Außer Atem: Das Berlinale Blog

A ma facon: Agnes Vardas "Varda par Agnès" (Wettbewerb)

Von Anja Seeliger
13.02.2019.


Erstaunlich, was alles in ein Leben passt. Agnes Varda ist Filmemacherin, Installationskünstlerin, Fotografin, Dokumentarin, sie interessiert sich für neue Musik, Politik, und Menschen, die ausgemusterte Kartoffeln vom Acker sammeln. Ihr Film "Varda par Agnès", der im Wettbewerb außer Konkurrenz läuft, zeigt die 90-Jährige auf der Bühne eines Theaters sitzend, wo sie Filmstudenten von ihrem Leben und ihrer Arbeit erzählt. Dazwischen sind Filmszenen geschnitten, oder Szenen, in denen sie an den Drehorten über ihre Arbeit spricht. Unprätentiös, engagiert, witzig und ungemein lebendig. Es geht bei ihr immer um beides: Warum sie etwas gemacht hat und wie sie es gemacht hat, welche Form sie sich dafür ausgedacht hat.

Der bewundernden Zuschauerin fällt vor allem auf, wie sehr Varda in ihrer Zeit lebte, in den 60er Jahren Filme über den Feminismus drehte, dann, als sie mit ihrem Mann Jacques Demy in Kalifornien lebte, Dokus über die Murals machte oder die Black Panther. 1958 drehte sie einen Kurzfilm über den Markt auf der Rue Mouffetard im fünften Arrondissement von Paris. Heute ist der Markt recht schick, damals war er wirklich Arme-Leute-Land. Ihre Kamera beobachtet die Menschen auf der Straße, wie sie an den Ständen stehen und sich unterhalten. Varda schneidet das dokumentarische Material von der Straße gegen intime Szenen eines jungen Liebespaares und Nahaufnahmen von Tier und Pflanze. Anfang und Ende des Lebens. Die Musik von Georges Delerue belegt, was sie später sagen wird: "Ich habe sofort verstanden, dass die modernen Komponisten meine Verbündeten waren." Varda war zu dieser Zeit schwanger von ihrem späteren Ehemann Jacques Demy. Voller Freude und Hoffnung, aber auch voller Ängste. Das thematisierte sie gleich am Anfang, als ein Händler einen großen Kürbis auseinanderschneidet und ausschabt.



Das Beispiel zeigt gut, wie Varda arbeitet - das Private fließt bei ihr immer in die Arbeit ein, aber das Private ist gleichzeitig immer ein Teil eines sozialen Umfeldes, das nicht ihr eigenes sein muss. Auch das macht sie heute zu etwas besonderem. Ihr eigenes Milieu hat Varda filmisch kaum interessiert. Sie filmte lieber Landstreicher wie Sandrine Bonnaire in "Vogelfrei" 1984 oder die Kartoffelsammler wie in ihrer Doku "Les Glaneurs et la Glaneuse" von 2000, eine Arbeit, die schließlich in einer Kunstinstallation mündete. Ganz begeistert erzählt sie, wie sie zu Beginn des 21. Jahrhunderts die Digitalkamera entdeckte, die einen Film wie "Les Glaneurs et la Glaneuse" (mehr hier) mit seiner unauffälligen Technik für sie erst möglich machte. 2017 fuhr sie mit dem Fotografen JR in einem Lastwagen durch die französische Provinz (Faces Places, 2017, mehr im Guardian). Sie fotografierten die Leute hinten im Wagen und druckten das Bild wenige Minuten später in Riesengröße aus - als wären sie Stars auf einem Filmplakat.

Renaissancekopf: Agnes Varda


Varda, die als Autodidaktin angefangen hat, interessiert sich für jeden, spricht mit jedem und macht dann etwas daraus - a ma facon, wie sie sagt. Ein anderes schönes Beispiel, von dem sie erzählt, ist die Arbeit "Quelques veuves de Noirmoutier" (hier ein Ausschnitt) von 2006. Noirmoutier ist eine kleine Insel, unterhalb der Bretagne. Hier hat Varda geheiratet und mit ihrer Familie ein Ferienhaus gekauft. 16 Jahre nach dem Tod ihres Mannes drehte Varda hier einen Film über Witwen und lässt sie erzählen: Was sie erlebt haben, was ihnen fehlt, wie sie mit dem Verlust leben. Ganz normale Frauen. In einer Ausstellung hat sie einen größeren Bildschirm in die Mitte der Wand gehängt, dort sieht man die Frauen um einen Tisch am Strand herum gehen. Um diesen Bildschirm sind 14 kleinere arrangiert, hier sprechen die Frauen über ihre Erfahrung. Jede hat ihren Bildschirm, an den ein Kopfhörer angeschlossen ist. Wer einen aufsetzt, hört also immer nur eine Frau erzählen, während der mittlere Bildschirm von etwas erzählt, das sie gemeinsam haben.

Woran erinnere ich mich noch? Dass sie viel gelacht haben, als sie ihren feminstischen Film "L'Une chante, l'autre pas" von 1977 gedreht hat. Frauen, die ihr eigenes Leben leben, waren für Varda immer wichtig, aber eine Dogmatikerin war sie nie: "Ich glaube nicht an Inspirationen, die wie ein Blitz aus dem Blauen kommen - wenn sie nicht auch aus dem eigenen Körper und der eigenen Lebenserfahrung geboren werden. Darum spreche ich immer von 'subjektiver Dokumentation'. Es scheint mir, je mehr mich mein Filmmaterial motiviert, desto objektiver filme ich", erklärte sie 2006 im Guardian. Überhaupt ihre Experimentierlust, die schon ihren ersten Spielfilm auszeichnete, "Cléo de 5 à 7" - eineinhalb Stunden Echtzeit aus dem Leben einer jungen Sängerin, die fürchtet, dass sie an Krebs erkrankt ist.

Das wie ist immer wichtig. Und: "Man muss einen Standpunkt haben, bevor man anfängt zu filmen." Sie arbeitete eben von Anfang an a ma facon.

Varda par Agnès.Von Agnès Varda. Dokumentarfilm, Frankreich 2018, 115 Minuten (alle Vorführtermine)