Magazinrundschau

Am Abend vor dem Morgenstress

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
17.03.2015. London ist Hauptstadt des Kunstlieds! In der NYRB feiert Tenor Ian Bostridge eine dreibändige britische Enzyklopädie der Schubert-Lieder. In Eurozine erklärt Mykola Rjabtschuk, warum Russland an der orthodox-slawischen "Ummah" hängt. Der New Yorker besucht die Hauptstadt der plastischen Chirurgie. Die LRB skizziert den Preis, den Russland für die Destabilisierung der Ukraine zahlt. In Telerama versucht der Historiker Pierre-Jean Luizard, den Erfolg des IS zu verstehen. Der Guardian entdeckt Brecht für die Bourgeoisie. In der New York Times erklärt Karl Ove Knausgård, wie er in Schweden und Amerika seine norwegische Identität begriff.

New York Review of Books (USA), 02.04.2015

London, nicht Berlin oder Wien ist heute die Hauptstadt des Kunstlieds mit drei Konzerten wöchentlich in der Saison, schreibt Tenor Ian Bostridge einer einer Besprechung von Graham Johnsons fulminanter dreibändiger Enzyklopädie der Schubert-Lieder die gerade bei der Yale University Press herausgekommen ist. Johnson, so Bostridge, steht auch organisatorisch hinter dieser Blüte. Und Bostridge wird nicht müde, die Enzyklopädie zu preisen, etwa für die Illustrationen die großenteils aus Johnsons Schubertiana-Sammlung stammen und "die das Buch zu einer einzigartigen Quelle für die Fantasie der Interpreten macht, die in Schuberts Welt eintauchen wollen. Wir sehen Editionen der Gedichte, die Schubert selbst benutzt haben mag, Porträts der Dichter, Frontispize der veröffentlichten Lieder und visuelle Interpretationen der Lieder, die die Sentimentalität der Romantik oder Unheimlicheit des Fin de siècle ausstrahlen. Johnsons Eintrag zu "Erster Verlust" ist etwa illustriert mit der Vignette zu Czernys Klavierarrangement für das Lied, eine weibliche Figur, die sich gedankenvoll auf der Chaiselongue räkelt."

Weitere Artikel: Ein Besuch im Iran - der Literaturwissenschaftler Stephen Greenblatt hatte es sich immer gewünscht, aber nie erwartet, dass der Traum für ihn, einen amerikanischen Juden, in Erfüllung gehen würde. Und dann reiste er doch - auf einem fliegenden Teppich, in den "Shakespeare-Kongress" eingewoben war. Und Martin Filler bespricht eine Ausstellung über Wolkenkratzer in New York

Intelligent Life (UK), 02.04.2015

Clemency Burton-Hill porträtiert den Dirigenten Robin Ticciati, zur Zeit Chef des Scottish Chamber Orchestra und eine Hoffnung des Betriebs (für die Berliner Philharmoniker kommt er wohl noch nicht in Betracht), und es lohnt sich am Ende doch, diesen etwas zu verliebten und sülzigen Text zu lesen, der zu wenig auf Musik eingeht, weil Ticciati selbst ganz bemerkenswerte und sympathische Sachen sagt: Etwa dass er lernte, nicht nur einer Intuition zu folgen, sondern Musikstücke zu analysieren, dass er sich intensiv auf Stücke vorbereitet, und nicht nur mit den Noten, sondern auch mit Schriften und Biografien, und dass er probt: "Sie wissen, nicht, wie hart ich kämpfe, damit ich vier oder fünf Proben in der Woche haben kann. Ich möchte nicht wie andere Orchester eine Probe und ein Konzert haben. Nicht, dass nicht auch so Größe entstehen kann. Aber wir müssen Idealisten sein! Es reicht nicht zu kommen und durchzuspielen und ein bisschen in den Ecken zu fegen: Wir müssen proben und am nächsten Tag nochmal darauf zurückkommen, und das ganze, wenn es gewachsen ist, nochmal am nächsten Tag durchgehen."

Und ja, Bruckners Vierte mit dem DSO klingt tatsächlich, als hätten sie geprobt, sie hat nicht nur romantische Emphase, die man zur Not auch mit einer Probe hineinpumpen kann, sondern Präzision und Transparenz:


Guardian (UK), 13.03.2015

Die Briten entdecken Brecht. Will Self hat sich "Mahagonny" in der Londoner Oper angesehen und empfiehlt das Stück besonders allen Kulturbürgern, die sich am liebsten selbst in der Hauptrolle des aufgeklärten Bourgeois sehen: "Brecht verstand sehr gut, was es heißt, von seinen Leidenschaften getrieben zu sein. Im Gegensatz zu Rousseau glaubte er nicht, dass der Mensch frei geboren ist und doch überall in Kette liegt. Wie Freud ahnte er vielmehr, dass jedermann in seinem Hunger nach Leben gefangen ist und in seiner Schwäche für Gewalt und Tod. Wie Nietzsche wusste Brecht, dass der Kern des eigenen Wesens ein Quell unstillbarer Begierden ist. Genau dieser Vitalismus treibt "Mahagonny" an wie die Bourgeoisie im Parkett. Man muss mit ihr nur eine Weile zusammen sitzen, dann spürt man die Unterdrückung dieser Begierde. Und was sie alles wollen: Sie wollen Status und Geld, Macht und Sex, sie wollen Bequemlichkeit und Essen und unbegrenztes Vergnügen. Aber wenn sie das dann alles bekommen, dann empfinden sie - ganz wie die Einwohner von Mahagonny - nichts anderes als Langeweile und beginnen, ihr Kartenhaus einzureißen."

Der Schriftsteller Paul Kingsnorth überlegt, wie sich Englishness links denken ließe - ökologisch, weltoffen und antikapitalistisch: "Großbritannien, das heißt für mich Empire und Monarchie, teuflische Fabriken und die Bürde des weißen Mannes. England ist der Teich unter der Weide."
Archiv: Guardian

Telerama (Frankreich), 16.03.2015

Für den Historiker Pierre-Jean Luizard ist der IS deshalb auf dem Vormarsch, weil die Völker des Nahen Ostens sich nicht länger der postkolonialen Ordnung beugen wollen, erklärt er in einem Gespräch. In seinem jüngsten Buch "Le Piège Daech" kommt er zu dem Schluss, dass die betreffenden Staaten keine Zukunft hätten und der Westen seine diplomatischen und militärischen Strategien überdenken und sich politisch engagieren müsse, um der IS-Falle zu entgehen. So habe sich die schiitische irakische Armee in Mossul als Besatzungsmacht aufgeführt. "Es war eine Phantomarmee, die, bevor sie verschwand, die Stadt lokalen Clans überließ, die die Korruption ins Unermessliche trieben. Als der IS einige dieser Korrupten enthauptet und gekreuzigt hatte, konnte die Bevökerung feststellen, dass die Lebensmittelknappheit verschwunden war. Die Märkte wurden wieder beliefert, die Preise halbierten sich ... Die Passivität der Bevölkerung Mossuls hat sich schnell in einen Beitritt zu einem Staat islamischen Rechts verwandelt, der einen Unrechtsstaat ersetzte. Ich rechtfertige die Islamisten nicht, aber wenn man einen Gegner zu verteufelt, bringt man sich darum, seinen Erfolg zu verstehen."
Archiv: Telerama

MicroMega (Italien), 08.03.2015

Mit Skepsis, aber auch Optimismus beobachtet Annamaria Rivera die Fortschritte für tunesische Frauen. Gewalt gegen Frauen wird in Tunesien immer stärker thematisiert, wie sie an dem Fall Mariams (Name geändert) schildert, der in ganz Tunesien heftige Debatten auslöste - Mariam wurde von zwei Polizisten vergewaltigt, während ein Dritter ihren Freund zwang, sie mit Geld aus dem Bankautomaten freizukaufen. "Als Mariam dann den Mut hatte, ihre Vergewaltiger anzuklagen, wurde sie zur Schuldigen gemacht. Sie war es nun, die wegen Verstoßes gegen die Sittlichkeit angeklagt wurde (damals waren noch die Islamisten an der Regierung). Aber es gab dann eine so große Mobilisierung von feministischen Gruppen und Menschenrechtsorganisationen, dass die Anklage gegen sie fallen gelassen wurde und statt dessen die beiden Polizisten zu sieben Jahren und ihr Komplize zu zwei Gefängnis verurteilt wurden. Und das nur anderthalb Jahre nach dem Zeitpunkt der Tat. Ich sage "nur", weil ich an die Fristen der italienischen Justiz denke, besonders bei sexueller Gewalt."
Archiv: MicroMega

La vie des idees (Frankreich), 10.03.2015

Mit einem Mittel wie dem in Frankreich diskutierten "Verlust der nationalen Würde" kann man dem Dschihadismus nun wirklich nicht beikommen, argumentiert François Saint-Bonnet in einem Essay. Ein solches Urteil sei unwirksam, weil Dschihadisten keine klassischen Kriminellen seien. "Sie fürchten keine mögliche "nationale Unwürde", sondern erhoffen eine "dschihadistische Würde". Nationale Unwürde wird als ein sanftes Urteil angesehen, als Alternative zu Tod und Gefängnis, das für Kriminelle bestimmt ist, denen man ihre Nationalität nicht aberkennen kann, weil es aufgrund der internationalen Verpflichtungen Frankreichs unmöglich ist, Staatenlose zu schaffen. Es ist äußerst zweifelhaft, dass jemand, der ewigen Ruhm durch seinen Tod sucht, mit diesem ziemlich "irdischen" Bescheid sanktioniert werden könnte."

Außerdem stellt Julie Saada zwei Publikationen vor, die sich mit Laizismus und Toleranz in der Demokratie beschäftigen, Marc-Antoine Dilhacs "La tolérance, un risque pour la démocratie?" und "Pourquoi tolérer la religion?" (Originaltitel: Why tolerate Religion?) von Brian Leiter.

The Nation (USA), 30.03.2015

The Nation übersetzt einen Artikel Stéphane Delormes aus den Cahiers du Cinéma, der auf einen traurig-ironischen Aspekt der Pariser Massaker hinweist: "In einer Zeit mit moribunder Presse, in der auch Charlie in den Abgrund starrte, sind die Terroristen die letzten, die ihr solche Bedeutung zumessen. Es ist fast beängstigend paradox: Prophetenbilder finden sich überall im Internet, aber nur im Print zählen sie als Blasphemie. Islamische Terroristen, die sich auf eine Buch-Religion beziehen, mögen die letzten sein, die an die Macht der Presse glauben."

Außerdem in The Nation: Thomas Meaney liest neue Bücher Francis Fukuyamas und John Dunns über die chinesische Herausforderung.
Archiv: The Nation

London Review of Books (UK), 19.03.2015

Ja, der Egomane und Frauenheld Boris Nemzow konnte einem furchtbar auf die Nerven gehen, weiß Keith Gessen und stellt doch klar, dass Nemzow nicht wegen seiner schwachen Seiten ermordet wurde, sondern wegen seiner beharrliche Opposition gegen Putin: "Wenn es, wie die meisten vermuten, Putins Ziel ist, die Ukraine zu destabilisieren, wenn er sie schon nicht haben kann, dann hat er dieses Ziel erreicht. Doch der Preis dafür scheint Russlands innerer Frieden zu sein. Die generelle Mobilmachung zur Unterstützung des Präsidenten nimmt eine immer hässlichere Gestalt an. Im Dezember bot Ramsan Kadyrow vor Tausenden von bewaffneten Männern in einem Stadium in Grosny sich und seine Gefolgsleute dem Präsidenten als spezielles Freiwilligen-Batallion an. "Wir wissen, dass das Land ein Heer hat, eine Marine, eine Luftwaffe und die Atomkräfte", sagte er, "aber wir wissen auch, dass es einige Aufgaben gibt, die nur von Freiwilligen erfüllt werden können". Zwei Monate später, eine Woche vor dem Mord an Nemzow, veranstaltete eine Motorrad-Gang namens Wölfe der Nacht ein großes Treffen in Moskau, den Anti-Maidan. Motto: In Russland wird es keinen Maidan geben. Die Ukraine hat den Krieg verloren, doch was der Krieg in Russland anrichtet, könnte noch schlimmer sein."

Marina Warner schildert, wie die Privatisierung der britischen Universitäten Forschung und Lehre in ein strenges ökonomisches Korsett schnürt, zugleich aber eine hochbezahlte Nomenklatura aus Kanzlern, Vizekanzlern und Fundraisern schaffen. Und warum lassen sich die ProfessorInnen das gefallen? "Schweigen rührt aus verschiedenen Ursachen: aus Angst, Unsicherheit, prekären sozialen Verhältnissen und Scham. Es ist die Scham der geschlagenen Frau."

Eurozine (Österreich), 16.03.2015

Im russisch-ukrainischen Krieg versuchen die Russen nicht einfach nur die Ukraine unter ihrem Einfluss zu halten, sie fürchten die Auflösung einer orthodox-slawischen "Ummah", die ihre Wurzeln im 10. Jahrhundert hat, erklärt der ukrainische Schriftsteller Mykola Rjabtschuk in New Eastern Europe (online gestellt von Eurozine): "Der andauernde Krieg, euphemistisch als "Krise" bezeichnet, markiert den Anfang, nicht das Ende eines schmerzhaften und mühsamen Emanzipationsprozesses beider Nation von einer vormodernen "imaginierten Gemeinschaft" östlicher Slawen (der mittelalterlichen Slavia Orthodoxa), neu belebt und überpolitisiert in einem höchst zweideutigen Konzept der "Russischen Welt". Die Ukrainer haben aus einer Reihe von Gründen die größeren Fortschritte in diesem Emanzipationsprozess gemacht, während andere slawische Nationen - wie Russland (oder noch mehr Weißrussland) - zu einem gewissen Grad immer noch einer quasireligiösen Identität anhängen, die sie immer noch zu vormodernen, nicht bürgerlichen Werten und Klientelismus treibt. Diese Art von Identität, Ergebnis eines bestimmten imperialen Diskurses, wurde in abgewandelter Form unterstützt von den herrschenden Mächten in den drei Ländern, die einer radikalen de-Sowjetisierung ihres Machtbereichs widerstanden, vor allem weil sie begriffen, dass die Verwandlung des Sowjets - oder des imperialen, schwer mythologisierten "orthodoxen Slawen" - in Ukrainer, Russen und Weißrussen vor allem bedeutete, dass aus ihren gehorsamen, quasifeudalen Subjekten freie und selbstbewusste Bürger werden würden."
Archiv: Eurozine

Neovlivní.cz (Tschechien), 10.03.2015

Ein weiteres unabhängiges Nachrichtenportal geht in Tschechien an den Start: Nach einem halben Jahr unter dem Einfluss des Neueigentümers (des Großunternehmers und Finanzministers Andrej Babiš) hatte die Chefredakteurin der Tageszeitung Mladá Fronta Dnes Sabina Slonková genug und nahm ihren Hut. Ihr neugegründetes Online-Magazin neovlivni.cz will dem freien, investigativen Journalismus eine Plattform bieten. Zum Einstand veröffentlicht das Portal eine Liste von Webseiten, die in Tschechien zunehmend prorussische, kremltreue Ansichten vertreten: "Russland nutzt die Propaganda gegen die Tschechische Republik schon länger", wird der frühere Generalstabschef Jiří Šedivý zitiert. "Erst der Ukraine-Konflikt hat die Gefahr in aller Direktheit gezeigt. Diese Propaganda wird vom russischen Staat organisiert, es wird ein deutliches System dahinter sichtbar."
Archiv: Neovlivní.cz

El Pais Semanal (Spanien), 15.03.2015

Javier Cercas blickt skeptisch auf die neue spanische Protestpartei Podemos: "Viele von uns haben das Auftauchen von Podemos rückhaltlos oder mit großer Hoffnung begrüßt: Die wichtigste Erkenntnis der Bewegung, aus der Podemos hervorging - dass nämlich das größte Problem Spaniens ein politisches und nicht ein wirtschaftliches Problem ist -, ist absolut richtig. Was sind aber diesbezüglich die Lösungsvorschläge von Podemos? Ich weiß es nicht. Weder habe ich von Podemos etwas zur fundamental wichtigen Frage der Änderung des Wahlsystems gehört noch zur fundamental wichtigen Frage der Änderung des Parteiengesetzes. Dafür verkündet Podemos - das sich innerhalb weniger Monate in beängstigendem Tempo von einer radikal linken zu einer sozialdemokratischen Bewegung gewandelt hat -, dass es die Rechte und die Linke nicht mehr gebe. Dazu fällt mir eine Äußerung Simone de Beauvoirs ein, derzufolge wer behauptet, weder ein Rechter noch ein Linker zu sein, ein Rechter ist. Manche Leute fürchten, Podemos werde alles verändern; ich fürchte, Podemos wird genau das, was geändert werden müsste, nicht ändern, sodass es zuletzt wieder auf eine dieser Veränderungen hinausläuft, die dafür sorgen, dass alles beim Alten bleibt."
Archiv: El Pais Semanal

New Yorker (USA), 23.03.2015

In der aktuellen Nummer des New Yorker besucht Patricia Marx Seoul, die Weltkapitale der plastischen Chirurgie. Ein Psychologie-Professor erklärt, warum das so ist: ""Im Vergleich zu westlichen Kulturen zählen Äußerlichkeiten wie sozialer Status, Kleidung, Gesten, Aussehen mehr als innere Werte. Was andere über einen denken ist wichtiger als Selbsteinschätzung. In den USA wird man einen geborenen Musiker nicht zwingen, Fußball zu spielen. In Korea dagegen glaubt man an den Fortschritt durch Anstrengung, also zwingt man sein Kind dazu, Fußball zu spielen." In Korea kann jeder ein David Beckham werden und mit etwas Mühe auch so aussehen. Korea ist keine Nation, die so leicht aufgibt. Das Land ist über 400 Mal von fremden Mächten überfallen und okkupiert worden, ohne ein einziges Mal der Agressor gewesen zu sein, den Vietnamkrieg ausgenommen. Nach dem Koreakrieg sank das Bruttoinlandsprodukt auf 64 Dollar pro Kopf, weniger als dasjenige Somalias, und die Bevölkerung lebte unter einem Gewaltregime. Heute steht Südkoreas Bruttoinlandsprodukt an 14. Stelle weltweit. Ist es verwunderlich, dass ein Land, das sich immer wieder erfolgreich neu erfunden hat, der Gesichtschirurgie einen so hohen Stellenwert einräumt?"

Außerdem: James B. Stewart berichtet, was der Direktor der New Yorker Met alles unternimmt, um die 3800 Plätze in seinem Haus Abend für Abend zu füllen. Rebecca Mead verfolgt den steilen Aufstieg der kartoffeligen Birkenstock Schuhe zum unverzichtbaren Hipster-Utensil. Und es gibt eine Kurzgeschichte von Colm Tóibín: "Sleep".
Archiv: New Yorker

Fortune (USA), 15.03.2015

Gerade hat Ikea in Südkorea einen seiner bisher größten Läden aufgemacht. Die Firma expandiert und expandiert, mit inzwischen zehn Läden in China und Indien als nächstem Ziel. Beth Kowitt erzählt in einem nicht unbedingt kritischen, aber lehrreichen Artikel, wie Ikea funktioniert und warum die Firma soviel forscht, bevor sie am Ende überall in der Welt genau die gleichen Möbel anbietet: "Die Firma hat zum Beispiel eine Studie unter 8.292 Leuten in acht Städten durchgeführt, um etwas über Morgenroutinen herauszufinden. In Schanghai sind sie am schnellsten aus dem Haus (56 Minuten), und am langsamsten in Bombay (2 Stunden 24 Minuten), wo sie auch am häufigsten auf den Snooze-Knopf drücken (58 Prozent). New Yorker und Stockholmer arbeiten am ehesten auch im Bad (16 Prozent). Aber in egal in welcher Stadt: Frauen brauchen mehr Zeit, um ihre Kleidung für den Tag zusammenzustellen als Männer, ein Prozess, den viele stressig finden. Mit diesen Daten in der Hand hat Ikea einen freistehenden Spiegel entworfen, der einen Bügel für Kleidung und Schmuck auf der Rückseite hat, genannt The Knapper. Er soll den Kunden helfen ein Outfit für den Tag vorzubereiten - am Abend vor dem Morgenstress."
Archiv: Fortune
Stichwörter: Ikea, Südkorea, Schmuck, Kleidung, Möbel

The Baffler (USA), 11.03.2015

Normcore, also die betont geschmacklose Art, sich als Hipster mainstreamig zu kleiden, bleibt ein vieldiskutiertes Reizthema. Als bloße Modetrend-Parodie lässt sich das Phänomen schon wegen seiner Langlebigkeit nicht mehr abtun, meint Eugenia Williamson in einer ausführlichen Auseinandersetzung mit dem Trend, dessen ironisch-arrogante Haltung gegenüber dem Kleidungsstil bildungsferner Bevölkerungsschichten sie durchaus kritisch betrachtet. Überhaupt kommt ihr der ironische Gestus eher wie ein Offenbarungseid einer orientierungslos gewordenen jungen Mittelschichtsgeneration vor: "Etwas sichtlich Mieses, ob nun Pizza oder ausgebeulte Flauschpullis, heranzuziehen und es als avantgardistischen Selbstausdruck zu verkaufen, ist eine unglaublich defätistische Geste, die sich ihrer Vergeblichkeit nicht nur bewusst, sondern damit auch glücklich ist. Ceci n"est pas intéressant. ... Dass Normcore an der Kultur so haften bleibt, könnte auch den verzweifelten, unzynischen Wunsch nach ein bisschen abgegrenzter Beschaulichkeit signalisieren. Es scheint so, als würde Normcore, vermittels zahlloser Ebenen geschickt theoretisierter Ironie, altmodische amerikanische Werte, die noch gänzlich unberührt sind von den Erfahrungen von Polizeibrutalität und sexueller Gewalt der letzten Jahre, bekräftigen wollen. Und schlussendlich will es eine soziale Ordnung stützen, in der die Wohlhabenden ihre Überlegenheit offen und ohne Angst, dafür gerügt zu werden, zur Schau stellen können."
Archiv: The Baffler

Magyar Narancs (Ungarn), 17.03.2015

Der Politologe Gábor G. Fodor ist einer des engsten Berater des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Entgegen aller bisherigen Praktiken gab er kürzlich der Wochenzeitschrift Magyar Narancs ein Interview in dem er u.a. über die ungarischen Intellektuellen sprach. Seine Äußerungen über den Begriff "bürgerliches Ungarn" lösten vor allem bei rechten Intellektuellen Verblüffung aus: "Viele der rechten Intellektuellen irren sich wenn sie den Begriff "bürgerliches Ungarn" als politische Realität empfinden. Der Begriff war seiner Natur nach lediglich ein politisches Produkt. Sie glauben aber noch heute, dass Ungarn zwischen 1998 und 2002 (der ersten Amtszeit Orbans - Anm. d. Red.) bürgerlich war. Das ist ein riesiger Irrtum. (…) Während liberale Intellektuelle sich von Toleranz und Freiheitsrechte angezogen fühlen, haben die Rechten eine postromantische Haltung gegenüber der ungarischen Geschichte. Demnach sei das Land in einigen bestimmten Zeiträumen dem kulturellen Niveau, das sie für erstrebenswert halten, nahe gewesen. Ich denke, dass Politik nicht rückwärtsgewandt ist. Gute Politik ist weder postromantisch, noch ideologisch, sondern entscheidungsfreudig und tatkräftig. So einfach ist das."
Archiv: Magyar Narancs

New York Times (USA), 15.03.2015

Fürs Magazin der New York Times ist Karl Ove Knausgård weiter in Nordamerika unterwegs, auf der Suche nach den Spuren der Wikinger und dem Wesen des Amerikanischen. So richtig fündig wird er nicht. Dafür merkt er, wie fremd ihm die amerikanische Kultur immer noch ist und er ihr: "Immer wenn ich während der letzten Woche irgendwo etwas bestellte, sah mich die Kellnerin fragend an und bat mich, meinen Wunsch zu wiederholen. Jeder Informationsaustausch war Kleinstarbeit, voll von Missverständnissen und Wiederholungen. Nicht weil ich kein Englisch konnte, sondern weil ich nicht in dem Flow war, der die Dinge reibungslos vonstatten gehen ließ, wo alles erwartbar war. Ich kannte den Inhalt, aber nicht die Form, und Form ist immer der wichtigere Teil der Kommunikation. Als ich von Norwegen nach Schweden zog, war es auch so. Die verwunderten Blicke, das stille Kopfnicken, was bedeutete, das ich nicht verstanden wurde oder das was ich sagte, absurd war. Damals war ich immer erleichtert, Norweger zu treffen. Ein paar Sätze, und ich konnte sie geografisch und sozial einordnen und sie entsprechend anreden. Zu Hause war ich mir dieses Wissens nicht bewusst, es war intuitiv und klar, Teil dessen, was es hieß Norweger zu sein. Mein unmittelbarer Zugang zu diesem unterbewussten Haufen an Kenntnissen und geteilten Bezügen war wahrscheinlich, was man eine nationale Identität nennt." Über den Text scheiden sich übrigens tüchtig die Geister, 570 Kommentare sinds schon.

Außerdem begleitet Paul Tullis die noch immer höchst aktive Schimpansenforscherin und Aktivistin Jane Goodall nach Tansania. Und Daniel Duane folgt dem für seine Free-Solo- und Speedbegehungen bekannten Kletterer Alex Honnold in die engsten und glattesten Felsspalten.
Archiv: New York Times