Vorgeblättert

Thomas Levenson: Einstein in Berlin. Teil 3

24.01.2005.
Oft wurde behauptet, dass Einstein Mileva weit mehr angetan habe, als sie "nur" verächtlich zu behandeln, indem er ihr die Anerkennung für ihren Anteil an einer in Wahrheit gemeinsamen wissenschaftlichen Arbeit versagt habe.(40) Tatsächlich hatte er Mileva in frühen Briefen immer wieder einmaleine "ebenbürtige Kreatur" genannt und einmal sogar erklärt, wie stolz er sein werde, "wenn wir beide zusammen unsere Arbeit über die Relativbewegung siegreich zu Ende geführt haben".(41) Doch es gibt keine konkreten Nachweise, dass Mileva tatsächlich in bedeutendem Umfang an den Ideen für die spezielle Relativitätstheorie beteiligt oder zu ihren endgültigen Ausformulierungen beigetragen hätte; auch sämtliche Indizien legen nahe, dass dies nicht der Fall war. Sie selbst hat das übrigens auch nie behauptet, weder vor noch nach ihrem Bruch mit Einstein. Ihr persönlich war es gewiss auch nicht vorrangig um eine konkrete wissenschaftliche Zusammenarbeit gegangen. Im Grunde wünschte sie sich nie etwas anderes, als in das wissenschaftliche Denken ihres Mannes und in seinen Freundeskreis wirklich einbezogen zu werden. Und genau das hat er ihr immer verwehrt.

Einstein hingegen sollte nahezu sofort in den Genuss kommen, seine Leistung gewürdigt zu sehen. Als eine der ersten und wichtigsten Reaktionen erreichte ihn ein Brief von keinem Geringeren als dem schon damals großen Max Planck, worin dieser um die Klarstellung einiger Details der Relativitätstheorie bat. Einstein kam diesem Wunsch hocherfreut nach. Von diesem Tage an sollte er eine Zuneigung zu Planck entwickeln, die fast schon an Liebe grenzte, eben weil der große Wissenschaftler den noch so jungen Mann bereits in diesem ersten Schreiben als vollwertigen Kollegen behandelt hatte.(42)

Andere Achtungsbezeugungen sollten nicht lange auf sich warten lassen. Der Einstein-Biograph Albrecht Fölsing folgte den Spuren dieser Resonanz und zunehmenden Akzeptanz. Ganz im Gegensatz zu Einsteins Sorge, unverstanden zu bleiben oder missachtet zu werden, trafen sie erstaunlich schnell ein. Die erste öffentliche Stellungnahme zu seiner neuen Theorie erfolgte im November 1905 in den "Sitzungsberichten" der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, kaum zwei Monate nach der Veröffentlichung der Abhandlung im September, was angesichts der üblichen Frist zwischen Eingang und Drucklegung einer wissenschaftlichen Abhandlung geradezu als "sofort" bezeichnet werden kann. Die Namensliste der Honoratioren, die sich nun direkt an Einstein wandten, enthält alles, was in der deutschen Physik von Rang und Namen war. Unter anderem grub Fölsing auch eine Korrespondenz mit dem Experimentator und frisch gebackenen Nobelpreisträger Philipp Lenard aus (damals noch nicht der offene Antisemit, als der er sich mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten bekennen sollte). Vermutlich war Lenards Reaktion - er schickte dem erfreuten Einstein einen Sonderdruck seiner eigenen Arbeiten - sogar noch vor Plancks Schreiben eingetroffen (das genaue Datum von Plancks erstem Brief ist unbekannt). Der legendäre Wilhelm Röntgen bat den Patentamtsbeamten um einen Sonderdruck der Relativitätsabhandlung, und der Physiker Paul Drude, dessen Arbeit Einstein am Polytechnikum gelesen und gepriesen hatte, erwähnte das Papier in einer 1906 erschienenen Neuauflage seines Werks Optik, sowie in einem Artikel im Handbuch der Physik - und das trotz eines kritischen Vorfalls Jahre zuvor: Der noch völlig unbekannte Einstein hatte Drude "zwei Einwände gegen seine Elektronentheorie" geschrieben und Drude daraufhin eine Antwort geschickt, die Einstein nur als ein Zeugnis von dessen "Erbärmlichkeit" werten konnte. Die Liste der Korrespondenten und Sonderdrucke, die nun zwischen der Schweiz und Deutschland hin und her geschickt wurden, wurde immer länger: Sie enthielt so hochrangige Namen wie Arnold Sommerfeld aus München, aber auch eine Menge akademischen Nachwuchs wie etwa Max Born, der zu dieser Zeit in Breslau arbeitete.(43) Es war nur eine Frage von Monaten, bis die deutschen Physiker schließlich Emissäre auszusenden begannen, um das Wunderkind von Angesicht zu Angesicht begutachten zu lassen. Als Erster traf Max Plancks Assistent Max von der Laue, vom großen Mann höchstpersönlich ausgeschickt, bei Einstein ein. Der Legende zufolge soll Laue einen adrett gekleideten jungen Mann auf dem Flur des Berner Patentamts gebeten haben, ihn zum Autor der Relativitätstheorie zu führen - es war natürlich kein anderer als der gerade erst sechsundzwanzigjährige Einstein selbst. Jahre später erzählte Einstein einem Freund, dass Laue der erste echte Physiker gewesen sei, den er zu Gesicht bekommen habe. Da konnte sich der Freund nur fragen: "Ja, hast du denn nie in einen Spiegel gesehen?"


All diese Männer waren Giganten der deutschen Wissenschaft, jeder oben Erwähnte hatte bereits oder sollte einen Nobelpreis für Physik erhalten. Zudem gehörten sie der Elite des deutschen Akademiebetriebs an und waren allesamt Leiter von bedeutenden Instituten oder Fachbereichen. Ihre Entdeckungen summierten sich zur Avantgarde des gesamten physikalischen Wissens. Doch für Einstein letztlich noch viel wichtiger war, dass ihm diese Männer einen Blick auf ein völliges Neuland ermöglichten, auf ein Deutschland, das so ganz anders zu sein schien als der Staat, den er ein Jahrzehnt zuvor so verächtlich verlassen hatte. Ihr Land war kein von pedantischen kleinen Autokraten bevölkertes kaiserliches Exerzierfeld, als das sich das Deutsche Reich Einstein in München dargestellt hatte. Hier fand er sich einer deutschsprachigen, in Deutschland ansässigen Elite von Talenten gegenüber, die nicht die geringsten Probleme damit zu haben schien, einen völligen Außenseiter, der nicht nur wissenschaftlicher Amateur, sondern auch noch Jude und ein simpler "Patententierknecht" war, in ihren illustren Reihen willkommen zu heißen. Das real existierende Deutsche Reich wurde für Einstein deshalb natürlich kein bisschen attraktiver als zehn Jahre zuvor, doch immerhin akzeptierte er, dass er es hier ganz offensichtlich mit einem anderen Land zu tun hatte, mit einer Gemeinschaft des Geistes, die sich weder dem deutschen noch irgendeinem anderen Staat unterordnete. Die Verführung eines willigen Einstein hatte begonnen.

Einsteins wissenschaftliche Karriere in den Jahren, die unmittelbar auf seinen Triumph 1905 folgten, sollte diese Vision von einer grenzenlosen Nationengemeinschaft des Geistes und sein leidenschaftliches Eintreten dafür noch bestärken. Dennoch blieb er überraschend lange am Patentamt, was allerdings weniger mit einem Mangel an akademischen Aussichten zu tun hatte - obwohl die rigiden Prozedere an mitteleuropäischen Universitäten in der Tat dazu führten, dass substanzielle Angebote nur sehr allmählich eintrafen -, sondern eher mit dem simplen Umstand, dass die Schweizer Regierung ihre Beamten besser bezahlte als die Schweizer Universitäten ihre jungen Fakultätsmitglieder. Das sollte sich erst 1908 ändern, als sich die Universität von Zürich auf die Suche nach einem angemessenen Kandidaten für ein Extraordinariat in Theoretischer Physik machte. Zuerst war Geld das Problem: Das erste Angebot der Universität beruhte auf einem um fünfundzwanzig Prozent niedrigeren Gehalt als Einsteins Einkommen am Patentamt. Doch er ließ nicht locker und zwang die Hochschule schließlich, mit den 4500 Franken Jahresgehalt vom Patentamt gleichzuziehen. Erst nachdem das geregelt war, kündigte er dort im Mai 1909 seine Stellung, um zum Wintersemester seine Professur anzutreten. Seinem Freund und Physikerkollegen Jakob Laub schrieb er: "Nun bin ich also auch ein Offizieller von der Gilde der Huren."(44)

Seiner Frau bereitete Einsteins Aufstieg weit weniger Vergnügen. Während er sich in immer höheren Sphären bewegte, kam sich Mileva immer weiter zurück gelassen vor. Der Umzug nach Zürich erfreute sie- sie liebte diese Stadt und sollte schließlich bis zu ihrem Tod dort leben-, doch die wachsende Distanz, die der Erfolg zwischen ihr und ihrem Mann herstellte, beklagte sie zutiefst. "Siehst Du, bei soviel Berühmtheit", schrieb sie in diesem Jahr, "bleibt nicht viel Zeit für seine Frau." Sie kannte ihre Rivalin: "Ich bin sehr hungrig nach Liebe?, dass ich fast glaube, die böse Wissenschaft ist schuld."(45)



Man darf getrost davon ausgehen, dass Einstein ihr da zugestimmt hätte. Jedenfalls lassen seine wiederholten Liebeserklärungen an die Wissenschaft als seiner Zufluchtsmöglichkeit vor dem "Nur-Persönlichen" darauf schließen.(46) Doch Mileva war bereits damals schon mit noch viel greifbareren Rivalinnen konfrontiert - eine Warnung vor dem Kommenden. Einstein hatte nie seine alte Gewohnheit abgestreift, mit mehr als nur einem Flirt zugleich zu jonglieren. In den ersten Jahren seiner Ehe schien er sich beruhigt zu haben, doch bereits 1909 hatte er wieder seine Köder auszuwerfen begonnen. Als Mileva beispielsweise herausfand, dass er mit einer alten Freundin namens Anna Meyer-Schmid korrespondierte, die zu dieser Zeit selbst schon verheiratet war, reagierte sie rasend vor Eifersucht, wandte sich schriftlich an Annas Ehemann und zwang Einstein damit, diesem einen verlegenen Entschuldigungsbrief zu schreiben.(47)Aus dieser Tändelei scheint sich zwar nichts weiter entwickelt zu haben, doch Einstein vergab Mileva diese seiner Meinung nach völlig illegitime Einmischung in sein Privatleben nicht so schnell. Erst die Geburt des zweiten Sohnes Eduard im Jahr 1910 half, die Wogen für eine Weile zu glätten. Dann folgte erst einmal ein beruflicher Wechsel. 1911 gelang es der Deutschen Universität von Prag mit der Offerte eines ordentlichen Lehrstuhls und, wie üblich, mehr Geld, Einstein aus Zürich und dessen Verlockungen wegzuholen.

In Prag erlebte Einstein schließlich seinen eigentlichen Durchbruch in den ersten Rang der internationalen Wissenschaftsgemeinde. Der belgische Industrielle Ernest Solvay hatte beschlossen, eine Reihe von wissenschaftlichen Gipfeltreffen zu finanzieren, die sich mit den drängendsten Fragen der Physik befassen sollten. Nur dreiundzwanzig Männer und eine Frau (Marie Curie) waren nach Brüssel zur ersten "Solvay-Konferenz" eingeladen worden, darunter solche Sterne am Physikhimmel wie der Pionier der Atomphysik Ernest Rutherford aus Großbritannien; Max Planck aus Berlin; der Holländer Hendrik Lorentz, einer der wichtigsten Vorgänger Einsteins bei der Entwicklung der Relativitätstheorie; und Henri Poincare aus Frankreich, ebenfalls eine Schlüsselfigur aus der Frühgeschichte der Relativität. Mit seinen zweiunddreißig Jahren war Einstein der jüngste dieser Wissenschaftsgrößen, aber bereits als Erster unter Gleichen anerkannt und als solcher auch gebeten worden, das Schlussreferat zu halten. Er genoss die Aufmerksamkeit. Bei diesem Treffen begann auch seine zwanzigjährige Freundschaft mit Marie Curie und wurde der Grundstock für seine brüderliche Liebe zu Hendrik Lorentz gelegt. Bereits nach dieser ersten Begegnung schwärmte Einstein von diesem "lebendigen Kunstwerk" Lorentz, und bei seiner Beerdigung 1928 sollte er den Verlust des geliebten Freundes tief betrauern: "Alle folgten ihm freudig, denn sie fühlten, dass er nie beherrschen, sondern stets nur dienen wollte."(48)

Bei diesem ersten Treffen im Herbst 1911 in Belgien bewahrheitete sich für Einstein dann auch erstmals das Ideal jener Geistesgemeinschaft, deren Existenz er durch die Reaktionen auf seine spezielle Relativitätstheorie empfunden hatte. Ein paar Tage lang wurde das Grand Hotel Metropole in Brüssel zur Heimstatt seiner erträumten grenzenlosen Nation, einer von Anstand und Talent geführten Gemeinschaft, ein internationales Dorf, das über der realen Welt aus Stein, Städten und Grenzen schwebte. Nur Mileva sollte sein Triumph wieder einmal Kummer bereiten. In einem der traurigsten Briefwechsel ihrer gesamten Korrespondenz deutete sie an, wie gern sie ihn zu dieser Solvay-Konferenz begleitet hätte. "Ich hätte gar zu gerne auch ein wenig zugehört, und all diese feinen Leute gesehen? Es ist jetzt schon eine Ewigkeit dass wir uns nicht gesehen, ob Du mich wohl noch erkennen wirst?"(49) Einstein reagierte, indem er ihr für den Schinken dankte, den er in dem von ihr gepackten Picknick-Korb entdeckt hatte, und ihr versicherte, dass auch die Äpfel "unendlich gutgetan" hätten.(50)

Zwei Menschen, die zielsicher aneinander vorbeiredeten. Mileva wünschte sich einen Gefährten und entwickelte heftige Eifersucht gegen alles und jeden, die ihren Mann von ihr fern hielten. Einstein wollte ein bequemes Leben und keinerlei Ablenkungen. Forderungen im eigenen Haus waren inakzeptabel. Jeder Versuch Milevas, ihren Mann zur Aufmerksamkeit zu zwingen, verstärkte sein Gefühl, gefesselt zu sein und sich gegen Übergriffe auf seine Zeit, Gedanken und Handlungen wehren zu müssen. Er zog sich zurück. Sie drängte sich auf, immer klagender. Er wich ihr aus.

Das Endspiel dieser Ehe fiel mit jenen letzten Schritten zusammen, die schließlich nach Berlin führten. Prag konnte Einstein nur sechzehn Monate halten, dann kam erneut Zürich ins Spiel. Im Juli 1912 lockte man ihm mit einem Angebot in die Schweiz zurück, das für Einstein ein Element von wahrhaft süßer Rache enthielt. Zwölf Jahre nachdem er für den Posten eines Forschungsassistenten als nicht qualifiziert genug abgelehnt worden war, kehrte Einstein als Professor für Physik an die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) zurück, wie sein altes Polytechnikum inzwischen hieß. Die Position war mit dem Tod seiner alten Nemesis Weber frei geworden. Und dort blieb er, bis die nächste Versuchung in Gestalt von Planck und Nernst kam und mit Ihnen die Ehrfurcht gebietenden Aussichten von Berlin.

Zürich hätte eigentlich in der Lage sein müssen, ihn zu halten. Immerhin war es die wichtigste Stadt des Landes, das er am meisten liebte. Einstein sollte seine Schweizer Staatsbürgerschaft niemals aufgeben, nicht einmal nachdem er 1940 in die USA eingebürgert wurde. Bei seinen Gängen durch die Hallen der ETH, deren Leiter ihn einst so gescholten hatten, konnte er nun tagtäglich genießen, wie weit er gekommen war. Er hatte Kollegen, die er schätzte, darunter seinen ehemaligen Kommilitonen Marcel Grossmann, der sein wichtigster Mitarbeiter bei der allgemeinen Relativitätstheorie werden sollte - bei jener Arbeit, die zu seinem krönenden triumphalen Sieg wurde. Er verdiente genug, hatte ein angenehmes Heim, Freunde, mit denen er gemeinsam Geige spielte, vertraute Hügel und Berge in der Nähe, auf denen er wandern konnte - mit einem Wort: Er besaß alles, was er sich auf dieser Welt wünschte. Andererseits hatte er bereits bewiesen, dass er sich nahezu überall zu Hause fühlen konnte, und so gesehen blieb ein neuerlicher Umzug immer eine Möglichkeit. Doch es musste schon eine außerordentliche Verlockung kommen, um ihn noch einmal von der Stelle zu bewegen, ein Anreiz, der ein geradezu schon lächerlich unwiderstehliches Angebot enthalten musste- den bei weitem besten Vertrag, den sich eine europäische Geistesgröße erträumen konnte.

Und genau dieses Angebot bekam Einstein natürlich mit dem versprochenen Paket aus seiner Mitgliedschaft in der Preußischen Akademie der Wissenschaften, der Leitung eines eigenen Physikalischen Instituts, einem generösen Salär und einer Professur, die ihn zu keinerlei Lehrveranstaltungen verpflichtete. Aber damit verband sich auch eine andere Versuchung, und die war von genau der Art, wie es Mileva seit dem Meyer-Schmidt-Fiasko erwartet und befürchtet hatte. Im Frühjahr 1912 war Einstein nach Berlin gereist, um seine Mutter zu besuchen, die nach Hermann Einsteins Tod dorthin gezogen war. Dabei traf er seine Verwandte Elsa Einstein-Löwenthal wieder. Die damals sechsunddreißigjährige und damit drei Jahre ältere Elsa war geschieden, hatte zwei Töchter und war Alberts Cousine ersten und zweiten Grades (die gemeinsame Tochter der Schwester seiner Mutter und eines Vetters ersten Grades aus der väterlichen Linie). Sie kannten sich seit ihrer Kindheit, hatten im Münchner Haus der Einsteins zusammen gespielt und sogar gemeinsam ihren ersten Opernbesuch absolviert.(51) Einstein hatte sie als ein lebhaftes, schlagfertiges Mädchen in Erinnerung behalten, doch seit er in die Schweiz gezogen war jeden Kontakt zu ihr verloren. Aber diese flüchtige Begegnung kurz nach Ostern sollte die alte Zuneigung schnell über das Familiäre hinaus erblühen lassen.

Es folgte der Austausch von Briefen, die anfänglich vielleicht nur ein wenig zu herzlich geraten waren, dann aber ausgesprochen heiß und innig wurden. "Jemand lieb haben muss ich aber, sonst ist es erbärmlich zu existieren. Und dieser jemand bist Du", schrieb Einstein nach seiner Rückkehr an Elsa, bevor er dann doch beschloss, die Affäre zu beenden.(52) Aber seine Zurückhaltung währte kaum ein Jahr. Im Herbst 1912 knüpfte er wieder an: "Ich habe jetzt jemanden, an den ich mit ungetrübtem Vergnügen denken und für den ich leben kann? Wir werden beide aneinander haben, was uns so arg fehlte, und uns gegenseitig das Gleichgewicht und den frohen Blick in die Welt schenken."(53) Die anfänglich zugeneigte Distanziertheit und später bereits offensichtliche Gefühlskälte Mileva gegenüber verwandelte sich in erstaunliche Brutalität. So bezeichnete er seine Frau nun als "eine unfreundliche, humorlose Kreatur, die selbst nichts vom Leben hat und anderer Freude am Leben durch ihre blosse Anwesenheit untergräbt, malocchio!" und fügte noch hinzu, sie sei der "sauerste Sauertopf, den es je gegeben hat".(54) Elsa beschwor er, sich keine Sorgen zu machen, weil Mileva ihn nach Berlin begleiten würde: Sie zählte nicht, versicherte er seiner Cousine, seine Ehe sei bestenfalls noch eine bequeme Fiktion, deshalb "behandle ich meine Frau wie eine Angestellte, der ich allerdings nicht kündigen kann".(55)

vor der Trennung wurde wirklich sehr hässlich. In Berlin lebten die Einsteins kurzfristig in der Villenetage zusammen, die Mileva in Dahlem gefunden hatte. Doch für sie stellte sich die Situation noch schlimmer dar als in ihren schlimmsten Befürchtungen. Die Realitäten eines Zusammenlebens mit einem ganz und gar feindlich gesinnten Ehemann waren unerträglich. In ihrer eigenen Familie war Milevas Hang zur Schwermut schon immer ein Thema gewesen, aber auch Einstein hatte bereits in den glücklichsten Tagen zu Beginn ihrer Liebe von "unseren schwarzen Seelen" gesprochen - was zumindest als ein erster Hinweis auf Milevas Stimmungsschwankungen gelten kann.(56) Und sogar sie selbst hatte schon in einer frühen Periode ihrer Liebe einen Hang zur Verzweiflung zugegeben. Von etwas erfahren zu müssen, das ihre Liebe zu bedrohen schien, nehme ihr "alle Lust", schrieb sie einmal an Einstein, "nicht nur zu einem Vergnügen, sondern auch zum Leben? weil ich doch sonst nichts ungestraft haben kann".(57) Für sie war das Leben, das sie nun in Berlin führen sollte, die ultimative Strafe, eine Katastrophe, die einem Weltuntergang gleichkam.

Also verließ sie Berlin mit den Söhnen nur drei Monate nach ihrer Ankunft. Während sie auf Michele Besso wartete, der aus Zürich kommen wollte, um sie zurückzubegleiten, logierte sie mit den Kindern beim berühmten Chemiker-Paar Fritz Haber und Clara Immerwahr, das Mileva bereits während ihrer Wohnungssuche Unterschlupf geboten hatte. Haber fungierte als eine Art Mittler zwischen den entzweiten Eheleuten und unternahm ein paar letzte, aber fruchtlose Versuche, sie wieder zu versöhnen. In einem traurigen und bitteren Dokument stellte Einstein Mileva die Bedingungen, unter denen er bereit war, die Ehe aufrechtzuerhalten: Sie würde jeden Versuch unterlassen müssen, sich um eine persönliche Beziehung zu bemühen, "soweit deren Aufrechterhaltung aus gesellschaftlichen Gründen nicht unbedingt geboten ist? Du sorgst dafür, dass meine Kleider und Wäsche ordentlich instand gehalten werden, dass ich drei Mahlzeiten in meinem Zimmer vorgesetzt bekomme". Gemeinsame Reisen würden keine mehr unter nommen; sein Arbeits- oder Schlafzimmer habe sie augenblicklich zu verlassen, wenn aufgefordert. Vor allem aber mit einem musste sie sich einverstanden erklären: "Du hast weder Zärtlichkeiten von mir zu erwarten noch mir irgendwelche Vorwürfe zu machen."(58)

Im letzten Moment ließ Mileva ihren Mann durch Haber noch wissen, dass sie sogar diese Bedingungen zu akzeptieren bereit sei, doch er antwortete entschlossen, dass er ihr das nicht abnehme und nicht glaube, dass sie sich in ein reines Geschäftsverhältnis fügen könne, bei dem alles "Nur-Persönliche" auf einen winzigen Rest reduziert sein würde. Er jedenfalls könne ihr nur korrektes Benehmen zusichern, so wie er es gegenüber jeder fremden Frau an den Tag legen würde. Das war es, friss oder stirb. Wenn ihr ein Zusammenleben auf dieser Basis unmöglich wäre, werde er sich in die Notwendigkeit einer Trennung fügen.(59) Das letzte Treffen am 29. Juli, dem Tag, an dem Mileva samt der Kinder abreisen sollte, verlief sehr schlecht.

Einstein begleitete Besso und seine Familie zum Bahnhof, auch Haber war gekommen. Selbst da hoffte Mileva noch auf ein Wunder. Hans Albert erzählte später, dass sie die Trennung sehr hart getroffen und die ganze Familie während der ersten Monate in Zürich darunter sehr zu leiden gehabt habe.(60) Sie führten ein Vagabundenleben, mieteten nur Zimmer in einer Pension, weil Mileva noch immer glaubte, dass ihre Ehe doch noch irgendwie gerettet werden könnte.

Sie konnte es nicht. Vom ersten Moment der Trennung an hatte Einstein keinerlei Zweifel an seinem Standpunkt gelassen. "Ich beabsichtige nicht, die Scheidung von Dir zu verlangen", schrieb er ihr, "sondern nur, dass Du mit den Kindern in der Schweiz bleibst."(61) Elsa berichtete er, dass sie sich im Bösen getrennt hätten und Mileva sein Verhalten als ein Verbrechen gegen sie und die Kinder betrachtete. Dennoch habe er bei ihrer Abreise wie ein kleines Kind geweint.(62) Doch seine Trauer sollte nicht einmal einen Tag überdauern. Bereits in einem zweiten Brief erzählte er Elsa noch am selben Abend, dass ihm allmählich dämmerte, welches Glück er habe. Und da gewiss auch der Schmerz über die Trennung von den Kindern bald nachlassen werde, fühle er sich so zufrieden, dass er sich fast selbst beneide.(63)

Elsa sollte jedoch schon bald selbst erfahren, mir welchen Kränkungen Alberts neu gewonnenes Wohlbehagen verbunden war. Er hatte alles bekommen, was sein Herz begehrte: Ein Leben, das von allen häuslichen Verpflichtungen und allzu engen Banden befreit worden war - seien es die zur Familie oder zur Geliebten. Nachdem seine Frau und seine Söhne den Zug bestiegen hatten, war er auch nicht in die Behaglichkeit von Elsas Wohnung zurückgekehrt, sondern in seine eigene Bleibe nach Dahlem.(64) Elsa stand nur ein paar Minuten entfernt zur Verfügung, um ihn zu verköstigen oder ihm Gesellschaft zu leisten, wenn Bedarf bestand. Doch zu einer konstanten Gegenwart, zu einer ständigen Gefährtin, die das Recht hatte, eine Antwort zu erwarten, wenn sie etwas fragt, wurde sie nicht. Einstein trocknete seine Tränen, ließ sich im Sessel nieder und machte sich in der willkommenen Stille seiner unbelebten Wohnung an die Arbeit.



Mit freundlicher Genehmigung des C. Bertelsmann Verlages

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