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Rubrik: Tagtigall - 75 Artikel - Seite 1 von 6
Tagtigall 20.12.2023 […] leichter die längst vertrauten beschwerden,
dank steinen & erden, steinen & erden
oder
aus beirut, bayreuth, verdun oder verden
bei steinen & erden, steinen & erden
und dann am Ende:
was immer wir waren, was immer wir werden,
(steine & erden, steine & erden).
"erden" reimt sich hier so selbstverständlich auf "werden", dass der ungewöhnliche Plural von "erden" fast unbeachtet bleibt. Sind hier etwa […] Promenaden im Sommer von New Yorkern bevölkert sind, treffen sich auch nach der Saison regelmäßig Dichter aus der Umgebung. Jüngst stellte der Language Poet Charles Bernstein die Biografie des hierzulande immer noch viel zu unbekannten Dichters Larry Eigner (1927-1996) vor. "Sustaining Air" lautet der Titel in Anlehnung an Eigners ersten Gedichtband gleichen Titels, der 1953 erschien.
Eigner, einer der Black […] Sehens über Zeilen hinweg, gehalten werden sie von jenem Luft-Weißraum, auf dem sie schweben.
Larry Eigner, dem die Welt nicht sehr zugänglich war, war sich der Welt, in der er lebte und die ihn umgab, immer bewusst. In den 1960ern engagierte er sich neben der Dichtung auch für die Rechte der Behinderten. Er habe zwar nie in den Slums gelebt und könne fast nichts gegen sie unternehmen, sagt er in dem im […] Von
Marie Luise Knott
Tagtigall 25.04.2023 […] russischsprachige Ausgabe des "Winterpoems" erschien Anfang 2022. Heute, mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine, ist die Bedrohlichkeit gewachsen. Mit den neuen Gesetzen und dem wachsenden Terror sind immer mehr Menschen in Russland ins Schweigen verbannt. Das Wissen darum prägt unsere Lektüre heute.
Es kennzeichnet große Werke der Literatur, dass es den Autorinnen oder Autoren gelingt, aus der Vorstellung […] ästhetisch in den Blick nimmt. Ihrer Überzeugung nach ist die Vergangenheit polyglott und polyphon. Sie hat viele Stimmen und viele Gesichter; und auch die Literatur hat ein eigenes Gedächtnis, das sich immer neu befragen lässt.
In dem Gedichtband "Der Körper kehrt wieder" hatte sie bereits aus Protest gegen den Krieg im Dombas die auftrumpfende mythendurchtränkte Kriegsrhetorik aus Literatur, Film und […] oder unbewusst) Reihen von Vokalen und Konsonanten. Dass der Chor der Stimmen auch im Deutschen überzeugt, liegt an der großartigen Übersetzung von Olga Radetzkaja. Sie weiß, dass man im Übersetzen immer einen Teil der Rhythmen und Assoziationen verloren geben muss, und hat wie als Antwort darauf, den Text mit deutschen Alliterationen, Klangräumen und Stimmen angereichert. Einmal beispielsweise schwingt […] Von
Marie Luise Knott
Tagtigall 27.03.2023 […] diese Welt, die auch eine der gemeinsamen Sprache ist. Wie findet man hinein, ohne sich seinerseits an die Sprache der anderen zu verlieren?
Mit den künstlerischen Fragen werden in der Dichtung auch immer existenzielle Fragen verhandelt. Nicht um sie zu lösen, bekanntlich, sondern um uns in Bewegung zu halten mit ihnen. Seit seinem ersten Gedichtband "klare konturen" im Jahr 2006 wurde Nico Bleutge von […] Luft liegt. Ein andermal ist es nachts:
von einem fenster aus, plötzlich steht es
offen, durch einen strauch hindurch die sterne
wie sie verschwinden, mit einem schnellen
wischen. vielleicht wie immer ohne geräusch
tauchen falter auf, deren flügel leuchten
ameisenklein von der brechung des lichts
in ihren röhren beginnt luft zu knistern
vielleicht sind es gar keine sterne, was
hinter den zweigen […] hat er sich bei der großen amerikanischen Dichterin Elizabeth Bishop Rat und Tat geholt. Im Englischen gibt es ein Kindergedicht, das sich aus der Anfangszeile "This is the house that jack built" immer weiter fortschreibt. Nacheinander tauchen u.a. eine Ratte, eine Katze, eine Milchkuh ein Pfarrer und ein Mädchen auf, doch jede Strophe führt zurück in das Haus, "that Jack built". Die einfache, wi […] Von
Marie Luise Knott
Tagtigall 08.02.2023 […] Heu,
Heu in den Kinderscheuern,
wo zu verbrennen
oder sich für immer zu verlieren
gleich leicht ist.
Gebündeltes Heu,
Heu auf den Feldern,
Heu als die bei der tödlichen Vielfalt
der Möglichkeiten gerade so
zueinander gegebenen Buchstaben,
diese Richtung,
aber keine andere.
Heu, das im Wind fliegt,
auf den dürren Stoppeln bleibt,
für immer von den anderen getrennt,
das den Schnee erwartet,
der ihm den […] einflüstern, dass sie sich hüten sollten.
"Schnee" ist bekanntlich eines der Schlüsselworte in Ilse Aichingers Lyrik. Schnee sei das Gegenteil vom Boden der Tatsachen, schreibt sie einmal, was auch immer das meint. Doch das bedeutendste am Schnee bei Aichinger ist etwas anderes: Schnee wie Heu sind Schlüsselwörter in ihrer Poetik. Beide simulieren grammatikalisch einen Singular (der Schnee, das Heu) […] draußen, wo alles fast wie gewohnt weitergeht, fast als sei vielleicht doch nichts geschehen. Als sei die Natur eben ein Boden der Tatsachen. Auch gegen die Angst. Die Angst vor dem Krieg schwingt dabei immer wieder hinein.
Zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020, hatte Rakusa sich ins Gespräch mit Friedrich Hölderlins Dichtung gebracht, und so erschien im letzten Frühjahr bereits das kleine Bändchen "FRÜHLING […] Von
Marie Luise Knott
Tagtigall 12.12.2022 […] Sprache zu verlassen.
schrieb der DDR-Dichter Sasha Anderson Anfang der 1980er Jahre. Und wenngleich er ein Spitzel war und als solcher ein bodenloser Zeitzeuge ist und sein damaliger Verrat noch immer zum Himmel schreit, findet sich auch in seiner Dichtung die Revolte gegen die manipulative Gewalt der Sprache, mit der sich damals in der DDR so viele Wortkünstler herumschlugen. Sie alle wollten raus […] schneller heilen.
Hier und da kippen einzelne Bilder, etwa, wenn die Hände der Großmutter mit Dürers betenden Händen assoziiert werden. Aber das mindert nicht ihre Kunst - Verse voller Traurigkeit, die immer das lachende Ufer im Blick haben.
heute habe ich mich den ganzen tag lang
nicht bewegt aus angst etwas umzustoßen
zum beispiel uns obwohl
wir keine blumenvasen sind
ich versuche standzuhalten ein […] ts, halten - sorgt hier für Rhythmus, der das redende Ich über die Angst des Fallens und des Auskühlens hinwegträgt. Das Ende dieser Passage ("ob es eine Zeit gab") macht spürbar, dass Begegnungen immer auch von den Konventionen ihrer Zeit geprägt sind. Schwache Satzteile wie "zum beispiel uns" leuchten schalkhaft hervor.
III. Steine
In einem Brief, datiert auf den 5.10.1803, schreibt Heinrich […] Von
Marie Luise Knott
Tagtigall 25.08.2022 […] gewissermaßen. Die Arbeit der Herausgebe, aus den zu einem bestimmten Stichtag eingereichten Gedichten eine Auswahl zu treffen, ist Jahr für Jahr eine schwierige Aufgabe. Schließlich ist jedes Blütenlesen immer - auch - ein Gewaltakt: man pflückt, man liest, und dann stellt man die einzelnen Blüten im Strauß zusammen. Doch nach welchen oder wessen Kriterien liest und komponiert man da?
Auch wenn die Jahreszahl […] stürmischsten Meeren. Und doch verlangt die Hoffnung selbst in Notzeiten nichts weiter von diesem "ich".
Das Gedicht von der Hoffnung, die einen nie verlässt, ist berühmt, vielfach übersetzt und immer wieder hochaktuell. Das könnte der Grund sein, dass Rainer René Mueller es gerade jetzt neu übersetzen wollte. Dabei ist es wahrscheinlich in seiner großen Einfachheit recht eigentlich unübersetzbar […] mit Gewinnen einher, denn Übersetzungen unternehmen verschiedene Zugänge zum übersetzenden Gedicht; so weitet sich der Innen- und der Echoraum des Originals. Dabei schöpfen die übersetzenden Dichter immer neu aus den Möglichkeiten der eigenen Sprache. Rainer René Mueller zum Beispiel entschied sich, die Verneinung, welche die erste und die dritte Strophe verbindet ("nicht", "nie und nicht") durch ein […] Von
Marie Luise Knott
Tagtigall 02.08.2022 […] I. Krieg
Beim Streunen, wie ich es vielleicht auch aus weltlagebedingter Ratlosigkeit zuletzt viel getan habe, treibt es mich immer wieder in Gefilde, ohne dass ich wüsste, was ich dort suche. So stieß ich in der von Fiston Mwanza Mujila herausgegebenen Anthologie "Kontinentaldrift. Das Schwarze Europa" auf Gedichte der britisch-somalischen Dichterin Warsan Shire, die mit ihrem Vers "Niemand verlässt […] genauer vielleicht auf Smarhonisch, wenn es das gibt; in ihre Texte jedenfalls mischen sich Polnisch und Russisch hinein, denn ihre Herkunftsregion ist vielsprachig und multikulturell - wie das Land, das immer wieder seine Menschen verlor, weil diese vor neuen Machthabern fliehen mussten.
So alltäglich ihre Gedichte scheinen, die Bedrängnis, aus der heraus Skarynkina schreibt, unterminiert jedes ihrer Bilder […] gleich
vor das kriegsgerät
ihm den weg zu versperren
dabei hat er gar keine brust
(Aus dem Russischen von Andreas Tretner)
Staub? Ja, ja: Alltägliche Rituale wie Hausarbeiten haben immer auch die Funktion, die zerfallende Welt intakt halten zu wollen. Auf den Bildern des kriegszerstörten Kölns meiner Herkunft war ein Staub allgegenwärtig, wie er sich in diesem Gedicht findet, auch nachdem […] Von
Marie Luise Knott
Tagtigall 13.05.2022 […] beherzten Temperament und der poetischen Intensität gelang es der Autorin und diesjährigen Kuratorin, Uljana Wolf, dass die von ihr geladenen Dichter, Musiker, Performance- und Klangkünstler den Anwesenden immer neue Aspekte ihrer Kunst entfalteten. Ein großes Panorama dichterischer Aufbrüche in unserer Zeit.
Auch wenn vom derzeitigen Angriffskrieg der Russen gegen die Ukraine auf den Podien explizit nur manchmal […] zwischen Aktendeckeln, Erdschichten oder an den schartigen Worträndern früherer Generationen lagert." Einige Bilder geisterten durch die ganze Woche, allen voran Flüsse, Münder, Knochen und Gräber. Und immer wieder die Stille.
Besonders war diese Poetica vielleicht vor allem, weil sie kein Thema befragte, sondern vom Material her dachte." Archive sind Zeitkapseln, die sich öffnen, wenn sie mit der au […] Vergessen und Verschwinden; sie bringen Fundstücke aus Archiven mit den Mitteln der Dichtung im Heute zum Klingen. Andererseits reaktivieren sie (und das wird in der hiesigen Auffassung von Dichtung immer noch zumeist übersehen) das "Repertoire", also die oral tradierten Möglichkeiten performativer, verkörperter Darbietung. Dabei erweisen sich Klang, Lied, Tanz, und Ritual als innere Wissensspeicher […] Von
Marie Luise Knott
Tagtigall 06.03.2022 […] wollen?
(...)
wie wollen sie uns zersetzen, wenn wir aufbrechen
um unsere Straßenköter zu beschützen!
Anders als bei Belorusets gibt es bei ihm ein "wir" - und ein "sie". Wahrscheinlich sind beide immer im Wandel. Ich kann kein Russisch und kein Ukrainisch. Wer die Straßenköter sind, ahne ich nur. Aber eins weiß ich: mit den Straßenkötern beschützen wir alle, die keine Heimat, kein Dach über dem Kopf […] ahnte, schon damals, wer "der Teufel" ist. Und jetzt erkennen auch wir, welchen bleifarbenen Himmel er damals besang.
Rede, rede, Hauptsache es redet jemand
es ist wichtig, dass unser beider Stimmen
immer zu hören sind.
Alles beginnt erst.
Und wenn du von den Konzerten und Versammlungen heimgehst,
spürst du, wie stark die unterirdischen Steine deiner Stadt die Wärme speichern.
Wir wissen nicht, wer […] ein Krieg gegen die Erinnerung, spürbar in der Bombardierung jenes Ortes, wo einst das Massaker von Babyn Yar stattfand. Doch wie überwindet man Zerstörung?
"Ich habe mich in den vergangenen Tagen immer wieder gefragt, wie das Gehorchen funktioniert", schreibt Belorusets am 3. März in ihrem Kriegs-Tagebuch. Sie hatte ein Video mit einem russischen Soldaten gesehen, der nach einem Kampfeinsatz weinend […] Von
Marie Luise Knott
Tagtigall 21.12.2021 […] schaft, anders gesagt davor, dass das grelle Licht der Schweinwerfer die Glühwürmchen zum Verschwinden brächte. Und immer, immer war die Kindheit sein Elixir. Doch ist sie das nicht sowieso für uns alle?
Erwachsen? Niemals - niemals, wie das Leben
das nicht reift - es bleibt immer unausgegoren
von einem herrlichen Tag zum nächsten herrlichen Tag -
ich kann nicht anders als ihr treu bleiben,
der […] er immer wieder in seinen Kunstwerken inszenierte. In letzter Zeit ist es hierzulande fast still um ihn geworden, nun - endlich! - liegen seine späten Gedichte vor, ergänzt um Gedichte aus dem Nachlass, herausgegeben und übersetzt von Theresia Prammer. Eine Großtat: 630 Seiten, im Großformat. Ganz wundersam kann man sich hier von Gedicht zu Gedicht verlaufen, fast wie in einem Roman. Denn immer tun […] solch eine Rechnung ist natürlich so falsch wie nur was, denn tatsächlich war Pasolini manisch produktiv und hat ein Mammutwerk hinterlassen, das aus der Antike kommend, weit in die Zukunft weisend, immer ganz gegenwärtig war, faszinierend, provokativ, der Gesellschaft (und uns) den Spiegel vorhaltend. Pasolini schrieb Gedichte, machte Filme, war Kolumnist und Romanautor und alles in einem: archaischer […] Von
Marie Luise Knott