ins Leichenschauhaus und nach San Quentin, ins kalifornische Staatsgefängnis. Die Galerie mit Hunderten von Häftlingen, die aus ihrer Zelle treten, ist in ihrer geordneten Geometrie erschreckend faszinierend. Doch in seiner zufälligen Ästhetik nicht zu übertreffen ist das Titelbild des Bandes, das die Hände eines Mannes in der Polizeizelle von Chicago zeigt: Die linke Hand liegt lässig mit einer Zigarette zwischen den Finger auf dem Gitter, die rechte straft die Nonchalance der linken Hand Lügen: Sie klammert sich fest um die Stäbe.

Kaum jemand hat das Bild der Bürgerrechtsbewegung und des schwarzen Lebens in Amerika so geprägt wie Gordon Parks. Er arbeitete in den fünfziger und sechziger Jahren für die großen Lifestyle-Magazine wie Life, Ebony und die Vogue. Seine Bilder waren immer präzise und ikonisch zugleich, wie auch sein Filme um den supercoolen Privatdetektiv "Shaft" von 1971, dem ultimativen Meisterwerk der Blaxploitation mit der Musik von Isaac Hayes.

Gordon Parks: Drug Search, Chicago, Illinois 1957. The Museum of Modern Art, New York. © The Gordon Parks Foundation

In "The Atmosphere of Crime" geht Parks allerdings außergewöhnlich skrupulös vor. Er zeigt kein Verbrechen, aber er zeigt auch keine Verbrecher. Er zeigt Armut und Drogenelend, aus dem Kriminalität hervorgeht, und er zeigt Menschen, die von der Polizei verdächtigt, verhaftet und verhört werden. Es ist die Polizei, die das Geschehen und die Taten definiert. Fast jedes Bild ist gerahmt durch das Fenster eines Polizeiwagens, durch ein Gitter oder Handschellen.

In einem zweiten Teil der Life-Serie ging das Magazin der Frage nach, was eine gute Polizei ausmacht. Die wenig überraschende Kenntnis war, dass eine Polizei dann am besten und effektivsten arbeitet, wenn die Bevölkerung ihr vertraut. Gewalt und Brutalität schaden in erster Linie der Polizeiarbeit selbst, lautete damals die diplomatische Botschaft des Magazins, und eine brutale Polizei schadet der Gesellschaft. Sechzig Jahre nach Erscheinen dieser alles erklärenden Reportage müssen Amerikaner noch immer gegen Rassismus und Polizeigewalt auf die Straßen gehen. Aber vielleicht dringt die Botschaft doch noch durch.

Gordon Parks: The Atmosphere of Crime. Steidl Verlag, Göttingen 2020, 120 Seiten, 38 Euro (Bestellen).


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Cover: Harlem-Romane Wer mit Gordon Parks auf das Harlem der fünfziger Jahre blickt, muss sofort auch zu Chester Himes greifen, dem Klassiker der afroamerikanischen Kriminalliteratur. Stichworte: Polizeigewalt und schwarzes Leben. Während heutige Autoren wie Attica Locke und Walter Mosley erfolgreich daran arbeiten, schwarze Detectives als amerikanische Helden zu etablieren und dabei stets auf der Höhe des Diskurses schreiben, ist Chester Himes' jede Romantik fremd. Seine Hardboiled-Romane sind von einem makabren Humor und einer Härte, die sich durchaus auch gegen sich selbst richtet. Während Walter Mosley vor allem mit seinen samtenen, im Los Angeles der vierziger Jahre angesiedelten Easy-Rawlins Romanen an Raymond Chandler anknüpft, folgte Chester Himes eher den Spuren von Dashiell Hammett.

Bei Himes stehen alle Figuren jenseits des Gesetzes, auch seine beiden legendären schwarzen Cops, Grave Digger Jones und Coffin Ed Johnson. Sie sind desillusioniert, aber keine Zyniker: "Grave Digger und Coffin Ed waren keine korrupten Detectives, aber sie waren gnadenlos. Um in Harlem arbeiten zu können, mussten sie gnadenlos sei. Farbige Bürger hatten keinen Respekt vor farbigen Polizisten. Aber sie hatten Respekt vor großen, blinkenden Pistolen und einem plötzlichen Tod. In Harlem hieß es, dass Coffin Eds Revolver einen Felsen töten und Grave Diggers Waffe ihn begraben könne." In Harlem nennt man sie auch die Monster, und das nicht nur, weil gleich im ersten Band der Serie Coffin Ed Säure ins Gesicht gespritzt wird.

Viel ist von Himes nicht auf dem deutschen Markt zu haben. Der Unionsverlag hält ihm mit einem Band tapfer die Stange, der drei Harlem-Romane versammelt. Einer ist großartiger als der andere: "Die Geldmacher von Harlem" erzählt die verrückte Geschichte des einfältigen Jackson, der von seiner Freundin Imabelle und ihren gerade aus Mississippi entronnenen Freunden gnadenlos übers Ohr gehauen wird. Jackson hält an seiner Liebe zu dieser Frau auch dann noch fest, wenn auf ihn eingedroschen, gestochen und geschossen wird: "Farbige und Schwierigkeiten, dachte Jackson, zwei Esel, die vor denselben Karren gespannt sind." Weil einer der Ganoven aus dem Süden Coffin Eds Gesicht verätzt, jagen ihn die Cops in besinnungsloser Wut: "Ein schwarzer Halunke hatte einem schwarzen Detective Säure in die Augen gespritzt, und schwarze Ärsche mussten dafür bezahlen, solange es schwarze Ärsche auf dieser Welt gab."

Im zweiten Band mit dem schön trashigen Titel "Heiße Nacht für kühle Killer" wird ein Weißer in einer Kaschemme in Harlem ermordet, und es gibt gleich eine Reihe von Schwarzen, die alle einen guten Grund gehabt hätten, den miesen Typen umzubringen. Eher schlechte Gründe hätten die Real Cool Moslems, die als Bande von Gangsterpunks durch die Straßen von Harlem ziehen. Über ihnen schweben Wolken von "Marihuana und Mordlust".

Im Harlem des Chester Himes ist das Leben zu hart, als dass irgendjemand unschuldig bleiben könnte. An jeder Straßenecke warten Straßenmädchen, Taschendiebe und Gelegenheitsgauner auf ihre Chance, ein paar Dollar zu machen: "In jeder Bar dröhnte eine Musikbox, zuckersüße Bluesstimmen tropften klebrig durch die Dschungelschreie quäkender Saxophone, schmetternder Trompeten und wildgewordener Pianoläufe. Überall prügelte sich irgendjemand oder hatte gerade eine Prügelei beendet oder fing eine Prügelei an oder trank irgendeinen Fusel und redete über eine Prügelei." Sinnlichkeit und Gewalt verbinden sich bei Himes zu einer Prosa von großer sinnlicher Präsenz. Alle Körper werden taxiert: auf die Schattierung ihrer Hautfarbe, die Schönheit, die Kraft. Im dritten Roman des Bandes, "Fenstersturz in Harlem", verbinden sich Liebe, Eifersucht und morphiumsüchtiger Reverend zu einem mörderischen Gemisch. If trouble was money / I'd be a millionaire.

Es ist kein realistisches Harlem, von dem Himes erzählt. Es ist eher eine überdrehte Version von dem, was sich Europäer unter Harlem vorstellen. (Korrigiert: Dass Himes nie in New York gelebt habe, wurde von seinem Biografen Lawrence P. Jackson widerlegt). Er wurde 1901 in Jefferson City in Missouri geboren. Seine Eltern waren Lehrer, doch er geriet als junger Mann auf die schiefe Bahn und landere mehrmals, wegen durchaus schwerer Taten im Gefängnis, darunter Scheckbetrug, Einbruch und Waffenraub. Im Gefängnis begann er zu schreiben, doch Erfolg war ihm in den USA nicht beschieden. Er ging nach Frankreich, wo er nicht nur auf Richard Wright und James Baldwin traf, sondern auch auf Marcel Duhamel, den Begründer der Série noire des Gallimard Verlag. Himes schrieb seine Harlem-Romane für ein europäischen Publikum, das ihm jede amerikanische Abstrusität abnahm. Sie gaben aber auch die Vorlage für grandiose Blaxploitation-Filme ab. "Cotton Comes to Harlem" ist leider nicht in dem Band enthalten.

Der Irrwitz der Romane mindert ihre literarische Qualität nicht. Sie sind von bewundernswerter Spannkraft, schlank und dynamisch, voller Action, Witz und einem scharfkantigem Sound. So explosiv die Hitze ihnen auch sein mag oder so schneidend die Kälte, sie sind nicht unbedingt noir: In ihnen läuft nicht alles auf den Tod hinaus, sondern auf eine fantastische Pointe.

Chester Himes: Die Harlem-Romane. Aus dem Amerikanischen von Manfred Görgens und Alex Bischoff. Unionsverlag, Zürich 2009, 571 Seiten, 12,90 Euro (Bestellen)