Anne Weber

Gold im Mund

Cover: Gold im Mund
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005
ISBN 9783518417133
Gebunden, 127 Seiten, 14,80 EUR

Klappentext

Anne Weber hat ihre Erzählerin in ein Schweizer Großraumbüro versetzt: feste Arbeitszeiten, ein Schreibtisch in der Dentalabteilung von "Cendres & Metaux", telefonierende Kollegen, klappernde Tastaturen, ein Durcheinander von Stimmen und Bürogeräuschen - ein idealer Ort zum Schreiben? Hier jedenfalls verwandelt sich die Arbeitswelt in ein Refugium, in dem das Beobachten genauso anregend wird wie das wild schweifende Assoziieren. Eine Schreibtischlampe, eine Zimmerpflanze, die Zahnmodelle und Spezialgeräte der Firma und der Blick aus dem Fenster bergen Geheimnisse, die die Phantasie anregen. Die Erzählerin erlaubt sich schräg in die herrschende Diktion hineinragende Gedanken über das Ende des Kapitalismus, die Naturgesetze oder den abwesenden Direktor und stellt scheinbar naive Fragen zu den ökonomischen Verhältnissen. Sich dem Angestelltendasein so leichtfüßig zu nähern, gelingt, weil die Erzählerin das Privileg genießt, sich freiwillig und unabhängig im Büro zu bewegen. Das Gegenbild zu diesem entspannten Ausflug in den Werktag zeichnet der Brief an die "lieben Bürovögel": Geschrieben aus der Perspektive einer des erwerbstätigen Eingezwängtseins Müden, liest er sich als eine wütende Tirade, ein Befreiungsschlag, die furiose Verabschiedung von der Angestelltenexistenz.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 08.03.2006

Stellt man Anne Webers Texte aus dem Großraumbüro neben die großen Vertreter des Angestelltenromans von Walter Richartz bis Wilhelm Genazino, kommen sie einem vor wie ein "Light-Produkt", findet Katrin Hillgruber. Etwas "unentschieden" findet sie die Geschichten, die zu häufig "federleichte Belanglosigkeiten" und anstatt tiefere Einsichten in das Wesen des Büromenschen zeitigen. Die Rezensentin, die Weber als "politisch abgeklärt und aller sprachphilosophischen Finessen kundig" beschreibt, fängt nicht so recht Feuer. Zu wenig bissig ist ihr das alles, und auch die gelegentlichen Ausflüge in den "Slapstück" wollen sie nicht versöhnen.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 27.12.2005

Anne Webers Büroprosa "bleibt am Ende im Charmanten stecken", konstatiert Bettina Ehrhardt und macht dafür die allzu großen Vorbilder verantwortlich, an denen sich die Autorin orientiert. In Webers Gedanken zum Angestelltendasein in einer Bieler Firma für Gebisse und Inlays sieht die Rezensentin eine klare "Hommage" an den ebenfalls aus Biel stammenden Robert Walser und seine "Wirklichkeitsromane". Außerdem identifiziert sie Wilhelm Genazino und dessen "Abschaffel"-Trilogie als Vorbild, auch wenn Weber "egozentrierter" vorgehe. Das Experiment, sich als "Unternehmensschreiber" in die Perspektive der Angestellten hineinzuversetzen, misslingt nach Aussage der Rezensentin. "Die beiden Welten Kunst und Arbeit begegnen einander nicht." Und so bleibe Webers "ehrgeiziges" Ziel, die Welt die Büros als verkleinertes aber vollständiges Modell der großen Welt zu sehen, schließlich unerreicht.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 19.10.2005

Es fällt dem Rezensenten Stefan Kister schwer zu sagen, worum es in diesem Buch überhaupt geht. Auf jeden Fall wird ihm schon während der Lektüre klar, dass der Ansatz der Autorin Anne Weber nicht aufgeht, durch müßiggängerische Reflexionen und Assoziationsketten das große Ganze in Detailbeobachtungen zu spiegeln, während sie im tristen Büro-Umfeld eines Dentallabors sitzt. Kister sieht sich weniger die Welt und ihre Gesetzmäßigkeiten vor Augen geführt als eine eine anstrengende, "heikle Bastelarbeit". Weil die Autorin ihre reduzierte Versuchsanordnung mit Bedeutung und Inhalt aufzuladen versucht, bekämen ihre Beobachtungen laut Kister "die intellektualistische Schlagseite aphoristischer Seelenverkäufer." Im Laufe des Schreibens entwickele Weber durchaus ein paar unterhaltsame Ideen, doch lohnenswert macht dieser Umstand die Lektüre in den Augen des Rezensenten deshalb noch lange nicht - dazu passiert hier einfach zu wenig.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 11.10.2005

Ganz angetan zeigt sich Rezensent Samuel Moser von Anne Webers neuen Prosaband, in dem sich durch die Fotografie eines Großraumbüros getrennt zwei sehr unterschiedliche Texte finden. Beeindruckend findet Moser vor allem den neuen Text "Gold im Mund", während er die Aufnahme des zweiten, älteren Textes "Liebe Vögel" zwar als sachlich gerechtfertigt erachtet, ihm aber die "Leichtigkeit" und "klangliche Vielfalt" von "Gold im Mund" abspricht. Dieser, berichtet Moser, ist im Großraumbüro der Dentalabteilung von Cendres et Metaux entstanden, wo Weber während eines Stipendiums in Biel einen Schreibplatz erhielt. Und so beschreibt Moser "Gold im Mund" als ein "Stück Literatur aus der Arbeitswelt", genauer "aus der Arbeitswelt des Dichters". "Gold im Mund" proklamiere das Recht des Dichters auf den falschen Platz und das Recht des Textes auf Zusammenhangslosigkeit. In weihevollem Ton berichtet Moser über Webers Sätze, die "oft verträumt zum Fenster hinaus entschweben", und Gedanken, die "sich in Spekulationen verflüchtigen". Er attestiert der Autorin, nach ihren "bohrenden, an die Grenze der Selbstzerstörung gehenden" beiden vergangenen Büchern im vorliegenden Band eine Gelassenheit, die tatsächlich ein Wunder sei, selbst wenn es sich um eine "rein poetologische Gelassenheit" handle, wie sie wenig später feststellt.