Außer Atem: Das Berlinale Blog

Porträt einer großen Künstlerin: 'Chavela' (Panorama)

Von Anja Seeliger
13.02.2017.


Was für eine hinreißende Frau! Groß, schlank, mit einer expressiven, dramatischen Stimme und einem hochfahrenden Machismo, der in Mexiko sonst wohl den Männern vorbehalten ist. Chavela Vargas wurde 1919 in Costa Rica geboren. Sie sei ein trauriges Mädchen gewesen, das die Eltern nicht liebten, erzählt die 71-Jährige im Filminterview. Zu wenig mädchenhaft, zu verträumt. Noch sehr jung, ging sie nach Mexiko, wo in den Dreißigern alle Südamerikaner hinwollten. Und dort lernte sie zu singen. In Bars, Tavernen und auf Festen entwickelte sie ihren Stil.

Anfangs, erzählt Chavela, trat sie im typischen Outfit jener Zeit auf, mit aufgetürmten Haaren, High Heels und weiten Röcken. Wie ein Transvestit sei sie sich vorgekommen. Und sieht man die Fotos aus der Zeit, kann man ihr nur zustimmen. Doch als sie entnervt diese Kostümierung ablegte, in Hosen und einem Poncho auftrat, wurde die Welt plötzlich aufmerksam. Chavela wurde ein Star der Volksmusik. Sie sang mit einer Ernsthaftigkeit und Expressivität, die dieser Musik alles Gefällige austrieb. Eingeschobene Aufnahmen von ihren Konzerten und Filmen zeigen immer wieder, was für eine ungewöhnliche Künstlerin sie war. Liebe war eine Sache auf Leben und Tod, und nichts zum Röcke rascheln: "Verzweiflung, verwundete Seelen und die Tragödie des Lebens." Das Publikum und die Künstler liebten sie. Von den Tavernen ging es in die eleganten Nachtclubs. Das Leben war ein Fest!

Selbst Hollywood zog es damals nach Mexiko. Vargas erzählt von einer großen Party, die die frisch verheiratete Elizabeth Taylor im mondänen Acapulco schmiss: Es wurde getanzt und getrunken und im Meer gebadet, "am Ende landeten alle mit irgendwem im Bett. Ich wachte neben Ava Gardner auf."


Chavela Vargas und Frida Kahlo

Sie wachte neben vielen Frauen auf. Man glaubt es sofort. Eine wunderschöne Frau, die sich nimmt, was ihr gefällt - das war ihre Rolle und vielleicht, weil sie sich dabei so machohaft benahm, nahmen die Männer ihr das nicht übel. Selbst die nicht, deren Ehefrauen sie verführte. "Es gibt keine ewige Liebe", sagt sie im Film. "Setze dein Leben nicht auf die Liebe, sie löst keine Probleme." Vargas war lesbisch, Künstlerin und von einem Freiheitsdrang beseelt, den die Parties und der Alkohol noch befeuerten. Das wurde irgendwann zum Problem. Sie trank so stark, dass sie nicht mehr auftreten konnte. 13 Jahre verschwand sie in der Versenkung. Weggefährten, darunter ihre langjährige Geliebte, eine Rechtsanwältin, erzählen im Film davon: Was sie für sie bedeutete, was für ein Teufel sie sein konnte. Irgendwann schaffte sie es, trocken zu werden.

Und dann war es Pedro Almodovar, der sie wiederentdeckte und nach Spanien holte. Während die Mexikaner dachten, sie sei lange gestorben, wurde sie in Spanien plötzlich wieder zum Star. Und sie wurde als echte Künstlerin gewürdigt, die auf Theaterbühnen und in großen Konzersälen sang, nicht mehr in Tavernen. Chavela stand bis zuletzt auf der Bühne, sie sang sogar noch im Rollstuhl. 2011 starb sie. Aber hier kann man sie noch hören:



Anja Seeliger

Chavela. Regie: Catherine Gund und Daresha Kyi. Dokumentarfilm. USA 2017. 90 Minuten. (Vorführtermine)