Außer Atem: Das Berlinale Blog

Triptychon des Schmerzes: Rithy Panhs "Irradiés" (Wettbewerb)

Von Thekla Dannenberg
28.02.2020.


Die Schreckensherrschaft der Roten Khmer - darum kreist das Schaffen des kambodschanischen Filmemachers Rithy Panh. In weniger als vier Jahre wurden fast zwei Millionen Menschen ermordet, fast ein Viertel der Bevölkerung. Rithy Panhs Familie wurde - wie Tausende von Städtern, die als bürgerlich, intellektuell, korrumpiert und verdorben galten - zur Umerziehung in Arbeitslager auf das Land geschickt, Rithy Panh war damals elf Jahre alt, er verlor seine Familie und floh allein über Thailand nach Frankreich.

Mit seinen Filmen will Rithy Panh Bilder schaffen für einen Völkermord, der geheim gehalten wurde, während die Propaganda arbeitsame Reisbauern und kampfbereite Rotgardisten zeigte. Für seinen Film "Das fehlende Bild" rekonstruierte er mit kleinen Tonfiguren den alltäglichen Schrecken im Kambodscha des Pol Pot. Mit seinem filmischem Poem "Irradiés" will er den Völkermord der Roten Khmer auch in das Gedächtnis der Welt einschreiben, neben dem Holocaust und dem Abwurf der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki. Der Titel bedeutet so viel wie "bestrahlt", bestrahlt vom Bösen. "Irradiés" ist ein Triptychon des Schmerzes, ein Klagegesang auf die Unmenschlichkeit, auf die Barbarei des 20 Jahrhunderts, von großer rhetorischer Kraft.

Wie in einer Kunstinstallation ist die extrem in die Breite verlängerte Leinwand dreigeteilt. Mal zieht sich ein Bild über alle drei Teile, mal verdreifacht es sich, mal zeigen nur die äußeren Flügel dieselben Bilder. Der Schrecken des 20. Jahrhundert variiert, wiederholt sich, geht weiter. Zu einem poetischen Text fügt Rithy Panh Bilder aus Birkenau an jene aus Hiroshima und Kambodscha. Immer wieder werden verhungerte, erschossene, verbrannte Leiber über den Boden geschleift und in Massengräbern verscharrt. Leichen türmen sich zu Bergen auf, abgehauene Schädel zu Pyramiden. Bomben werden abgeworfen, Gasgranaten und Entlaubungsmittel. "Der Schmerz ist der höchste Punkt des Himmels" heißt es im Film, und wir sehen die großen Bomber, die den Menschen und die Welt in Brand setzen. "Der Kaiser sucht die Fackel, die er auf die Seinen werfen kann", heißt es und wir sehen, wie sich die Roten Khmer in Marsch setzen und die Nationalsozialisten. "Der Tod ist tüchtig", heißt es und wir sehen Zwangsarbeiter in Fabriken, auf den Reisfeldern und in den Kolonien. "Sieh hin", mahnt der Film, "sie einmal hin, sieh hundertmal hin." Auf Stacheldraht und Internierungslager, Menschenversuche, Flüchtende, Deportierte und Hungernde, die Reisekörner vom Boden auffegen.

Rithy Panhs Montage ist von einer enormen Kunstfertigkeit. Er schneidet dokumentarische Archivbilder aneinander, die man sofort einordnen kann, aber doch nicht oft gesehen hat. Sie verfehlen ihre Wirkung nicht. Sie lassen noch alles Entsetzen und Grauen zu, Schmerz und Trauer. Der Film ordnet nichts ein, er ist keine politische Reflexion, sondern ein Epitaph für die Toten des 20. Jahrhunderts. Rithy Panh nennt seinen Film einen "Schrei der Hoffnung". Woher er diese nehmen will? Am Ende fügen sich in die historischen Aufnahmen mehr und mehr Bilder von Blumen und eines Tänzers, die dem Tod Trost und Milde entgegensetzen sollen. Sie sind kraftlos, aber vielleicht muss das so sein. Vielleicht muss man sich für sie einfach dennoch entscheiden.

Irradiés. Regie: Rithy Panh. Dokumentarische Form. Frankreich, Kambodscha 2020, 88 Minuten (Alle Vorführtermine)