Mord und Ratschlag

Wie man eine Lerchenpastete backt

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
08.07.2010. Dominique Manottis Wirtschaftsthriller "Letzte Schicht" verarbeitet in bester Costa-Gavras-Manier die Affäre um die Privatisierung des französischen Riesenkonzerns Thomson. In Domingo Villars Krimi "Strand der Ertrunkenen" ermittelt ein empfindsamer galicischer Inspektor gegen den Geist eines alten Kapitäns.
Zu den vielen Vorzügen in Dominique Manottis Wirtschaftsthriller "Letzte Schicht" gehört, dass sie einem endlich einige französischen Besonderheiten erklärt. Zum Beispiel, warum streikende Arbeiter immer wieder ihre Bosse festzusetzen. Oder woraus Lerchenpastete besteht.

Nach diesem Rezept wollte die französische Regierung unter Alain Juppe 1996 den staatseigenen Riesenkonzern Thomson privatisieren. Bei der Lerchenpastete kommt auf eine Lerche ein Pferd. Bei Thomson hieß das: Die einträgliche Rüstungssparte sollte dem gut vernetzten, aber deutlich kleineren Konzern Matra des Monsieur Arnaud Lagadere zugeschlagen werden, die mehrere Milliarden Umsatz versprechende Multimedia-Sparte dem koreanischen Billigimporteur Daewoo. Und zwar jeweils für einen Franc. Selbst für die Verhältnisse der Pariser Cliquenwirtschaft stank dieser Deal zum Himmel, er musste wieder rückgängig gemacht werden. Diesen realen Hintergrund verarbeitet Dominique Manotti in "Letzte Schicht" zu einem fein gewebten Thriller um Macht, EU-Subventionen und Arbeitsplätze. Und wie die gelernte Wirtschaftshistorikerin mit einem Faible für James Ellroy und die Arbeiterbewegung das tut, das hat ganz große Klasse (der einschlägige Hintergrundartikel aus Le Monde diplomatique wird vom Verlag mitgeliefert).

Die Geschichte beginnt in der lothringischen Provinz, im traurigen Städtchen Pondange. Die Eisenhütten hier sind längst stillgelegt, in der einzigen Fabrik produzieren Frauen, Araber und andere billige Arbeitskräfte Bildröhren für den koreanischen Konzern Daewoo, dessen einziges Interesse den großzügig gezahlten EU-Fördermitteln gilt. Immer hübsch in Fellrichtung streichen, lautete bisher die Devise, wenn es galt, aufsässige Betriebsräte gefügig zu machen. Doch nach einem weiteren Arbeitsunfall verliert eine schwangere Frau ihr Kind, und die beliebte Rolande Lepetite, die dem hartleibigen Vorarbeiter eine klebt, wird entlassen. "Tätlicher Angriff", da fackeln die Herren von der Human Ressource Abteilung nicht lange. Aus Solidarität treten die Arbeiter in Streik - mit "Angst im Bauch und Wut im Herzen" wie Manotti mitunter etwas arbeiterliedhaft schreibt - und setzten die Manager fest. Doch der Triumph über die gerupften Bosse währt nicht lange. Bald steht das halbe Werk in Flammen, die Manager verschwinden, und die Sicherheitsfirma lässt im anschließenden Tumult alle wichtigen Unterlagen beiseite schaffen. Am nächsten Morgen ist das Werk dicht, die Belegschaft entlassen, der Brand einem arabischen Kleindealer in die Schuhe geschoben und der erste Zeuge tot.

Eigentlich könnte die Pariser Manager von Alcatel nichts weniger interessieren als derartige Vorkommnisse im Provinzprekariat, wenn sie nicht gerade erfahren hätten, dass nicht sie den Zuschlag bei der Privatisierung des Thomson-Konzerns, sondern Matra und Daewoo erhalten sollen. Ganz schlechte Stimmung in der Führungsetage: Die sicher geglaubten Karrieren stehen vor dem großen Knick, das Essen bei Fouquet's muss abgesagt werden. Sie beauftragen den Wirtschaftsdetektiv Montoya nach Material zu suchen, das Daewoo und vielleicht auch Matra kompromittieren könnte.

Montoya hat es außer zu einem guten Geschmack und teuren Anzügen kaum zu etwas gebracht hat, seine Vergangenheit besteht aus "halben Erfolgen und kompletten Fehlschlägen". Aber auch wenn sein moralisches Fundament ein wenig bröckelt, bringt er immerhin genug beruflichen Ehrgeiz mit, die Angelegenheit aufklären zu wollen. Das unterscheidet Montoya erheblich von allen anderen Beteiligten. Von der Polizei, die jeden Schuldigen liefert, nach dem die Provinzfürsten verlangen. Von den Arbeitern, die nicht begreifen können und wollen, wie unbedeutend sie, ihre Arbeit, ihre Solidarität und ihre ganze innere Feierlichkeit in diesem Monopoly sind. Von den kleinen Gaunern und großen Sicherheitsfirmen, die alle um ihren Anteil am Drogenmarkt kämpfen. Von den Daewoo-Managern, die ganz schnell nach Warschau zur nächsten Pokerpartie weiterziehen, und von den Alcatel-Herren, die ihre Skrupel mit einem großen Schluck Cognac in einem "in allen Regenbogenfarben schillernden Wohlgefühl" auflösen.

Sehr kühl, sehr elegant und in einem dokumentarischen Stil, der an die Politthriller des Siebzigerjahre-Kinos erinnert, inszeniert Manotti diesen Kampf um Macht und Geld, ein bisschen Zukunft, etwas Liebe und ein paar Drogen. Manchmal geraten ihr die Arbeiter etwas zu sentimental und die Herren in Nadelstreifen zu zynisch, aber das verzeiht man ihr spätestens mit der kurzen, sehr zarten und zum Heulen illusionslosen Affäre zwischen Rolande und Montoya.

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Ebenfalls in die europäische Provinz führt Domingo Villar mit seinem Krimi "Strand der Ertrunkenen", er möchte die spanische Atlantikregion Galicien als Krimischauplatz etablieren. Hier weht bekanntlich ein rauer, kräftiger Wind, es regnet viel und stark, doch über den perlmuttfarbenen Stränden erheben sich sehr pittoresk mittelalterliche Steinfestungen. Die wortkargen und leicht unterkühlten Galicier muss man sich wohl wie die hiesigen Nordlichter vorstellen, allerdings hält sich von ihnen nicht das Gerücht, dass sie mit der Zeit auftauen. Ob an der Felsenküste, im Fischereihafen oder im Weinberg, am besten zieht man sich dicke Gummistiefel an und hält den Mund.

In einem solchen galizisch-herben Musterdorf, dem Küstenort Panxon, wird mit zusammengebundenen Händen die Leiche eines Fischers an Land gespült. Für die eine Hälfte der Dörfler ist deshalb klar, dass Justo Castelo nach alter Seemanns Sitte das Leben genommen hat; für die andere Hälfte steht fest, dass er dem ruhelosen Geist des Kapitän Sousa zum Opfer gefallen ist, mit dessen Tod der Fischer in unrühmlicher Verbindung stand. Natürlich erweist sich bei den Ermittlungen, die der aus Vigo entsandte Leo Caldas übernimmt, keine der beiden Fraktionen als besonders hilfreich. Die mühsam erarbeiteten Erfolge des Inspektors, die ebenso verschlossenen wie abergläubischen Dörfler zu knacken, macht meist sein Assistent Rafael Estevez, ein hochfahrender Aragonese, gleich wieder zunichte. Der wird schon mal handgreiflich, wenn ihm jemand auf die blank polierten Schuhe spuckt. Aber mehr noch als der Fall macht dem empfindsamen Inspektor Caldas sein Privatleben zu Schaffen: Über die Trennung von seiner Frau kommt er nicht hinweg, um seinen einsamen Vater muss er sich kümmern, der Onkel liegt im Krankenhaus. Und wie es sich für einen Regionalkrimi gehört, werden auch jeden Tag neue Spezialitäten aufgetischt: Entenmuscheln, Kabeljau oder Kalbsfüße mit Kichererbsen.

Mit "Strand der Ertrunkenen" hat der längst in Madrid lebende Journalist Villar bereits seinen zweiten Roman um den zartfühlenden Inspektor Leo Caldas vorgelegt. Und man fragt sich, ob ihm das Heimweh nicht ein wenig die Sicht auf die Heimat trübt. Sein Polizist kann keiner Fliege was zuleibe tun, nicht einmal einen Regenwurm spießt er auf den Angelhaken. Und auch im übertragenen Sinne kommt er einem nicht besonders tiefseetauglich vor: Stürmisch wird es in diesem Krimi nie, die beteiligten Personen entwickeln kaum ein über das Schablonenhafte oder eine Pointe hinausgehendes Leben. Der Inspektor arbeitet brav ein Indiz und einen Zeugen nach dem anderen ab. Dabei ist die Devise des Inspektors durchaus einleuchtend: dass nämlich die Dinge meist so sind, wie sie zu sein scheinen. Dies beugt durchaus überambitionierter Verrätselung vor. In diesem Fall leider zu sehr.

Dominique Manotti: "Letzte Schicht". Roman. Aus dem Französischen von Andrea Stephani. Argument Verlag, Hamburg 2010. 256 Seiten, kartoniert, 12,90 Euro. ()

Domingo Villar: "Strand der Ertunkenen". Roman. Aus dem Spanischen von Carsten Regling. Unionsverlag, Zürich 2010. 477 Seiten, kartoniert, 19,90 Euro
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