Außer Atem: Das Berlinale Blog

Wahrheit oder Wahrnehmung: Visar Morinas "Exil" (Panorama)

Von Nina Sabo
26.02.2020.


Als Xhafer von der Arbeit nach Hause kommt, hängt eine tote Ratte an seinem Gartenzaun. Der aus dem Kosovo stammende Pharmaingenieur lebt schon seit Jahren mit seiner Frau Nora und zwei gemeinsamen Kindern in einem Einfamilienhaus, als ihn das Gefühl beschleicht, auf der Arbeit ausgegrenzt zu werden. Vergeblich sucht er den Raum für das Team-Meeting, nach verlorenen Informationen aus seinen Akten, nach Ansprechpartnern, seinem Vorgesetzten. Und ebenso vergeblich versucht er klarzustellen, dass ihm Steine in den Weg gelegt wurden, dass er aus dem E-Mail-Verteiler absichtlich entfernt wurde. Immer zur falschen Zeit am falschen Ort, findet er kein Gehör. Die Kollegen haben keine Zeit oder nehmen ihn nicht ernst. Wird Xhafer systematisch schikaniert? Weil er aus dem Kosovo kommt?

Mišel Matičević spielt Xhafer, und die Kamera begleitet mit eindrucksvoller Nähe den Protagonisten bei seinen Gängen durch die dunklen Korridore der Büros, mit ihren niedrigen Decken und PVC-Boden. Dämmriges Licht, stickige Büroräume und schwitzige Gesichter ziehen sich durch den gesamten Film und sorgen für Unbehagen. Die unerträgliche Hochsommer-Schwüle dominiert jede Szene und wirkt - mit Blick auf traurige Ventilatoren und vor Schweiß klebenden Anzügen - bedrückend. Dazu wird die Handlung des Filmes nur langsam und kleinschrittig aufgebaut und gegen Ende zur regelrechten Belastungsprobe. Nichtsdestotrotz lässt Regisseur Visar Morina das Publikum eindrucksvoll in die Atmosphären der verschiedenen Settings eintauchen, macht die Beklemmungen und Ängste Xhafers fühlbar, sodass man sich gemeinsam mit ihm fragen muss: Wer ist verantwortlich für diese persönlichen Attacken und was sind die Motive?



Tatsächlich fällt auf, dass Xhafer - neben der kosovarischen Putzfrau - der einzige ausländische Mitarbeiter seiner Firma ist. Dass jemand seinen Hass gegen ihn richtet, bleibt schon deshalb unverkennbar, weil es nicht nur bei Ratten am Gartenzaun bleibt. Aber vielleicht zielt all das gar nicht so sehr auf seine Herkunft, sondern vielmehr auf seine Person? Seine Frau, von Sandra Hüller in gewohnt kühler Nüchternheit gespielt, legt ihm das nahe. Was die Zuschauer beobachten können, ist ein langsames Entgleisen des Familienvaters, der sich von anfänglichen Zweifeln immer mehr in heftige Anschuldigungen verstrickt. Morina lässt in seinem Film die Perspektiven verschwimmen und hebt die Grenzen auf, zwischen Innen- und Außenwelt, zwischen Wahrheit und Wahrnehmung.

Bis zuletzt lässt der Film offen, ob Xhafers Wahrnehmung der Realität entspricht oder wahnhaft ist. Damit wirft Morina auch beklemmende Fragen auf: Lässt sich innere Wahrnehmung von äußerem Geschehen trennen? Hat das, was ich fühle einen Platz in der Außenwelt? Und wer entscheidet überhaupt, ob die Ungerechtigkeiten, die mir widerfahren, anerkannt werden?

Exil. Regie: Visar Morina. Mit Mišel Matičević und Sandra Hüller, Deutschland, Belgien, Kosovo 2020, 121 Minuten. (Alle Vorführtermine)