Pierre Rosanvallon

Die Gegen-Demokratie

Politik im Zeitalter des Misstrauens
Cover: Die Gegen-Demokratie
Hamburger Edition, Hamburg 2017
ISBN 9783868543124
Gebunden, 320 Seiten, 35,00 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Michael Halfbrodt. Die Demokratie ist immer schon als Versprechen und Problem zugleich in Erscheinung getreten. Pierre Rosanvallon beschreibt die Dynamik gesellschaftlicher Machtaneignung und Praktiken des Misstrauens in ihrer Widersprüchlichkeit.
Obgleich das demokratische Ideal uneingeschränkt bejaht wird, stehen die Systeme, die sich auf das Ideal berufen, immer heftiger in der Kritik. Doch diese Differenz ist nicht so neu, wie sie scheint: Historisch betrachtet ist die Demokratie immer schon als Versprechen und Problem zugleich in Erscheinung getreten. Denn der Grundsatz, Regierungen durch den Wählerwillen zu legitimieren, ging stets mit Misstrauensbekundungen der Bürger gegenüber den etablierten Mächten einher. Die Gegen-Demokratie ist nicht das Gegenteil von Demokratie, sie ist Bestandteil der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie, somit permanenter Ausdruck von Misstrauen gegenüber den gewählten Institutionen. Gleichzeitig ist sie aber auch Ausdruck des politischen Engagements der Bürger_innen jenseits der Wahlurnen.
Der Begriff Gegen-Demokratie hebt das Widersprüchliche des Misstrauens hervor, das einerseits die Wachsamkeit der Bürger_innen fördert und auf diese Weise dazu beiträgt, die staatlichen Instanzen für gesellschaftliche Forderungen empfänglicher zu machen, das andererseits aber auch destruktive Formen von Ablehnung und Verleumdung begünstigen kann. Das heißt: Die Gegen-Demokratie bestätigt nicht nur, sie kann auch widersprechen.
Rosanvallon entfaltet die verschiedenen Aspekte von Gegen-Demokratie und schreibt ihre Geschichte. Nicht zuletzt plädiert er dafür, die ständige Rede von der Politikverdrossenheit zu überdenken. Denn es ist eher von einem Wandel als von einem Niedergang des bürgerschaftlichen Engagements zu sprechen. Verändert haben sich lediglich das Repertoire, die Träger und die Ziele des politischen Ausdrucks. Die Bürger_innen haben inzwischen viele Alternativen zum Wahlzettel, um ihre Sorgen und Beschwerden zu artikulieren. Die politische Form der Gegen-Demokratie sollte im Diskurs der Politikverdrossenheit nicht unterschätzt, sondern aktiv genutzt werden.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 10.10.2017

Bleibende Aktualität bescheinigt Rezensent Rudolf Walther diesem im Original bereits 2006 erschienenen Buch des bekannten französischen Politologen Pierre Rosanvallon. Ausgangspunkt seiner historischen Reflexion sei die Erkennnis, dass Demokratie das zu ihrem Wesen gehörende Gleichheitsversprechen niemals einlösen könne. Daraus resultiere, dass die Demokratie stets ein kontrollierendes Misstrauen wie ein Schatten parallel begleite. Die Geschichte und Institutionen dieser "Gegen-Demokratie" untersuche Rosanvallon in seiner Studie. Walther begrüßt die Tiefe der politischen Reflexion bei Rosanvallon als Wohltat angesichts der "tagespolitischen Schaumschlägerei" vieler aktueller Bücher.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 05.10.2017

Rezensent Maximilian Probst legt all jenen, die deutsche Politik verstehen wollen, Pierre Rosanvallons bereits vor elf Jahren im Original erschienene Studie "Die Gegendemokratie" ans Herz. In der luziden Analyse des Historikers lernt der Kritiker, dass neben die Organe der repräsentativen Demokratie immer mehr Institutionen und Personen wie politisierte Juristen, Journalisten, politische Aktivisten, Gewerkschaftler oder bloggende Bürger getreten sind, die überwachen, korrigieren und die Politik maßgeblich beeinflussen. So versteht der Rezensent nach der Lektüre auch, dass Merkels Entscheidung zum Ausstieg aus der Atomenergie oder zur Einführung des Mindestlohns vor allem auf Druck der Zivilgesellschaft erfolgte. Dass eine solche Gegen-Demokratie auch zu Blockade und zur "Denunziation der repräsentativen Demokratie" führen kann, vermittelt ihm der Autor ebenfalls.