9punkt - Die Debattenrundschau

Mit einem satten Glockenschlag

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
17.02.2015. Während die Dänen ihre Trauer bekunden, stellen sich Schriftsteller Fragen, etwa Carsten Jensen in der FAZ: Liegt die Schuld bei der dänischen Gesellschaft selbst? Die SZ schildert die Kultur der Freiheit in den nordischen Ländern. In Frankreich sinkt die Debatte auf ihr altes Niveau zurück: Attackiert wird jetzt Manuel Valls, der sich klar gegen Islamismus und deutlich für die Juden in Frankreich aussprach. In der taz rät Expertin Jana Sinram von Mohammed-Karikaturen ab: Sie hat ja auch über die Zeichnungen promoviert, ohne sie abzubilden. Der Blogger Sebastian Heiser erzählt unterdessen, wie die SZ Geld verdient.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 17.02.2015 finden Sie hier

Europa

30 bis 40.000 Menschen haben gestern Abend in Kopenhagen demonstriert, um der Opfer der Mordanschläge von Sonntag zu gedenken, berichtet Spiegel Online mit dpa: "Viele Polizisten waren vor Ort, aber Absperrungen oder Kontrollen gab es kaum - obwohl auch Regierungschefin Helle Thorning-Schmidt bei der Gedenkveranstaltung sprechen sollte; auch Kronprinz Frederik war da."

In der SZ wertet Thomas Steinfeld den Anschlag von Kopenhagen auch als einen Anschlag auf die unvergleichlich moderne Kultur des Nordens, deren radikale Freiheit eben auch einem provokanten Künstler wie Lars Vilk galt: "Es wird viele Gründe für die frühe und breite Anerkennung der Avantgarde in den nordischen Ländern geben. Zwei treten besonders hervor: der allgemeine Respekt vor der Kunst als Medium der Selbstverwirklichung sowie eine Hochschätzung individueller Freiheit, wie sie entstehen mag, wenn der Einzelne und der Staat sich immer wieder unmittelbar begegnen, ohne die Vermittlung von Familie oder anderen Gemeinschaften."

In Frankreich sinkt der Streit inzwischen auf sein altes Niveau zurück. Pierre Haski nennt Premierminister Manuel Valls in rue89 einen "Néo-Con" (wer französisch kann, weiß dass das doppelt beleidigend ist), nachdem dieser es wagte, von "islamischem Faschismus" zu sprechen. Noch weiter ging Roland Dumas, der ehemalige Außenminister François Mitterrands, der auf die Frage eines Journalisten, ob Manuell Valls "unter jüdischem Einfluss" stehe, schlicht mit "Ja" antwortete. Libération konstatiert einen "Aufruhr" auf der Linken und der Rechten nach dieser Äußerung.

Im taz-Interview mit Cigdem Akyol erklärt die Journalistin Jana Sinram, wie sie ihre Doktorarbeit über die Mohammed-Karikaturen schreiben konnte, ohne diese abzubilden. Und so rät die Journalisten auch zu mehr Tugendhaftigkeit: "Man muss nicht immer alles umsetzen, was man tun darf. Eine "Jetzt erst recht"-Haltung führt niemanden weiter, weil sie ohnehin starke Emotionen auf beiden Seiten weiter verstärkt." Duck and Cover!

Carsten Jensen, dänischer Autor, stellt in der FAZ nach den Kopenhagener Morden Fragen nach der eigenen Schuld: "Ist Dänemark eine selbstradikalisierte Nation? Dänemark und Großbritannien sind die einzigen europäischen Länder, die in den vergangenen zwölf Jahren an den vier Kriegen im Irak, in Afghanistan, in Libyen und nun gegen den "Islamischen Staat" teilgenommen haben. Dänemark ist neben Belgien und Großbritannien das europäische Land, von dem aus, relativ gesehen, die meisten Krieger nach Syrien gegangen sind."

Reaktionen anderen Kalibers notieren die Soziologen Martin Altmeyer und Martin Dornes ebenfalls in der FAZ: "Als Gegengift gegen die radikalislamistische Leidenschaft empfiehlt Slavoj Zizek einen leidenschaftlichen Linksradikalismus, um dann dem ideologisch erschlafften Westen wie seinen Gegnern gehörig die Leviten zu lesen: Der saftlose Liberalismus des reichen Westens hat nicht einmal ein ordentliches Überlegenheitsgefühl zustande gebracht." Lesenswert setzen sich die beiden auch mit den Radical-Chic-Autoren Alain Badiou, Giorgio Agamben und Byung-Chul Han auseinander.

Auf eine Paradoxie des Begriffs "Islamophobie" macht im Perlentaucher Daniele Dell"Agli in einem Essay zur Frage "Wer was wozu gehört" aufmerksam: "Islamophobie bedeutet Angst vor dem Islam und bezeichnet demnach exakt das Gegenteil dessen, was Islamkritiker tun, die für ihren Mut längst mit dem Bundesverdienstkreuz hätten geehrt werden müssen. "Angst vor dem Islam" maskiert sich gern als Islamophilie. Bloß keine schlafenden Hunde wecken, mögen dies gewaltbereite Fundamentalisten oder rechtsextreme Ressentiments sein."

Weiteres: Martin Meyer sieht in seinem Kommentar zur "verhexten" Lage nach dem Attentat von Kopenhagen westliche und östliche Kulturen miteinanderringen. Die französische Staatsanwaltschaft hat laut Agenturen Ermittlungen gegen den pakistanischen Politiker Ghulam Ahmed Bilour aufgenommen, der eine Kopfgeld für in Höhe von 200.000 Dollar auf die Besitzer von Charlie Hebdo ausgelobt hat und auch den Familien der Pariser Mörder je 100.000 Dollar versprochen haben soll.
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Kulturpolitik

Felix Lee berichtet in der taz von einem Kulturkongress in Peking, auf dem Chinas KP-Chef Xi Jinping die schlechte Kunst und hässliche Architektur geißelte: "Viele Künstler würden mit "vulgären" Werken nach Popularität streben und zu "Sklaven des Marktes" werden, schimpfte Xi. Kunst, so belehrte er, dürfe nicht "den Gestank des Geldes" tragen. Ihn störe zudem die Nachmacherei und das Fließbandhafte an Chinas Unterhaltungsindustrie. Auch auf die derzeitige Architektur im Land war er nicht gut zu sprechen. Er bezeichnete sie als "überdreht", sie gehe ihm "auf die Nerven" ... Was er in seiner Rede aber nicht erwähnte: dass Parteisekretäre und Spitzenbeamte seiner eigenen Partei die Bauwerke in Auftrag gegeben haben."

Johan Schloemann preist in der SZ den gerade im Bau befindlichen Bochumer Konzertsaal als Beispiel für gelungenes Bauen: "Nicht nur, dass dieses Großprojekt, wenn alles weiter nach Plan geht, zum Ende dieses Jahres fertig sein wird, also nach zwei Jahren. Nein, mit einem satten Glockenschlag muss man vor allem auch auf die Gesamtkosten hinweisen: knapp unter 34 Millionen Euro."

Weiteres: Rüdiger Schaper und Birgit Rieger nehmen im Tagesspiegel-Interview den Direktor der Staatlichen Museen Michael Eissenhauer in die Mangel. Außerdem berichtet Rieger, dass die Stiftung Preußischer Kulturbesitz acht Kunstwerke an die Mosse-Erben zurückgibt. In der Presse beschreibt Katrin Nussmayr, wie sich der Zeithistoriker Oliver Rathkolb das geplante Geschichtsmuseum in Wien vorstellt.
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Medien

(Via Meedia) Sebastian Heiser, heute taz, erzählt, wie er seine Karriere vor einigen Jahren bei den "Sonderveröffenlichungsseiten" der Süddeutschen begann, also jenen seiten, die aussehen wie normale Zeitungsseiten, in Wirklichkeit aber um eine gut bezahlte Anzeige herumgestrickt werden. "Bei dem Journalismus-Imitat in meinem Ressort wird nicht nach Relevanz entschieden, sondern nach Geld. Rein kommen die Themen, für die Anzeigen geschaltet werden. Die Daumenregel: Für jede viertelseitige Anzeige (Kosten damals: rund 20.000 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer) erscheint eine Seite über dieses Thema."

Weiteres: FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube bekommt nach Frank Schirrmacher nun auch den Ludwig Börne-Preis, meldet die Welt. Dan Diner war der Juror.
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Internet

Issie Lapowsky erzählt in Wired, wie das Start-Up Jet.com mit Hilfe kleiner Händler Amazon schlagen will - durch eine Art paradoxen Preiswettwebewerb: "Jet.com macht Einnahmen, indem es von den Kunden eine Gebühr von 50 Dollar im Monat nimmt, und statt dann einen Anteil von den Händlerpreisen zu nehmen, gibt Jet dieses Geld in Form von Sparpreisen an die Kunden zurück. Das heißt, dass die Preise bei Jet schon 10 Prozent unter den normalen Preisen liegen - ohne dass es den Händler etwas kostet."

Türkische Frauen protestieren per Twitter, aber auch durch normale Demos, wie man sieht, gegen Gewalt gegen Frauen. Anlass war ein ein Mord nach einer Vergewaltigung einer Frau, der in der ganzen Türkei Proteste auslöste, schreibt Jim Roberts bei Mashable.

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