Florian Coulmas

Japanische Zeiten

Kleine Ethnologie der Vergänglichkeit
Cover: Japanische Zeiten
Kindler Verlag, München 2000
ISBN 9783463403922
Gebunden, 400 Seiten, 25,46 EUR

Klappentext

1873 fand im Japan der Meiji-Zeit eine radikale Umwälzung statt: die Einführung des Gregorianischen Kalenders. Über tausend Jahre hatte sich das Kaiserreich nach dem chinesischen Kalender gerichtet, bis es den Sprung in die moderne westliche Zeit praktisch über Nacht wagte. Florian Coulmas berichtet in dieser faszinierenden Studie von den Hintergründen und vom Gelingen einer in der Weltgeschichte einmaligen Revolution des Zeithaushalts. Er spannt einen weiten Bogen vom naturbezogenen Zeitempfinden im japanischen Mittelalter über die Präzisierung der Zeitmessung über die Übernahme des westlichen Zeitregimes bis hin zur Industrialisierung Japans und zur Zeit der Wissenschaft, deren Einzug wie nirgendwo sonst auf der Welt als Sturz ins Atomzeitalter erlebt wurde. Dabei ergeben sich umfassende und unerwartete Einblicke in die japanische Kultur- und Mentalitätsgeschichte.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 19.02.2001

In einer Sammelrezension bespricht Ludger Lütkehaus fünf Bücher, die alle einen Bezug zu Japan haben.
1) Ludwig Harig: "Reise mit Yoshimi" (Zu Klampen Verlag)
Lütkehaus merkt an, dass die Bezeichnung `Reportagen` im Untertitel möglicherweise etwas irreführend sein könnte. Denn seiner Ansicht nach handelt es sich hier vielmehr um "subtile poetische Annäherungsversuche", bei denen sich der Autor an Max Dauthendey anlehnt. Dieser hat, wie Lütkehaus erläutert, in Japan `acht Gesichter` gesehen, wie etwa `Landschaft-, Wetter-, Seelen-, Tages- und Jahreszeitengesichter`. Dass Harig nicht "umstandslos in Dauthendeys Spuren" geht, sondern sich vielmehr einfach inspirieren lässt, scheint dem Rezensenten recht gut zu gefallen.
2) Irmela Hijiya-Kirschnereit: "Japanische Gegenwartsliteratur" (edition text und Kritik)
Lütkehaus stellt die Autorin zunächst als eine der "besten Kennerinnen Japans" vor und weist darauf hin, dass die Hijiya-Kirschnereit hier insbesondere ausführliche und aktuelle Informationen zum ersten japanischen Nobelpreisträger Kawabata bietet. Dabei habe die Autorin eigene Artikel aus dem `Kritischen Lexikon zur fremdsprachigen Gegenwartsliteratur überarbeitet und einige weitere hinzugefügt.
3) Irmela Hijiya-Kirschnereit: "Japan" (Suhrkamp Verlag)
Zu diesem Buch merkt der Rezensent nur kurz an, dass die Autorin in ihrem Essayband auf "die nötige Distanz zu den Wahrnehmungsklischees", mit denen Japan hierzulande üblicherweise betrachtet wird, setzt.
4) Uwe Schmitt: "Mondtränen, Bürohelden und Küchengerüchte (Picus Verlag)
Lütkehaus preist dieses Buch begeistert als lohnende Lektüre an, und das nicht nur wegen des "glänzenden Schreibstils" des Autors. Besonders gefällt dem Rezensenten, wie Schmitt "Unterhaltsames mit überraschender Information" verbindet. Als Beispiel dafür nennt Lütkehaus das Kapitel über Harakiri, in dem der Autor mit im Westen verbreiteten Legenden vom "geradezu lyrischen Selbstmord" aufräumt und darüber hinaus deutlich macht, dass die Japaner keineswegs anfälliger für Selbstmord sind als andere Völker. Gut gefallen dem Rezensenten auch die Passagen des Buchs, in denen Schmitt über die unterschiedliche Einstellung zum Tod und insbesondere zum Selbstmord zwischen japanischer und christlicher Tradition eingeht.
5.) Florian Coulmas: "Japanische Zeiten" (Kindler Verlag)
Nach Lütkehaus geht es in diesem "Pionierwerk" besonders um Zeit und Zeitempfinden in Japan - etwa um den Konflikt zwischen gregorianischem Kalender und der Tradition, Zeit an den Herrschaftszeiten der Kaiser zu messen. Oder auch um den scheinbaren Widerspruch von hektischer Arbeitswelt und Naturnähe bzw. Meditation. Und nicht zuletzt gehe es um die Uhrenfirma Seiko, die die Uhren immer auf zehn nach zehn stellte, damit die Uhren aussehen wie lächelnde Gesichter. Lütkehaus fällt dabei auf, dass auch das Buch selbst "die zyklische Struktur, die es beschreibt" zeigt, was ihm offenbar sehr gut gefällt. Darüber hinaus lobt er den leichten Schreibstil des Autors, mit dem es Coulmas seiner Ansicht nach gelingt, viel Information in gut lesbarem Stil zu vermitteln.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 20.12.2000

Ludger Lütkehaus hat nichts Geringeres als ein "Pionierwerk" anzuzeigen. Obgleich mit leichter Hand geschrieben, wie er vermerkt, könne man das Buch der neuen Disziplin einer "Chrono-Ethnologie" zurechnen. Das von Lütkehaus für uns eruierte Thema der kulturspezifischen Prägungen der mathematisch-absoluten Zeit scheint etwas diffizil zu sein, zumal es sich auch in der "zyklischen Struktur" des Buches niederschlägt, wie wir hören. Allein der Rezensent lotet mit seiner Hilfe immerhin die kulturelle Tiefendimension aus, die die Einführung der westlichen Zeit in Japan hatte - und deren Bedeutung sei gar nicht zu überschätzen! Was uns gleichfalls bemerkenswert erscheint: Hier können wir endlich lernen, warum "alle Sekundenzeiger digitaler Uhren in der Seiko-Reklame nicht auf 10 Uhr, 8 Minuten und 42, sondern 59 Sekunden stehen"!

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.10.2000

Steffen Gnam nimmt das Buch, das sich mit der im Zuge der Verwestlichung veränderten Zeitauffassung in Japan beschäftigt, mit Interesse zur Kenntnis. Er stellt fest, dass sich in Japan die traditionelle und die westliche Zeitrechnung überlagert haben und macht als Hauptanliegen der Arbeit die These von der Vermischung der "scheinbar konträren Zeitstränge und Geistesströmungen" aus. Der Autor zeige, dass in der durchrationalisierten Gesellschaft Japans immer noch Raum für "Mythen und Anachronismen" sei, wie er anhand der japanischen Vorliebe für Glücks- und Unglückstage des traditionellen Sechstagezyklus und der Geschichtsschreibung nachweise, so der Rezensent fasziniert. Er findet, der Autor hat seine These "eindrücklich illustriert" und lobt die Studie für ihre Vielschichtigkeit.
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