Im Kino

Choreografie der Körper

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
05.03.2008. Die Geschichte einer Rache, die nicht gelingt, einer Annäherung, die gefährdet bleibt, eine Parabel auf Gewalt und Versöhnung ist Mahamet-Saleh Harouns Film "Daratt". Franziska Meletzkys krampfhaft beschwingte Komödie "Frei nach Plan" dagegen ist ein Abgrund an Frauenzeitschriften-Spießigkeit.
Eine Amnestie steht am Beginn, ein Aufruf zum Ende der Gewalt nach Jahrzehnten des Mordens. Atim (Ali Bacha Barkai) und sein Großvater leben in einem Dorf im Tschad. Der Großvater ist blind. Er hört im Radio von der Amnestie und ruft in die Wüste, nach seinem Enkel. Der Großvater, der durch die Gewalt seinen Sohn verloren hat, drückt dem Enkel eine Waffe in die Hand: Er soll nach Ndjamena gehen, in die Hauptstadt, den Vater rächen, dessen Mörder dort lebt. Mit der Waffe und diesem Befehl zur Fortsetzung der Gewalt zieht der Enkel los.

Atim bewegt sich durch die Fremde der großen Stadt, er lernt einen Kleingangster kennen, mit dem er Neonröhren stiehlt und verhökert. Es dauert nicht lange, da findet er den Mann, der der Mörder seines Vaters ist. Er heißt Nassara (Youssouf Djaoro) und arbeitet als Bäcker. Atim beobachtet Nassara, der jeden Tag vor die Tür seiner kleinen Bäckerei tritt und Brot an bedürftige Kinder verteilt, Nassara, der an keinem Tag den Gang zur Moschee versäumt. Atim sieht mit an, wie ein Konkurrent mit dem Auto vorfährt und zu niedrigem Preis Brot verkauft. In sehr sachlichen Bildern beobachtet seinerseits der Film den Beobachter Atim, ohne erklären zu müssen, was in ihm vorgeht. Er zeigt Atim, der die Waffe im Gewand hat, aber nie abdrückt. Der sich wortlos Nassara nähert, wütend und trotzig, aber er tötet ihn nicht.

Stattdessen fasst Nassara Interesse an dem Jungen, der jeden Tag vor seiner Tür steht. Nassaras Kehlkopf ist zerstört, er kann nur mühsam mit einem elektronischen Verstärker sprechen; darum spricht er selten. Auch Atim hat, wie es scheint, die Sprache verloren, er ist auf der Suche nach einem Ausdruck für das, was er fühlt oder fühlen zu müssen glaubt. In sehr ruhigen und sehr genau inszenierten Einstellungen zeigt Regisseur Mahamat-Saleh Haroun diesen stillen Kampf um Ausdruck und Tat. Atim gelingt, wie Hamlet, die Rache nicht, nur wird der innere Widerstreit nicht Wort, sondern innerer Kampf bei scheinbarer äußerer Ruhe.

Dann macht Nassara, der nicht ahnt, wer Atim ist, dem Jungen, der ihn verfolgt, das Angebot, in seinen Dienst zu treten als Bäckerlehrling. Atim ist erst wütend und voller Widerstand, aber dann nimmt er das Angebot an. Wir sehen, wie er das Backen lernt, Nassara wird sein Lehrer und als Atim einmal die Hefe vergisst, erteilt ihm Nassara eine Lektion: die Bedürftigen, an die er das Brot verteilt, bewerfen ihn mit den viel zu harten Kanten. Um nichts anderes als das Verhältnis zwischen Nassara und Atim geht es in "Daratt" (Übersetzung des Titels: Trockenzeit), als ein Verhältnis, das sich weniger klärt, als dass es sich immer neu konstelliert: von Rächer und Opfer zu Lehrling und Meister; später möchte Nassara den Jungen gar adoptieren, der aber wird in einer weiteren, langsam herbeigeführten Veränderung der Konstellation, zum Konkurrenten um Nassaras junge, hochschwangere Frau Aicha (Aziza Hisseine).

"Daratt" ist eine Parabel über die Möglichkeit von Versöhnung, eine Parabel aber ohne alle Aufdringlichkeit (und mit einem sehr ambivalenten Ende). Die große Stärke des Films liegt in seiner Kraft, die Dinge und die Verhältnisse immer offen zu halten und unmerklich geradezu, in einer sehr stimmigen Choreografie der Körper ständig neue Optionen ins Spiel zu bringen in einer Situation, die von Anfang an aussichtslos scheinen musste. Souverän eignet sich Haroun die dominierende Weltkino-Grammatik an, mit ihrer Wortkargheit, ihren langen Einstellungen, in denen mit nachdrücklicher Beiläufigkeit immer auch das Nebensächliche ins Bild gerückt wird. Es ist eine, wie "Daratt" beweist durchaus humorfähige Grammatik der demonstrativen Zurückhaltung, der Sprödigkeit, in der sich das Parabelhafte mit dem genau beobachteten Sosein der Dinge sehr überzeugend ausbalancieren lässt.

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Anne, Iris, Marianne: Drei Schwestern im mittleren Alter treffen sich wieder in der brandenburgischen Provinz, sie sind gekommen, den Geburtstag ihrer Mutter zu feiern, die freilich nicht sonderlich feierwillig scheint. Jeder der Schwestern, auch der Mutter und ein paar Männern dazu, gibt der Film ein Päckchen zu tragen, ein kleines Schicksal, aus dem er Funken zu schlagen versucht. Die eine, Anne (Dagmar Manzel), ist pleite, als Rocksängerin gestrandet (spät im Film wird auch sehr anschaulich, warum). Die andere, Marianne (Kirsten Block), lebt eine langweilig gewordene Ehe mit einem Mann (Robert Gallinowski), der auf Jobsuche ist und ansonsten nichts besseres zu tun hat, als sie mit ihrer Schwester Anne zu betrügen.

Bleibt Iris (Corinna Harfouch), die als früh gealterte Jungfer noch bei der Mutter (Christine Schorn) lebt, unfroh, versteht sich. Später im Film bandelt sie sehr zögerlich mit einem örtlichen Handwerker an. Verfrüht und für manche unerwartet steht dann, die Familie und die Verwirrungen komplett zu machen, der Ex-Mann (Otto Mellies) der Mutter vor der Tür. Er hat seine sehr viel jüngere neue Partnerin dabei, die, wegen Narkolepsie, immerzu einschläft in fröhlicher oder nicht so fröhlicher Runde am Tisch. Dies sind die Geschichten, die "Frei nach Plan" erzählt, und zwar, indem er grobe Keile Humor in grobe Klötze Frauenschicksale treibt, ein ums andere Mal. Zwischen den Episoden, die krampfhaft tun, als seien sie mitten aus dem Leben gegriffen, spielt beschwingt die Musik.

Buch und Regie (leider wahr: beides in Frauenhand) nehmen diese hoch angestrengte Beschwingtheit freilich nur als Lizenz, die Frauen, von denen sie erzählen, an keiner Stelle für voll zu nehmen und also das, was ihre Tragik sein könnte oder ihre Stärke, ihr Kampfesmut oder ihre Verbitterung, an dümmliche und dämliche Pointen zu verschenken. Das Ensemble der DarstellerInnen kommt fast durchweg vom Theater und darum wird das, was schon im Drehbuch nicht subtil gewesen sein kann, durchs der eigenen Virtuosität deutlich bewusste Spiel der Beteiligten aller allenfalls noch vorhandenen Uneindeutigkeiten beraubt. (Einzig Dagmar Manzel kämpft mit so viel Frische gegen die Pläne, die das Drehbuch mit ihr hat, dass man ihr gerne zusieht.) "Frei nach Plan" ist eine abgrundtief spießige Mixtur aus Narkolepsie-Scherzen, Midlife-Beziehungskistenblödsinn auf Frauenzeitschriftniveau und Seniorensex-Humor. Dann noch ein Tänzchen hier, ein Tänzchen da. Anderthalb Ehebrüche, keine Hochzeiten, aber ein Todesfall. Und ganz am Ende ein herrenloser Elefant.

Daratt. Tschad 2006 - Regie: Mahamat-Saleh Haroun - Darsteller: Ali Barkai, Youssouf Djaoro, Abderamane Abakar, Aziza Hisseine, Djibril Ibrahim, Khayar Oumar Defallah, Fatime Hadje - Fassung: O.m.d.U. - Länge: 93 min.

Frei nach Plan. Deutschland 2007 - Regie: Franziska Meletzky - Darsteller: Corinna Harfouch, Dagmar Manzel, Kirsten Block, Christine Schorn, Robert Gallinowski, Otto Mellies, Simone Kabst, Robert Kersten, Ramona Libnow - FSK: ab 12 - Länge: 90 min.