Efeu - Die Kulturrundschau

Unbedenklichkeitspflaster

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
16.10.2014. Die Welt würdigt den feinen Humor Nick Caves. In der Presse erzählt Juliette Gréco von den revolutionären Manieren des Erzkatholiken Mauriac. In der taz erklärt die kuwaitische Künstlerin Shurooq Amin, warum Erotik und Rebellion zusammengehören. Theater der Zeit kritisiert das Reflexionsniveau deutscher Theater in Sachen Blackfacing.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 16.10.2014 finden Sie hier

Film



"Dokufiktion" möchte Michael Pilz (Welt) den Film "20.000 Days on Earth" über Nick Cave eigentlich nicht nennen, denn: Dieser Film des Künstlerpaars Iain Forsyth und Jane Pollard "ist wirklich große Kunst über das Wahre im Falschen. [...] Dieser Film ist wie Nick Cave und seine Werke. Prätentiös, aber nie unfreiwillig komisch, sondern von einem Humor getragen, der zu selten wahrgenommen und gewürdigt wird. Während er einsam durch das regnerische Brighton kurvt und durch die Autoscheibe vor sich hin starrt, leisten ihm die Geister seiner eigenen Geschichte auf der Rückbank oder auf dem Nebensitz Gesellschaft. Blixa Bargeld hatte die Bad Seeds, Caves Band, 2003 verlassen, jetzt erklärt er ihm, warum: Die eigene Band und eine Ehe, mehr könne kein Mann allein ertragen." Weitere Besprechungen in ZeitOnline und taz.

Weitere Artikel: Cristina Nord porträtiert in der taz den Berliner Self-Made-Regisseur Kaan Müjdeci, der die Einnahmen seiner Kreuzberger Bar und seines Modegeschäfts in sein Langfilmdebüt "Sivas" investiert hat, das dann nicht nur in den Wettbewerb von Venedig aufgenommen wurde, sondern dort auch mit beträchtlichem Erfolg lief. Erhard Schütz liest im Freitag neue Bücher über vor allem deutsche Filmgeschichte. In der taz empfiehlt Thomas Groh den Berlinern den Besuch des Pornfilmfestivals, eines der "wertvollsten und spannendsten, also: unverzichtbarsten Festivals der Stadt." Roland Huschke plaudert in der SZ mit Robert Duvall, der aktuell im (von Susan Vahabzadeh besprochenen) Film "The Judge" zu sehen ist. Thomas Assheuer stellt in der Zeit die umstrittenen Filme der New Yorker Regisseurin Josephine Decker vor, denen Julia Dettcke auf Zeit online eine ausführliche Besprechung widmet.

Besprochen werden Fatih Akins Historiendrama "The Cut" (Perlentaucher, Freitag), Johannes Holzhausens Dokumentarfilm "Das Große Museum" (taz), die DVD-Veröffentlichung von Arnaud Desplechins "Jimmy P. - Psychotherapie eines Indianers" (taz), Christian Freis Film "Sleepless in New York" (NZZ), Laura Poitras" "Citizenfour" (Zeit) und Wes Balls "Maze Runner" (FAZ).
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Musik

Über schöne Körper, schützendes Schwarz und gute Bekannte plaudert Juliette Gréco im Interview mit der Presse. Zum Beispiel über den katholischen Schriftsteller François Mauriac, der für sie geschrieben hat: "Auf einer Soirée war ein Autor, der viel Geld mit Jesus-Büchern verdiente, und Mauriac ging zu dessen Frau, streichelte ihren teuren Nerz und sagte: "Doux Jésus ..." ("Süßer Jesus", wobei "doux" auch weich bedeutet, Anm. d. Red.). Ja, so war er."

Bono antwortet im Interview mit der Zeit auf die alte Frage, warum Menschen für Musik zahlen sollen, die sie kostenlos downloaden können oder sogar - wie das jüngste U2-Album - geschenkt bekommen: "Warum gibt es dann eine gewaltige Industrie, die gut davon lebt, in Flaschen abgefülltes Wasser zu verkaufen? Also etwas, das aus jedem Wasserhahn umsonst kommt?"

Weitere Artikel: Im Freitag denkt Jörg Augsburg über die Rahmenbedingungen gegenwärtigen Singer/Songwritertums nach. Christian Werthschulte trauert in der taz um den überraschend gestorbenen Elektromusiker Mark Bell. Peter Hagmann berichtet in der NZZ über die Biennale Musica in Venedig. In der Welt schreibt Manuel Brug zum 150. Todestag von Giacomo Meyerbeer.

Besprochen werden der Auftritt von Caribou im Berghain ("sehr geiler Scheiß", jubelt Tobi Müller in der Berliner Zeitung, Volker Lüke geht im Tagesspiegel "die Sonne im Herzen auf"), eine neue Sun-Ra-Kollektion (ZeitOnline), ein Konzert der Sterne in Heidelberg (FAZ) und ein Konzert von Martha Argerich und Gidon Kremer in München (SZ).
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Bühne



Christian Thielemann dirigierte in Wien die Strauss" Oper "Ariadne auf Naxos". Die Erwartungen waren hoch, und Stefan Ender vom Standard ist auch nicht unzufrieden. Aber so richtig überwältigt auch nicht: "Oft fehlte es auch in der Begleitung an Dezenz, etwa in der Szene von Komponist und Zerbinetta am Ende. Auch noch in der Ouvertüre zur Oper in der Oper hatte die Inbrunst oft eine bedrückende, schwergewichtige Note; zu Soile Isokoskis edler, zarter Interpretation von "Ein Schönes war" tönte es buhlend aus dem Orchestergraben. Im Lauf der zweiten Hälfte des Werks löste sich alles Drückende in Wohlgefallen auf, gerieten die Dinge in berauschenden Fluss. Chapeau. Trotzdem: Da hat etwa Frédéric Chaslin Massenets Manon vor einigen Wochen ohne Orchesterprobe bereichernder, berauschender hinbekommen."

Zwar bereits einigeTage online, aber schon wegen der rege geführten Diskussion in den Kommentaren einen Hinweis wert, ist Falk Schreibers Nachtkritik-Bericht von einer offenbar wenig erfreulich verlaufenen Podiumsdiskussion zum Thema "Blackfacing im deutschen Theater" im Schauspielhaus Hamburg, wo derzeit eine zuvor bereits in Wien aufgeführte Inszenierung von Genets "Die Neger" läuft. Dazu passend hat Matthias Dell in Theater der Zeit nicht nur die beiden afro-deutschen Schauspieler Elizabeth Blonzen und Ernest Allan Hausmann nach ihren Erfahrungen im Betrieb befragt, sondern sich auch zwei aktuelle Produktionen - Nicolas Stemanns Uraufführung von Elfriede Jelineks "Die Schutzbefohlenen" und Johan Simons" "Neger"-Inszenierung in Hamburg - vorgeknöpft. Beiden attestiert er hinsichtlich der Auseinandersetzung mit dem Thema Blackfacing und Rassismus auf deutschen Bühnen geradezu lachhaftes Reflexionsniveau: "Wer Bilanz zieht nach zwei, zumindest den äußeren Umständen nach, hochkarätigen Theaterarbeiten zum Thema, der stellt fest, dass die Auseinandersetzung der deutschen Bühne mit den eigenen Rassismen bei der Repräsentation auch im Jahr 2014 auf der Stelle tritt. Man kennt zwar das Wort Blackfacing, aber man weiß nicht so recht, was das bedeutet. Was auch ein Problem der Kritik ist, die in diesem Punkt zumeist nicht als Korrektiv fungiert, sondern Unbedenklichkeitspflaster aufklebt."

Außerdem: In der Presse erklärt der Dirigent Leo Hussain, der die beiden Iphigenien-Opern von Gluck im Theater an der Wien dirigiert, die "tonalen Schockwirkungen" Glucks.

Besprochen werden Volker Löschs am Grillo-Theater Essen aufgeführter Abend "Die Odyssee oder "Lustig ist das Zigeunerleben"" (Freitag) und aktuelle Produktionen des Theater Leipzigs (SZ).
Archiv: Bühne

Literatur

Der australische Autor Richard Flanagan hat den Booker-Preis gewonnen, meldet die Welt. In der Zeit plaudert Ijoma Mangold mit Hans Magnus Enzensberger über dessen neues Buch "Tumult".

Besprochen werden Michail Bulgakows Kurzroman "Die verfluchten Eier" (NZZ), Roberto Bolaños Erzählungsband "Mörderische Huren" (Freitag), Heiner Müllers gesammelte Gedichte (Freitag), Comics von Peggy Adam (Tagesspiegel), die neue Lieferung aus Martin Walsers gesammelten Tagebuch-Notizen (FAZ), Stefan Hertmans" "Der Himmel meines Großvaters" (SZ) und die Ausstellung "Erfolg - Lion Feuchtwangers Bayern" im Münchner Literaturhaus (SZ).
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Kunst


Bild links: Aus der Serie "Popcornographic. Of Wives and Men" (Title based on John Steinbeck"s book Of Mice and Men, banned in Ireland in 1953, and USA in 1974 - 1990"s). 2013. Courtesy of Ayyam Gallery, Dubai. Bild rechts: Aus der Serie "We"ll Build this City on Art and Love": "The King of Hearts". Ayyam Gallery, DIFC, 2014. Dubai.

Für die taz spricht Juliane Metzker mit der kuwaitischen Künstlerin Shurooq Amin, deren Arbeiten in ihrer Heimat enorm anecken: "Symbole soziokultureller Tradition prallen auf Erotik und Rebellion in meinen Bildern", erklärt sie und antwort auf die Frage, warum eine Ausstellung 2012 von den Behörden geschlossen wurde: "Sie sagten, dass die Kunstwerke blasphemisch, pornografisch und antiislamisch seien. All diese Anschuldigungen sind unberechtigt. Ihrer Meinung nach demütigten und beschmutzten meine Bilder das Image des arabischen Mannes. Mit dem Ausstellungs-Aus wollten sie mich maßregeln. In der Nacht schmuggelten wir die Bilder aus der Galerie."

Weitere Artikel: Im Tagesspiegel führt Anna Pataczek durch das Programm des Europäischen Monats der Fotografie in Berlin. Nicola Kuhn liefert im Tagesspiegel Hintergründe dazu, dass Sammler Heiner Bastian seine Beuys-Werke aus dem Hamburger Bahnhof in Berlin abziehen lässt. Ingeborg Ruthe freut sich in der Berliner Zeitung, dass siebzig vormals der Werkstatt Rembrandt zugesprochene Werke nun offiziell als authentische Werke des Malers gelten dürfen, darunter auch der "Mann mit dem roten Hut" aus der Berliner Gemäldegalerie.

Besprochen werden eine Toulouse-Lautrec-Ausstellung im Kunstforum Wien (Presse), der Fotoband "Mother and Father" von Dewi Lewis, in dem der Fotograf den Lebensabend seiner Eltern dokumentiert (Freitag), eine Ausstellung über die Kathedrale in der Kunst im Kölner Wallraf-Richartz-Museum (FR) und eine Ausstellung der Fotografin Ricarda Roggan im Kunstverein Hannover (Zeit).
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Design

Florian Buchmayr hat für den Freitag die Ausstellung über den Deutschen Werkbund 1914 im Museum der Dinge in Berlin besucht. Besprochen wird außerdem eine dem Architekten Alvar Aalto gewidmete Schau im Vitra Design Museum in Weil am Rhein (FAZ).
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