Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
08.04.2002. Der Nouvelobs stellt eine gnadenlose Studie über Cioran, Eliade, Ionescu und den Faschismus vor. Atlantic Monthly denkt über künstliche Gesellschaften und simulierte Völkermorde nach.  Die NY Review of Books sieht Israel vor seiner letzten Legitimitätsprobe. Der Espresso verteidigt das Recht der Künstler, über Politik zu sprechen. Die NYT Book Review lobt das Buch eines Arztes über die Fehlbarkeit der Chirurgie.

New Yorker (USA), 08.04.2002

(Coverdatum: 15. April)

Calvin Trinilli beschreibt in einem liebevollen Porträt sein chinesisches Lieblingsrestaurant in Greenwich Village, nebst seinen Betreibern Kenny und Eve. Der Shopsin's kleiner corner store verfügt über eine Karte mit 900 Gerichten, darunter "Ungewöhnliches wie Cotton Picker Gumbo Melt Soup oder Hanoi Hoppin John mit Shrimp". Absolut lesenswert: Das Rezept beziehungsweise die Zubereitungsbeschreibung für Chicken Tortilla Avocado Soup gegen Ende des Textes.

Zu lesen ist außerdem die Erzählung von Haruki Murakami über einen Japaner, der wegen seiner Locken häufig für einen Mischling gehalten wurde. Die Geschichte trägt seinen Namen,"Tony Takitani", und beginnt mit dem sehr schlichten, schönen ersten Satz: "Tony Takitani's real name was really that: Tony Takitani." Schließlich gibt es noch ein - für Nicht-Amerikaner immerhin unterhaltsames - Quiz, mit kniffligen Detailfragen zu den Nixon-Tonbändern.

"Großartig" findet Peter Schjeldahl eine große Barnett-Newman-Retrospektive im Philadelphia Museum of Art (mehr hier). Gleich drei Theaterstücke nimmt sich Nancy Franklin in ihrer Sammelrezension vor: Ausführlich gewürdigt werden Turgenjews weniger bekanntes Stück "Fortune's Fool" und Carl Sternheims Satire "The Underpants", eine vernichtende Kurzerwähnung erfährt dagegen eine Inszenierung von "The Graduate" (Die Reifeprüfung) mit Kathleen Turner in der Rolle der Mrs. Robinson. Besprochen werden außerdem zwei französische Filme über "Familien gestern und heute": "Les Destinees" von Olivier Assayas mit Isabelle Huppert und Emmanuelle Beart (gestern) und "Time Out" von Laurent Cantet (heute).Nur in der Printausgabe: Ein Essay über die Frage, ob Kunst lehrbar ist, ein Text über das Verhältnis ziviler Freiheiten und Terrorismus sowie Lyrik von Kelle Groom, Matthew Zapruder und Elizabeth Alexander.
Archiv: New Yorker

Nouvel Observateur (Frankreich), 05.04.2002

Laurent Lemire bespricht die biografische und zugleich historische Studie "Cioran, Eliade, Ionesco: l?oubli du fascisme" von Alexandra Laignel-Lavastine. Man wusste es ja bereits, aber vor allem bei Cioran und Eliade blieb dem Rezensenten angesichts des von der Autorin angehäuften Materials zuweilen der Mund offen stehen. "Alexandra Laignel-Lavastines Untersuchung ist gnadenlos, sie versteckt uns nichts über diese drei Dörfler, die ihren Status als Rumänen später loswerden werden wollen. Sie zitiert aus Texten, die bis zum Mauerfall unbekannt waren, schreckliche Texte, die einiges über die Denkweisen des Historikers und des Philosophen aussagen." Aber Lemire warnt auch: "Gehen wir nicht in die Falle 'Achtung Faschisten'! ... Cioran und Eliade standen in der Versuchung des Totalitarismus, aber ihr Werk hat uns doch ein bisschen mehr gebracht als das der Ceaucescu."

In einem Interview erzählt Yvon Girard, Verantwortlicher für die Taschenbuchausgaben bei Gallimard, von den Tendenzen auf dem französischen Buchmarkt. "Man muss sich im klaren sein, dass es bedeutet einem Buch ein zweites Leben zu geben, wenn man ein Taschenbuch herausbringt", sagt er im Gespräch mit Didier Jacob, "aber auch dass die Jugend das Lesen nervtötend findet. Die Bücher sind aus Papier. Sie leben nicht. Man kann nichts anklicken, es muss zumindest schnell gehen beim Lesen." So erklärt sich Girard den Erfolg kurzer Geschichten und Reclam-ähnlicher Taschenbücher, die auf dem französischen Markt en vogue sind und für 2 Euros verkauft werden. Kafkas "Brief an den Vater" ist so immerhin 25.000 mal abgesetzt worden.

Weitere Artikel: Odile Quirot schildert in einer Reportage die Lage des Nationaltheaters in Alger. Die Türen der Theater sind in Algerien wieder geöffnet. Zunehmend tauschen sich Künstler aus Frankreich und Algerien aus. Und Aude Lancelin portärtiert aus Anlass des Erscheinens der "Sphären" Peter Sloterdijk.

The Atlantic (USA), 07.04.2002

In der Titelgeschichte macht sich der britische Publizist Christopher Hitchens (mehr hier) ("Die Akte Kissinger") an die Legende Winston Churchill. Doch selbst Hitchens, der bisher so maches Denkmal vom Sockel gehoben hat, muss zugeben, dass er Churchill höchstens ein paar Stufen tiefer stellen würde. Der Text selbst ist nicht in Netz gestellt, dafür ein Flashback - eine Zusammenfassung mit Verweisen auf weitere Churchill-Artikel: "According to Hitchens, though he does deserve recognition for having been the only world leader to defy Hitler for reasons of principle as opposed to self-interest, Churchill was, to a much greater extent than has been generally acknowledged, a bumbling, impulsive, bombastic and frequently drunk political climber who would abandon any past allegiance that might hinder his upward trajectory."

Jonathan Rauch erkundet die Lehre von der künstlichen Gesellschaft, die aus der Verbindung von Sozialwissenschaft und Informatik hervorgegangen ist. Per Computer lassen sich nunmehr sämtliche gesellschaftliche Entwicklungen bis zur Dynamik von Völkermorden simulieren: "Die Wissenschaft von den künstlichen Gesllschaften steckt noch in ihren Kinderschuhen. Ob Spielzeug-Genozide jemals zum Verständnis realer Völkermorde beitragen, mag dahingestellt sein. Aber das Feld blüht... Forscher schaffen Cybermodelle ehemaliger Indianergesellschaften in Mesa Verde, Colorado, und im Oaxaca-Tal in Mexiko, sie schaffen virtuelle polynesische Gesellschaften, sie setzen Kriminalitätswellen in künstlichen Stadtvierteln in Gang, sie lösen Preisschocks in künstlichen Finanzmärkten aus... Mir scheinen die frühen Ergebnisse dieser Wissenschaft zu belegen, dass social engineering niemals so effektiv sein wird, wie Liberale hoffen, aber auch nicht so plump wie Konservative behaupten." Im Netz kann man sich die verschiedenen Animationen hier ansehen. Und merkwürdigerweise hat Atlantic auch mit seinem eigenen Autoren ein Interview geführt.

Außerdem im Netz: Ein riesiger Report von Trevor Corson über den bedrohten amerikanischen Hummer: Sind Hummer überfischt? Die Lobstermen sagen nein, aber sie können es nicht beweisen: "Lobstermen know their resource more intimately than do many other kinds of fishermen, and they feel justified in telling the government that lobsters are doing well enough to be left alone. The trouble is that lobstermen tend not to have advanced degrees and scientific data to back up their claims, so their opinion carries little weight." Aber nun kommen Gelehrte in Atom-U-Booten und wollen ihnen helfen.

Ferner: die Kurzgeschichte "Raw Material" von A.S. Byatt sowie die Buchkritiken "New and Noteworthy. Weitere Artikel beschäftigen sich damit, wie Richard Nixon vom eigenen Generalstabschef ausspioniert wurde, und mit Cross-Dressern: heterosexuellen Männern, die Frauenkleider tragen.
Archiv: The Atlantic

New York Review of Books (USA), 07.04.2002

(Datiert vom 25. April)

Anthony Lewis blickt auf die ausweglose Lage im Nahen Osten. Er meint, dass Israel aufpassen müsse, seine eigenen moralischen Grundlagen nicht zu unterminieren. "Eine Lösung, die sich an Prinz Abdullahs Vorschlag orientiert, würde natürlich Risiken für Israel mit sich bringen. Selbstmordattentate wären weiterhin nicht auszuschließen. Aber solch eine Lösung ist besser als eine Politik, die den Terrorismus ebenfalls nicht stoppt, aber mit Israels Werten bricht und in der ganzen Welt Feindseligkeit hervorruft. Der Zionismus mit seinem noblen Ziel, eine Heimat für alle Juden zu schaffen, sieht sich hier vor seine letzte Legitimitätsprobe gestellt: der Frage, ob er seine Grenzen akzeptiert und zulässt, dass ein anderes Volk ein legitimes Recht auf eine Heimat in Palästina hat."

Tim Judah hat in Belgrad Reaktionen auf den Kriegsverbrecher-Prozess gegen Slobodan Milosevic (mehr hier) beobachtet: "In fact only a very small minority of Serbs, mostly Belgrade liberals, support the Hague trials or want anything to do with international efforts to bring their former leaders to justice. According to a poll in the popular weekly magazine Nin, 41.6 percent of those surveyed gave their former leader "five out of five" for his performance so far. Biljana Kovacevic-Vuco, the head of Belgrade's Lawyers Committee for Human Rights, told me that the prosecution's opening statements contained errors and that the testimony of the first witness, Bakalli, seemed weak. "People are starting to celebrate Milosevic's excellent role in defending himself like a 'real Serb'", she said. "Of course, they really blame Milosevic for losing the war, not for starting it."

Weitere Artikel: Richard Dworkin ist auch auch mit den neuen Regelungen für die US-Militärtribunale nicht zufrieden, vor die mutmaßliche El-Qaida-Terroristen gestellt werden sollen: Zwar dürfen sich die Angeklagten nun einen Anwalt nehmen, sie haben aber immer noch kein Recht auf eine Berufung, und die Öffentlichkeit kann weiterhin ausgeschlsosen bleiben. Der irische Dichter und Nobelpreisträger Seamus Heaney (mehr hier oder hier) schreibt den Nachruf auf Thomas Flanagan. Jennifer Schuessler dankt Paula Fox (mehr hier) dafür, dass sie den weiblichen Teenagern ihre Würde zurückgegeben hat. Und Brad Leithauser feiert Walt Kelly, dem wir die Comicfigur Pogo Possum verdanken. 

Espresso (Italien), 04.04.2002

Im Espresso nimmt Eugenio Scalfari Stellung in einer Debatte, die spätestens seit Nanni Morettis beherzter Schmährede gegen die Linke die Gemüter erhitzt: Wer eigentlich soll und kann über Politik sprechen? Seltsame Frage? Findet auch Scalfari und zeigt sich alarmiert angesichts der kulturellen "Aspirationen" einiger "Berufener", unter anderem des von Scalfari eigentlich geschätzten Kritikers Pietro Citati, die insbesondere kritischen Schriftstellern lieber einen Maulkorb verpassen würden, wenn es um politische Stellungnahmen geht. Soll hier womöglich, so mutmaßt Scalfari, der Künstler vom Intellektuellen geschieden werden? Der Künstler und also der Poet, der Romancier hätten zur Politik nichts beizutragen? Scalfari verweist auf eine lange Reihe von Gegenbeispielen von Dante über Thomas Mann bis Kundera. "Sollten sie alle bloß belangloses Zeug geredet haben? Manchmal vielleicht, aber bestimmt nicht immer."

Weitere Artikel: Massimo Riva untersucht den kuriosen Umstand, dass durch den Einstieg des Medienjongleurs Silvio Berlusconi bei Kirch-Media bald ein italienisches Staatsoberhaupt deutsches Fernsehen kontrollieren könnte, Andrea Meneghelli erklärt, wie George Lucas mit digital aufgemöbelten neuen "StarWars"-Folgen die Generation Playstation erobern will, und Eleonora Attolico deckt einen interessanten Zusammenhang: Geht's der Wirtschaft besser, werden die Kleider kürzer.
Archiv: Espresso

Economist (UK), 06.04.2002

Haben die Briten den Klassenkampf überwunden, wie Tony Blair glaubt? Der Economist äußert Bedenken und hält die "meritocracy", in der Fleiß, nicht Geld und Einfluss den Ausschlag geben für Erfolg, allenfalls für eine gute Idee. "If he really believes in meritocracy, the prime minister might, on one definition of that term, be thinking about enabling more downward mobility from the middle classes. Since the (arguably unfair) advantages middle-class parents confer on their children include intangibles such as contacts and confidence, that would be tricky even if it were desirable. But the government could, for instance, raise inheritance taxes, or try to prevent the middle-classes monopolising the best state schools."

Ein anderer Artikel befasst sich mit Sexualdelikten gegen Kinder und kommt zu dem einleuchtenden Schluss, dass die Täter vor allem dort zu suchen sind, wo Kinder sind: in Schulen, Sportvereinen, Heimen etc. Auch wie das heikle Verhältnis zwischen Aufsichtsperson und Minderjährigem kontrolliert werden kann, weiß das Magazin. "Any responsible institution ought to begin with a thorough background check of all potential volunteers or employees, ... have a system of management and supervision that limits the time any adult spends alone with a child ... Above all, parents have to teach their children to be alert, and must take note of adults who cross the moral boundary. Let them remember that the problem of adults abusing positions of trust and authority by preying on young people is not confined to the Catholic church."

Außerdem: Die Cover-Story versucht, Ariel Scharon zu verstehen und räumt seiner Politik geringe Gewinnaussichten ein, ein Special Report liefert eine Phänomenologie des Schiffs-Kontainers in Zeiten des Terrors und Waffenschmuggels, ein Wissenschafts-Beitrag sieht unruhige Zeiten für Physiker voraus: die physikalischen Konstanten verändern sich! "Books and Arts" bespricht eine Sozialgeschichte des Automobils. Und mit einer letzten Verneigung verabschiedet sich der Economist von der Königinmutter.
Archiv: Economist

Outlook India (Indien), 07.04.2002

In einem Meinungsbeitrag stellt uns Prem Shankar Jha seine eigene, friedfertige Vision des Hinduismus vor und ruft zur Besonnenheit unter den Konfessionen auf: "The Muslim conquest did undoubtedly cost Indians hundreds of great and tens of thousands of little temples all over northern India. The destruction was awesome and the art treasures lost irretrievable. But in the end, what was destroyed was art and not religion. The art was the product of man. It was not the creation of God, much less of the spirit of Hindu society. Yet enough has survived ... to give us all the sense of continuity that our religion and society need ... God resides in the people, in the poor, in the merciful, the generous, the compassionate. He resides all around us in srishti-nature. He is embodied in the natural order of life which it is our dharma to preserve."

Sheela Reddy interviewt den in London gebürtigen und aufgewachsenen Hari Kunzru zu seinem Romandebüt "The Impressionist". Kunzru, ehemaliger Mitherausgeber des UK-Magazins "Wired" und derzeitiger Goldjunge des literarischen Indien-Booms, will mit seinem Buch ein echtes Kunststück vollbringen: Die Absurdität der westlichen Sicht auf den Osten will er aufzeigen und den Asiaten ihre "eigene Geschichte" wiedergeben. Der erste, der das versucht, ist er jedenfalls nicht.

Außerdem: Sanjoy Hazarika preist eine bewegende Aufsatzsammlung, in der Frauen und Frauenverbände aus Kashmir von der Gewalt berichten, der sie alltäglich ausgesetzt sind, Dom Moraes verreißt Kishore Thukrals allegorischen Roman "The Chronicler's Daughter" ("about a country called U-Belly, where everyone is fat"), weil der Autor für die Fußstapfen von Swift und Orwell viel zu kleine Füße hat. Und Sanjay Suri weiß von einem indischen Kochbuch, für das die Queen das Vorwort verfasst hat, ohne zu ahnen, dass Indien jetzt die Briten kolonisiert - kulinarisch.
Archiv: Outlook India

Spiegel (Deutschland), 08.04.2002

Die Online-Auswahl ist diemal besonders dürftig. Die interessanten Geschichten stehen wie immer nur in der Printausgabe. Die Titelgeschichte widmet sich dem jüngsten Kapitel im ewigen Krieg ums Gelobte Land: Sharons Feldzug gegen den Terror. Henryk M. Broder sieht Israel in der Falle der Verzweiflung. Der Deutschlandteil betrachtet das Geschacher um Leo Kirchs Erbe. Und im Kulturteil fragt Volker Hage, ob nach den Erfolgen von Günter Grass, Peter Schneider und Bernhard Schlink in der Literatur nun die neue Unbefangenheit herrscht.

Matthias Geyer verfolgt den Positionskampf um die Listenplätze, den sich grüne Parteipromis in Baden-Württemberg liefern. Dort werden am Wochenende die Listenplätze vergeben. "Die Grünen sind keine Gegenpartei mehr, sondern eine Partei, die weiter regieren will. Und wer bei den Grünen was werden will, muss sich Nischen suchen, um sein Profil zu finden. Oswald Metzger fand sein Profil als Haushaltsexperte, er ist für Marktliberalismus und niedrigere Steuersätze. Er könnte auch für die FDP arbeiten, sagen die, die ihn nicht mögen. Cem Özdemir ist für eine Politik des Fortschritts, fürs Moderne eben, auch wenn keiner so genau weiß, was das bedeuten soll. Und Winfried Hermann ist eben für den Frieden, den ohne Waffen."

Ferner ist zu lesen, in welchen Punkten die Union alles zerstritten ist, dass bei der Explosion im AKW Brunsbüttel nur der Zufall Schlimmeres verhindert habe und wie den Amerikaner der Personalchef von Al-Qaida ins Netz ging. Außerdem gibt sich Hollywood- Kauz Billy Bob Thornton im Interview als Spießer zu erkennen: "Mein Leben mit Angelina (Jolie) ist nicht wild, in unserem Haus ist alles sauber, alles picobello aufgeräumt - und wir bleiben gern zu Hause und schauen uns alte Disney-Kinderfilme an."
Archiv: Spiegel

New York Times (USA), 07.04.2002

"Im Gegensatz zur westlichen Unterstellung, dass Kreativität Freiheit braucht, scheint die russische Wissenschaft am besten funktioniert zu haben, als die Bedingungen am schlechtesten waren", konstatiert Loren Graham in seiner Rezension von Richard Louries Buch "Sakharov - A biography" (mehr hier). "Subtil und aufschlussreich", nennt Graham das Buch, in dem er lernte, das es für Sacharow "extrem schwer war, den Stalinismus abzuwerfen, und dass er wie viele seiner Kollegen seine größten wissenschaftlichen Leistungen vollbrachte, als er noch in Stalins Knechtschaft stand." In der New York Times darf man das erste Kapitel dieser Biografie lesen.

Voll des Lobes ist auch F. Gonzalez-Crussi, ein Pathologe, über das Buch eines Arztes (und Medizin-Journalisten für den New Yorker): Atul Gawandes "Complications - A Surgeons's Notes on an Imperfect Science". "Fehlbarkeit", "Rätsel" (Mystery) und "Ungewissheit" sind die Klippen, die Ärzte demnach umschiffen müssen, und Gonzalez-Crussi ist begeistert, mit welcher Genauigkeit und Bescheidenheit Gawande diese Klippen beschreibt: "Am meisten genoss ich als Pathologe das Kapitel 'Final Cut', indem Gawande mit bewunderungswürdiger Ehrlichkeit erklärt, dass menschliche Hybris für den Niedergang der Autopsie-Ergebnisse verantwortlich sei. Ärzte glauben heute mit ihrer High-Tech-Medizin, dass ihnen keine Diagnose fehl gehen kann - dabei zeigen neue Studien, dass 40 Prozent der in einer Autopsie erkannten Anomalien beim lebenden Patienten gar nicht entdeckt wurden. Ein Drittel davon sind so bedeutend, dass sie die Therapie verändert hätten, wenn man sie rechtzeitig erkannt hätte." Scheint wirklich ein ehrlicher Arzt zu sein. Hier darf man einen Auszug lesen - und man muss sagen, er lohnt sich, wirklich seltsame Geschichte, die Gawande da erzählt.

Weiteres: Von aktuellem Interesse ist gewiss das Buch "Revenge - A Story of Hope" von Laura Blumenfeld. Es erzählt, wie sie mit ihren Rachegefühlen fertig wurde, nachdem ihr Vater von einem palästinensischen Terroristen angeschossen worden war - sie hat unter anderem auch Kontakt zur Familie des Terroristen aufgenommen: Blake Eskin (der selbst übrigens ein Buch über die Wilkomirski-Affäre publiziert hat) ist in seiner Rezension interessiert, aber auch skeptisch: "Individuelles Mitleid lässt sich nicht in politische Annäherung verwandeln. Und dass die Blumenfelds und die Khatibs zusammen weinen, wird Jahrzehnte des Hasses im Nahen Osten nicht beenden." Ein Interview mit Blumenfeld haben wir in Salon gefunden. Das erste Kapital darf man in der NY Times lesen.

Besprochen werden außerdem Edna O'Briens neuer Roman "In the Forest", ein Band mit Briefen von Gershom Scholem, der Krimi "Looking for Chet Baker" von Bill Moody und Andy Bellins Buch "Poker Nation", das nicht nur die Geschichte dieses Kartenspiels erzählt, sondern auch handfeste Tipps zu geben scheint.
Archiv: New York Times