John Lukacs

Fünf Tage in London

England und Deutschland im Mai 1940
Cover: Fünf Tage in London
Siedler Verlag, Berlin 2000
ISBN 9783886807079
Gebunden, 233 Seiten, 20,40 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Michael Hanke. Am 10. Mai 1940 brachen deutsche Truppen ohne Kriegserklärung in Holland, Belgien und Luxemburg ein. Nur elf Tage später, am 21. Mai, gelang es den Deutschen, die französische Nordarmee und das britische Expeditionsheer an der französischen Küste bei Dünkirchen einzuschließen. 340.000 britische und französische Soldaten waren der deutschen Wehrmacht hilflos ausgeliefert. Das britische Kriegskabinett spaltete sich in zwei Fraktionen, deren Meinungsführer um den künftigen Kurs gegen Hitler rangen. Entschieden vertrat der erst seit zwei Wochen amtierende Premierminister Winston Churchill seine Position: "Aber sicher! Was auch immer in Dünkirchen geschieht, wir sollten weiterkämpfen." Selbst viele seiner Parteigänger hielten ihn für einen ungestümen Draufgänger und schlossen sich seinem Gegenspieler Halifax an, der auf Verhandlungen setzte, "falls diese für die Lösung europäischer Fragen und der Schaffung eines friedlichen Europa dienlich" seien. Minutiös verfolgt John Lukacs die dramatischen Ereignisse in der Downing Street 10: das Ringen der Kabinettsmitglieder um ihre Verantwortung für England und ganz Europa, die hektischen Konsultationen mit der französischen und italienischen Regierung, die Suche nach historischen Präzedenzfällen, die hitzigen Wortgefechte, das Hin und Her der Meinungen. Nicht minder schwankend verlief die Willensbildung der britischen Bevölkerung, die Lukacs anhand von Berichten und Kommentaren in der englischen Presse und den von der Regierung in Auftrag gegebenen Stimmungsberichten nachzeichnet. Am Abend des 28. Mai hatte Churchill sich durchgesetzt. Ohne seine Entschlossenheit hätte England wahrscheinlich einen Verhandlungsfrieden akzeptiert.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 14.12.2000

Der Kunstgriff des Buches hat einen Haken (wenn man so sagen kann). Laut Ulrich Schlie gelingt es dem Autor mittels geschicktem Quellenarrangement zwar, den Blick des Lesers für den Gegensatz zwischen Sein und Schein historischer Begebenheiten zu schärfen und die prekäre Lage der britischen Regierung in jenen "Fünf Tagen in London" nachempfindbar zu machen. Das Konzept des Buches, die vorgenommene zeitliche und räumliche Beschränkung, so Schlie weiter, reicht an die tatsächliche Komplexität der damaligen Verhältnisse jedoch nicht heran; Vorgeschichte und Nebenschauplätze würden vom Autor allenfalls kursorisch behandelt. Ein Umstand, der offenbar auch Lukacs` Erörterung der "Durchwirkung von außenpolitischen Entscheidungen mit innenpolitischem Kalkül" betrifft: Wiederum vermisst Schlie "eine tiefere, um Einordnung in die historische Perspektive bemühte Analyse". Schließlich wirft der Rezensent noch die Frage nach der wissenschaftlichen Relevanz der Arbeit auf. Die Suche nach Spuren jüngster Forschungsliteratur und "neuen Quellen" indessen bleibe bei diesem Buch leider ebenfalls erfolglos.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.11.2000

Iring Fetscher lobt dieses Buch vor allem aus zwei Gründen. Zum einen wende es sich gegen die Churchill-Gegner, die "kleingeistigen Kritiker und großdeutschen Nostalgiker", die immer noch bedauern, dass Hitler 1940 am Sieg gehindert wurde. Zum anderen zeige das Buch, dass Politiker mit "großer Seele" manchmal die besseren Entscheidungen treffen als die Pragmatiker. Deutlich wird nach Fetscher in diesem Buch auch, wie nah Hitler im Mai 1940 vor einem Sieg stand und Churchill sich trotz Drängens seines Konkurrenten Halifax gegen eine Kooperation mit Mussolini entschied. Fetscher betont dabei die moralische Haltung Churchills, bei der er sich nicht nur des Rückhalts der englischen Bevölkerung sicher sein konnte, sondern auch die kritischen Adelskreise überzeugte, was in diesem Buch deutlich werde. Zwar deutet Fetscher an, dass auch Lukacs auf die Frage, wieso Hitler die Panzerdivision Rundstedts zum Anhalten bewegt hat, keine endgültige Antwort gibt. Der Autor zeige jedoch klar auf, dass nur die Tatsache, dass Churchill die Kampfhandlungen Großbritanniens nicht einstellen ließ, Hitler an einem vorzeitigen Sieg 1940 gehindert hat.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 04.11.2000

Ganz vertieft in das "Ringen und Seilziehen", das zwischen dem 24. und dem 28. Mai 1940 hinter den Türen des Kriegskabinetts im britischen Whitehall stattfand, ist unser Rezensent. So beschäftigt ist er mit den, zugegeben, spannenden Fakten, dass er glatt zu vergessen scheint, dass John Lukacs darüber ein ganzes Buch geschrieben hat. Lukacs spürt der damaligen Schicksalsfrage nach der Stellung des Empires zum deutschen Aggressor und den kontroversen Standpunkten der Verantwortlichen in Whitehall nach und, so sieht es Martin Meyer in seiner Besprechung, zieht einen historischen Augenblick höchster Intensität ans Licht. Meyer referiert die These des Historikers, Churchill habe in jenen Tagen schließlich der Freiheit zum Sieg verholfen, und pflichtet ihr bei. Über die Darstellungsweise wie auch über den Anhang des Buches, der über eine wissenschaftliche Brauchbarkeit entscheidet, schweigt er sich aus.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 18.10.2000

"Berechtigt" aber "pathetisch" findet Wilhelm von Sternburg die These, mit der der britische Historiker John Lukacs seine Studie über die fünf Tage im Mai 1940 einleitet, in denen der ungeliebte Außenseiter Churchill innenpolitisch seine Macht festigen konnte, während er außenpolitisch energisch von der Appeasement-Politik seines Vorgängers Chamberlain gegenüber Hitler Abstand nahm. Lukacs behaupte, jene fünf Tage hätten die Welt hätten verändert, wenn Churchill die Nation nicht geeint hätte. Denn die übrigen westlichen Demokratien waren in wenigen Wochen überrollt, Amerika und Russland noch nicht in den Krieg eingetreten. Der Rezensent gibt jedoch zu, Lukacs urteile in seiner "spannenden Studie" richtig, wenn er sage, Churchill und Großbritannien hätten den Zweiten Weltkrieg nicht gewinnen können, im Mai 1940 sei Churchill aber derjenige gewesen, der ihn nicht verlor.